Christoph Hochberger

DER KELTISCHE FLUCH


Скачать книгу

Schädel des Goll und den Mächten der Fir Bolg, gebt mir Kraft, meine Götter!“ presste Skathach zwischen den Zähnen hindurch, dann hatte er den Stein erreicht.

      Zu seinen Füßen türmten sich die Leichen der vorherigen Opfer.

      Kalter Schweiß brach ihm aus.

      Zwei Druiden malten mit blutnassen Fingern seltsame Zeichen auf seine Stirn, während ihn zwei weitere mit dem Rücken gegen den Opferfelsen drückten.

      Mit weit aufgerissenen Augen starrte Skathach gae Bulga zu Oisin und seiner Leibwache hinüber, die sich nur wenige Schritte von ihm entfernt in den Armen ihrer Bewacher wanden.

      Einer der beiden greisen Druiden hob jetzt ein reich verziertes Opferbeil über seinen Schädel und rief in der fremdartigen Sprache der Britannier: „Balor!“

      In diesem Augenblick überschlugen sich die Ereignisse.

      Oisin entriss einer der Wachen den Speer und rammte ihn dem Druiden in den Rücken, der Skathach töten wollte. Gleichzeitig griffen auch die übrigen Krieger von Skathachs Leibwache mit dem Mut der Verzweiflung ihre Bewacher an und entrissen ihnen die Waffen.

      Die Druiden erstarrten, als sie einen der ihren stöhnend zu Boden sinken sahen. Auch die Krieger der Ordoviker waren vollkommen überrascht und vom tagelangen Genuss des Mets und betörender Kräuter offenbar zu berauscht, um reagieren zu können.

      Skathach gae Bulga und seine Männer nutzten die Gunst des Augenblicks und kämpften sich hauend und stechend durch die Reihen ihrer Feinde.

      Schwarze Wolken ballten sich am Himmel zusammen, rote Blitze zuckten über das Firmament, Donnerschläge ließen die Erde erbeben. Während die Menschenmasse in Panik geriet und Chaos den Kultplatz erfasste, erwachten die Krieger der Ordoviker aus ihrer Starre. Mit wilden Schlachtrufen setzten sie den fliehenden Skoten nach, und eine Hetzjagd, den Hügel des Heiligtums hinunter, bis in die angrenzenden Wälder hinein begann.

      Als Skathach und Oisin den schutzversprechenden Saum des Waldes erreichten, waren die meisten ihrer Männer bereits den rachsüchtigen Horden der Gegner zum Opfer gefallen.

      Keuchend brachen sie durch das Unterholz, taub für den Schmerz der Wunden, die ihnen zugefügt worden waren. Sie rannten, bis ihre Lungen zu platzen drohten, doch sie waren Fremde in einem fremden Land, und sie rannten gegen Hunderte.

      Als Oisin über einen umgestürzten Baumstamm sprang, zertrümmerte ihm ein Schleudergeschoß den Schenkel, fast gleichzeitig fuhr ihm ein Speer durch den Hals. Die Hände um den Schaft der Waffe gekrallt, brach er hinter dem Stamm zusammen.

      Skathach sah seinen letzten Mann fallen und wusste, dass das Ende gekommen war. Er blieb stehen, wandte sich mit bebendem Brustkorb in Richtung der Verfolger. „Mögen euch die Götter verfluchen, dass ihr es wagt, einen Hochkönig zu ermorden“, presste er hervor. Dann hob er das Schwert, mit dem er sich den Weg freigekämpft hatte, stolz über den Kopf.

      „Ihr Bastarde!“, brüllte er den ihm entgegenkommenden Mördern seiner Untertanen zu.

      Sekunden später hatten ihn die Feinde erreicht. Das Schwert nutzte ihm nichts mehr, als er von den Kriegern der Ordoviker überrannt wurde. Das Letzte, was der Hochkönig der Fion Do in seinem Leben erblickte, waren die gnadenlosen Augen eines keltischen Streiters, bevor dieser mit aller Macht sein Schwert auf ihn niederfahren ließ.

      Im Land der Selgovater

       Spätherbst desselben Jahres, im hohen Norden

      Britanniens, an der Grenze zu Kaledonien.

      Rau fegte der Wind über die Wipfel der mächtigen Bäume. Noch war kein Schnee gefallen, doch die Nächte waren schon bitterkalt. Wolkenfetzen zogen am Mond vorbei und tauchten die Landschaft abwechselnd in eisiges Licht oder bedrückende Schatten. Der Herbst hatte Einzug gehalten im Land der Selgovater, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis die ersten Winterstürme jeden Kontakt zwischen den Clans einfrieren ließen. Die Hügel und Wälder waren bereits von einer dicken Rauhreifschicht überzogen, die nur tagsüber für kurze Zeit verschwand, wenn sich die Sonne am Himmel blicken ließ.

