Ursula Tintelnot

Tatjana - Stadt am Strom


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die Kamera. Adam in seiner zerschlissenen Lederjacke starrte verdrießlich ins Objektiv.

      Tatjana lachte. »Er wird sich ärgern. Seinem Beruf ist es eher abträglich, wenn man ihn erkennt.«

      »Idioten.« Freak ließ offen, wen er damit meinte, die Männer auf dem Foto oder die Fotografen.

      »Such mir doch bitte die Adresse raus, die …«

      »Wir haben kein Geld, Tanja.«

      »Ich habe noch zwei Jobs bei Theo, das krieg ich schon hin. Außerdem ist noch gar nicht gesagt, dass ich was kaufe.« Sie drückte ihm eine Tasse Kaffee in die Hand. »Ich will doch nur mal sehen, was genau die anbieten.

      »Ich kenn dich«, seufzte Freak und suchte die Mails von letzter Woche heraus. »Da ist sie, ich schreib sie dir auf. Und denk an meine Worte, wir haben kein Geld.« Er streckte die Hand nach ihrem Handy aus. »Ich geb dir die Daten ins Navi ein.«

      »Danke.«

      Tatjana genoss die Fahrt. Noch hatte sich der Hochnebel nicht verflüchtigt. Aber die Sonne suchte sich schon ihren Weg. Felder und Wiesen lagen ganz verwaschen da.

      Am Telefon hatte sich eine Frau mit einer so tiefen Stimme gemeldet, dass sie im ersten Moment glaubte, mit einem Mann zu sprechen. Sie könne zwischen zwölf und sechzehn Uhr kommen. Jetzt bog sie in eine Lindenallee ein, wie das Navi ihr befahl, und fuhr auf ein Haus zu, dessen honiggelbe Mauern in der gerade hervorbrechenden Sonne aufleuchteten. »Sie haben Ihr Ziel erreicht«, sagte das Navi.

      Ein Schlösschen, dachte Tatjana.

      Ihr klappriger grüner Van passte weder farblich, noch was seine Eleganz anging, in diese Umgebung.

      »Ich kann dich schließlich nicht in meine Schultertasche stecken«, sagte sie leise und parkte ihn zwischen einem dunklen Mercedes und einem niedrigen Sportwagen.

      Ein lang gezogener Pfiff ließ sie innehalten. Tatjana drehte sich um, steckte zwei Finger in den Mund und erwiderte mit einem gellenden Pfiff.

      Ein junger Mann, halb verborgen hinter einer niedrigen Hecke, verbeugte sich und lachte. Seine dunklen Locken leuchteten in der Sonne. »Ah, Bella!«

      Tatjana winkte, lachte zurück und schritt über weißen Kies bis zu einer hohen Eingangstür aus dunklem Holz. Keine Klingel. Sie bewegte einen eisernen Klopfer. Die Tür öffnete sich fast sofort. »Geh an deine Arbeit, Giovanni«, rief er über sie hinweg. Er musste sie beobachtet haben.

      Herrlich, dachte sie, wenn Arroganz einen Namen hätte … Der Mann vor ihr trug weiße Handschuhe und, nein …, dass es das noch gab, er war offensichtlich der Butler.

      Er betrachtete sie von oben herab. Die hochgezogenen Augenbrauen zeigten deutlich, dass er sie lieber am Dienstboteneingang gesehen hätte. Tatjana trug enge Jeans, Stiefel mit halbhohen Absätzen, die ihre langen Beine noch länger wirken ließen, und unter ihrer warmen Jacke ein weißes Herrenhemd.

      »Mein Name ist Larina, ich werde erwartet.«

      »Hansen!« Sie hörte die tiefe Stimme, die sie vom Telefon kannte. »Bringen Sie Frau Doktor Larina in die Bibliothek.«

      Der Ausdruck in seinem Gesicht veränderte sich augenblicklich. Er öffnete die Tür ein gutes Stück weiter, verbeugte sich und ließ sie eintreten. Was so ein kleiner Titel ausmachen konnte. Amüsant.

      Hinter ihm durchquerte sie eine riesige Halle, in deren schwarzweißen Fliesen sie sich spiegeln konnte. Die Wände waren vertäfelt und ein blankpolierter Handlauf begleitete eine geschwungene Treppe in den ersten Stock des Hauses.

      Beim Anblick der Bibliothek, in die der Butler sie führte, stockte Tatjana der Atem. Der Raum war größer als ihr Laden. Er schob sich weit in einen gepflegten Garten hinein. Eine Glaskuppel hoch oben bildete die Decke. Dieser lichtdurchflutete Raum sah aus, als sei er dem Haus nachträglich hinzugefügt worden. Es war völlig ausgeschlossen, dass sie hier etwas kaufen würde. Freak konnte ganz beruhigt sein. Wie kamen die Besitzer nur auf sie? Muller & Töchter wäre hier eher der Ansprechpartner gewesen.

