Christoph Hochberger

DER KELTISCHE FLUCH


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      Toromic nickte. „Gut, so weißt du also, was sich ereignet hat. Nun, dann kannst du dir sicherlich denken, warum ich gerade dich aufsuche.“

      Helweds Stimme zitterte. „Du hoffst auf die heilende Wirkung meiner Kräuter ...“

      Toromic nickte.

      „Mein Ri, ich bitte dich ... , lass mich aus deinen Angelegenheiten heraus.“

      Die Züge des Häuptlings verhärteten sich. „Das kann ich nicht.“

      Er hielt kurz inne, dann platzte es aus ihm heraus: „Du bist meine letzte Hoffnung!“

      Überrascht starrten sich die beiden an.

      Toromic biss sich auf die Lippen und lief rot an. Helwed begriff, dass sich der Häuptling in großen Schwierigkeiten befand, trotzdem versuchte sie abermals, sich herauszuwinden.

      „Deine letzte Hoffnung?“ fragte sie unschuldig. „Wie kann ich die letzte Hoffnung eines Häuptlings sein? Ich bin nur eine alte ...“

      Toromic packte sie am Arm und zog sie zu sich heran. Sie sah in seine tiefblauen Augen. Unterdrückte Angst und bedingungsloser Wille standen in ihnen. Sein Atem roch nach Met, als er befahl: „Folge mir zum Heim meines Bruders!“

      Turumir, Cassatr und zwei weitere Krieger hielten den Tobenden nieder. Mit aller Kraft stemmten sie sich auf Tarcic und versuchten ihn auf sein Lager zu pressen.

      Kurz nachdem sie den Bruder des Toromic zu seiner Hütte gebracht und auf sein Lager gebettet hatten, war der Seher hochgefahren, hatte schrecklich zu schreien angefangen und die Männer um ihn herum angegriffen. Die Krieger waren völlig überrascht worden, doch schon nach Sekunden hatten sie sich auf ihn gestürzt, und nun zwangen sie ihn nieder.

      „Er ist von Dämonen besessen!“ rief Cassatr.

      Das Ringen schien Ewigkeiten anzudauern, doch schließlich erschlaffte Tarcic in den Armen seiner Beschützer.

      Keuchend, mit schreckgeweiteten Augen sahen sich die Krieger an. Turumir tränkte ein Stück Stoff mit Wasser und rieb dem Bruder des Ri Nacken und Gesicht damit ab. Dann wollte er ihm etwas Wasser einflößen, doch die Lippen des heiligen Mannes blieben geschlossen. Das kühle Nass rann nutzlos an seinem Kinn herunter.

      Ratlos schaute Turumir auf und begegnete dem hilflosen Blick Cassatrs.

      Die übrigen Männer sahen betreten zu Boden. Niemand wusste, was zu tun war, niemand wagte es, zu sprechen. Tarcic lag bewegungslos, hin und wieder zuckten seine Augenlider.

      Die Krieger sahen sich verstohlen in der Hütte um. Es gab selten genug Anlässe, Tarcic in seinem Heim zu besuchen, seit er die heiligen Aufgaben der Vates versah.

      Im hinteren Bereich der Hütte lagen auf einem Podest die in Zedernöl konservierten Schädel seiner Feinde. Diese Trophäen sprachen mehr als alle Lobgesänge von der Tapferkeit des Mannes, der sie erbeutet hatte. Über den Schädeln, an der Rückwand der Hütte, hingen mehrere Schilde. Es waren einige Kampfschilde darunter, die den Bruder des Toromic während der Schlachten, an denen er teilgenommen hatte, beschützt hatten, und einige unversehrte, reichlich verzierte Zeremonienschilde.

      Die letzteren erkannten einige der Männer wieder. Sie wurden bei den großen Sonnenwendfesten Lugnasad und Samhain an die umherfahrenden Streitwagen gehangen und kündeten mit den seltsam von ihren Rücken herabschauenden Gesichtern und vielfach ineinander verschlungenen Ornamenten von der Macht der Götter.

      Neben den Schilden hingen allerlei Waffen, deren Anblick viel über den Reichtum, aber auch die Häufigkeit aussagte, mit der ihr Besitzer an Kämpfen teilgenommen hatte. Es waren edle, mit gewellten Blättern versehene Stoßlanzen darunter und Hiebschwerter, deren Griffe und Klingen kunstvoll verziert waren. Doch auch zerschlagene Speere, unbrauchbare Schilde und gebrochene Schwerter hingen dort.