      Das Dorf des keltischen Clans der Selgovater lag gut geschützt in einer Senke des Misteltals. Die Siedlung, die von einem mächtigen Holzpalisadenwall umspannt wurde, war fast vollständig von Wald umgeben. Nur auf der Seite des Haupttores, das aus zwei mächtigen Flügeln zusammengezimmerter Eichenbohlen bestand, fiel ein grasbewachsener Hang zum Fluss hin ab, der das Tal durchzog.

      Der Rauch mehrerer großer Feuer, die in den Hütten brannten, stieg in den Himmel und vermischte sich mit dem Schwarz der Nacht. Vereinzelt standen Krieger auf dem Wall und hielten Wache.

      Kein menschliches Wesen hielt sich zu dieser Stunde im Wald auf. Nicht einmal die Krieger der Caledonier, Todfeinde der Selgovater und der übrigen britannischen Stämme seit Jahrhunderten, waren auf Beutezug. Die Geister des Waldes und die Götter des Sturmes wollte niemand herausfordern - nicht in einer solchen Nacht.

      Toromic starrte ins Feuer.

      Wie würde die Antwort seines Bruders wohl ausfallen, fragte er sich missmutig. Der Clanführer der Selgovater kratzte sich abwesend im Gesicht. Er mochte es nicht, tatenlos darauf warten zu müssen, dass ein anderer etwas entschied, doch hatte er in diesem Fall keine Wahl.

      Seine Frau Shana und die Kinder schliefen, in dicke Felle gehüllt und vom Nachtmahl gesättigt, auf ihren Lagern im hinteren Bereich der Hütte. Toromic gegenüber saß sein jüngerer Bruder Tarcic, der Seher des Clans. Draußen begann sich der Mond schon wieder dem Horizont zu nähern, und die Kälte der Nacht, die so kurz vor Morgengrauen noch einmal zunahm, ließ die Wachen auf dem Wall ihre Mäntel enger um die Schultern ziehen.

      Die Spuren einer langen Nacht standen den Brüdern in die Gesichter geschrieben. Eine unheilschwangere Atmosphäre lastete zwischen ihnen. Ab und an tranken sie aus ihren verzierten Trinkhörnern, ohne den anderen dabei aus den Augen zu lassen.

      Eigentlich, dachte Toromic, hatte der Tag gut begonnen. Er und einige seiner Krieger waren auf der Jagd gewesen und hatten einen stattlichen Hirsch zur Strecke gebracht. Unter normalen Umständen wäre das ein guter Jagderfolg gewesen und man hätte reichlich Fleisch für Tage und Fell für den Winter gehabt. Außerdem waren sie auf einen Trupp von Brigantern, ihrem großen, weiter südlich siedelnden Bruderstamm, gestoßen, die ihnen mitteilten, dass seit langem keine Caledonier mehr gesehen worden waren.

      Was den Clanführer der Selgovater beschäftigte, waren die Geschehnisse der Jagd. Er nahm noch einen tiefen Schluck des süßlichen Hefebieres, welches die Mundschenke seines Clans vorzüglich zu brauen verstanden, ließ das dickflüssige Getränk seine Kehle hinunterrinnen und fixierte dann seinen Bruder.

      Tarcic starrte zurück. Seine mit heiligen Runen verzierte Brustplatte reflektierte matt den Schein des Feuers. Die Stirn des Sehers lag in tiefen Falten, was, durch den Schein der Flammen beleuchtet, besonders die riesige Narbe hervorhob, die sich von seinem Schädeldach über die Schläfen und den Hals bis hinunter zum Brustkorb zog.

      Plötzlich antwortete er mit rauer Stimme: „Fordere es nicht von mir.“

      Toromic verspannte sich. Seine Stimme wurde eindringlich, als er es noch einmal versuchte: „Du weißt, dass ich dich schonen würde, wenn ich könnte, doch wir müssen wissen, ob die Götter erzürnt sind, ob es ein böses Omen ist.“

      Tarcic hielt seinem Blick kurz stand, blickte dann aber ins Feuer und ließ sich mit einer Antwort Zeit. Toromic bemerkte den dünnen Schweißfilm auf der Stirn seines Bruders, und wusste, dass der Jüngere Angst hatte. Tarcic kippte den letzten Rest seines Trinkhornes in einem Zug herunter, warf es dann mit fahriger Gebärde neben sich und erwiderte: „Es ist nicht gut, die Runen zu befragen. Es kostet viel Kraft und könnte die Aufmerksamkeit der Götter auf uns lenken.“

      Toromic schüttelte den Kopf. „Wir müssen erfahren, was es mit dieser Sache auf sich hat. Mir scheint, dass dich die lange Zeit, in der niemand unsere Frevel bemerkte,