      Tatjana war allein und versank in dem Duft von Papier, Zigarren und Leder. Sie hatte nicht bemerkt, dass Hansen gegangen war. Sie ließ ihre Tasche von der Schulter gleiten und ging an den Bücherschränken vorbei.

      Rötlich schimmerte das Holz. Jedes Bord war einzeln durch eine gläserne Schiebetür verschlossen, um die Bücher vor Staub zu schützen. Sie schob keine der Türen zur Seite. Aber sie las die Titel und genoss den Anblick der zum Teil ledergebundenen kostbaren Buchrücken. Einige der Titel waren weder alphabetisiert, noch standen sie in erkennbarer Beziehung zueinander. Reiseberichte standen zwischen Romanen, Biographien und Sachbüchern über Musik, ein scheinbar wahlloses Durcheinander.

       Tatjana beugte sich gerade über einen Tisch, unter dessen Glasplatte einige Handschriften zu sehen waren, als sich die Tür hinter ihr öffnete. »Guten Tag, Doktor Larina.« Er mochte um die fünfzig sein. Ein Mann mit einem ausgeprägten Kinn und aufmerksamem Blick. Sein dichtes Haar war fast weiß. Tatjana fuhr hoch. Sie war völlig versunken in dieser Welt, wusste nicht einmal wie lange sie schon hier war.

      »Ich sehe, Sie haben sich nicht gelangweilt?«

      Sie lächelte. »Nein, in diesem Raum kann man sich selbst dann nicht langweilen, wenn man keine Zeile liest.«

      Er quittierte das mit einem flüchtigen Lächeln. »Ich bin Alexander Lenski.« Er reichte Tatjana die Hand.

      »Lenski?« Sie wiederholte den Namen. »Die Mailadresse war eine andere.«

      »Ich weiß, Borodin, der Name meines Onkels, er ist vor drei Wochen gestorben.«

      »Das tut mir leid.« Du hast es eilig, diese wunderschöne Bibliothek zu verscherbeln, dachte Tatjana und ihre anfängliche Sympathie verflog. Sie sah auf die Uhr. »Ich habe mir nur einen flüchtigen Eindruck verschaffen können«, sagte sie, »aber Sie sollten sich einen anderen Käufer suchen.«

      »Warum?«

      »Dies ist eine Nummer zu groß für mich, ich habe nur ein kleines Antiquariat.« »Was würden Sie mir empfehlen?«

      Dir, du geldgeiler Mistkerl, würde ich empfehlen, diese Kostbarkeit zu hüten wie einen Schatz.

      »Wenden Sie sich an Muller & Töchter. Ich gebe Ihnen die Adresse.«

      Ihre eben noch warme Stimme klang jetzt kalt und abweisend. Genau so hatte sein alter Freund sie ihm beschrieben.

      >Sie war eine meiner besten Studentinnen, intelligent und achtsam, wenn es um die Sache ging, aber aufbrausend und ungeduldig wenn ihr etwas nicht gefiel< >Und<, hatte Professor Jones grinsend hinzugefügt, >sehr attraktiv, für mich leider zu jung<

      Er blieb ganz ernst, als er sagte: »Sie missverstehen mich, ich will diese Bücher nicht verkaufen.«

      »Was, aber …?«

      »Ich hatte Sie lediglich gebeten, die Bücher zu schätzen.« Er sah, wie es in ihr arbeitete. Sie wünschte sich, jedes einzelne Buch in die Hand nehmen zu dürfen, aber sie traute ihm nicht. Wenn sie glaubte, er wolle sie verkaufen, würde sie keinen Finger für ihn rühren. »Und ich suche jemanden, der diese Sammlung katalogisieren kann.«

      Die Verwirrung und der Kampf mit sich selbst standen ihr ins Gesicht geschrieben.

      »Warum ich? Ich bin sicher, es gibt sehr kompetente Kollegen, die diese Arbeit auch leisten könnten.«

      »Da bin ich mir sicher«, sagte er mühsam beherrscht, »aber ich will Sie. Sie sind mir empfohlen worden.«

      »Von wem?«

      Er wurde der Antwort enthoben, als die Tür sich öffnete und eine ältere Frau eintrat. Mit ihr erschien ein junges Mädchen, das einen kleinen Serviertisch vor sich herschob. »Danke, Millie, Sie können gehen.«

      »Olga, das ist Doktor Larina.« Er schenkte eine Tasse Kaffee ein und reichte sie Tatjana. »Olga macht den besten Käsekuchen, den ich je gegessen habe,