      Wenn man einen Feind besiegt hatte, so nahm man ihm nicht nur den Schädel und die Ehrenzeichen. Auch seine Waffen nahm man an sich und machte sie durch Verbiegen oder Brechen unbrauchbar. Eine Weile lang stellte man sie in seiner Hütte zur Schau, um vor Gästen mit seinen Taten prahlen zu können, dann wurden sie den Göttern geopfert, indem man sie in einen Opferschacht des Clanheiligtums warf.

      Unter dem Dach hingen Schläuche voll Met, Bier und Wasser, daneben ganze Reihen von Dörrfleischstreifen und seltsame Kräuterbündel.

      Turumirs Blick fiel auf kleine Bronzeplatten, die überall auf dem Boden herumlagen.

      Tarcic hatte einmal während einer Versammlung eine davon gezeigt und behauptet, die Druiden hätten ihn gelehrt, dass man solch eine Platte nicht nur mit Ornamenten verzieren, sondern auch Wissen darin aufheben könne. Dieses Wissen müsse man als Symbole verschlüsselt in die Oberfläche der Tafeln eingravieren.

      Er hatte diese Art der Metallbearbeitung „Schrift“ genannt.

      Die Kenntnis dieser Kunst sei allerdings ein gut behütetes Geheimnis der Druiden. Auf die Frage, warum sie diese Kunstfertigkeit denn nicht nutzten, konnte auch Tarcic keine Antwort geben. Er wisse nur, dass die Eleven der Druiden alles Wissen, welches sie sich aneigneten, in endlosen mündlichen Versen auswendig lernen müssten, und es strengstens verboten sei, etwas schriftlich zu hinterlassen. Dieser Bericht hatte für einiges Aufsehen im Clan gesorgt, da er so geheimnisvoll war und jede Menge Stoff für die endlosen Palaver enthielt, in denen sich die Männer im Versammlungshaus oft nächtelang ergingen.

      Plötzlich zerriss ein gellender Schrei die Stille.

      Die Männer fuhren hoch und sahen sich verwirrt um.

      Tarcic war abermals empor gefahren und hatte sich aufgesetzt. Das Fell, das ihn bedeckte, hatte er abgeworfen, und nun begann er mit Armen und Beinen um sich zu schlagen.

      Turumir und Cassatr stürzten sich auf ihn. Ein zur Hilfe eilender Krieger lief direkt in Tarcics vorschnellende Faust und brach mit blutüberströmtem Gesicht zusammen, ein weiterer ging nach einem Fußtritt in den Unterleib in die Knie. Während sich die beiden am Boden wanden, gelang es den übrigen Männern, Tarcic auf sein Lager zu pressen. Es bedurfte ihrer ganzen Kraft, ihn zu halten, denn der Rasende entwickelte ungeheure Kräfte.

      Verzweifelt hielten sie ihn fest.

      Plötzlich schälten sich aus Tarcics Geschrei Worte heraus:

      „Hinfort ihr Bestien, was quält ihr mich!?“

      In diesem Moment erschlaffte er in den Armen der Männer.

      Während er langsam zusammensank, hauchte er:

      „Es wird kommen ... „

      Dann lag er still.

      Vollkommen verstört sahen sich die Männer an.

      Turumir bemerkte, dass einige nahe daran waren, die Nerven zu verlieren. Nackte Angst blitzte in ihren Augen. Gerade wollte er beruhigende Worte sprechen, als Borix die Hütte betrat.

      „Was geht hier vor?“, fragte der erste Mann des Häuptlings.

      Turumir wies auf Tarcic, der verkrümmt auf seinem Lager lag und flach atmete. „Er ist erwacht und hat um sich geschlagen. Er scheint von Dämonen besessen zu sein.“

      Borix sah in die von Angst gezeichneten Gesichter der Männer, dann ließ er sich neben Tarcic nieder und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

      Der Seher reagierte nicht.

      Gebannt verfolgten die übrigen Anwesenden, wie Borix leise auf Tarcic einredete. Nach einer Weile erhob er sich und sagte:

      „Er nimmt nichts wahr. Wir müssen auf den Ri warten.“

      „Wo ist er denn?“ fragte Turumir.

      „Er sagte, dass er mir gleich folgen wolle“, antwortete Borix leichthin. Toromics seltsames Verhalten ging die Krieger nichts an. Er musste herausfinden, was Toromic verbarg, doch nicht um ihn bloß zu stellen, sondern um seinem Freund zu helfen.

      Gespannte Stille trat ein. Alle warteten.

      Eine