Christoph Hochberger

DER KELTISCHE FLUCH


Скачать книгу

ist nichts vorgefallen, es war eine ruhige Nacht, mein Ri.“

      „Gut. Begib dich zu den Edlen und teile ihnen mit, dass Tarcic in den frühen Abendstunden die Runen befragen wird. Ich berufe hiermit die Versammlung ein.“

      „Ja, mein Ri“, antwortete Carduc und eilte davon.

      Toromic blickte ihm nach. Carduc war von der Order nicht überrascht gewesen. Der Häuptling wusste, dass die Teilnehmer der gestrigen Jagd, beim Gelage und später bei ihren Familien von der Jagd erzählt haben mussten. Nach großen Mengen Met und Bier lösten sich immer die Zungen. Dann machten Sagen und Legenden die Runde und bald auch Spekulationen.

      Doch damit war nun Schluss. Jetzt würde bekannt werden, dass Tarcic, der Bruder des Ri, der in der großen Schlacht gegen die Caledonier so schwer verwundet worden war und nach seiner Genesung von den Göttern die Gabe des Sehens empfangen hatte, die Runen befragen musste.

      Toromic hätte alles getan, um die Zeremonie zu vermeiden. Doch nach diesem Zeichen, blieb ihm keine Wahl. Wo, bei den Göttern, waren nur die Eichenkundigen?

      Die Versammlung

      Nach außen hin verlief der Tag im Dorf wie jeder andere, doch unter der ruhigen Fassade brodelte es. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von der bevorstehenden Kulthandlung verbreitet, war von Mund zu Mund gegangen und hatte schließlich auch noch die Unwissendsten erreicht. Die Clanangehörigen fieberten der Zusammenkunft entgegen.

      Als sich der späte Nachmittag allmählich über das Land senkte, trieben die Unfreien das Vieh in die Ställe zurück, die Tagarbeiten wurden beendet, und in allen Hütten herrschte rege Betriebsamkeit. Die Krieger und Frauen putzten sich, aufgeregt schwatzend, für den großen Anlass heraus. Die Männer legten ihre Kriegstracht an, bemalten ihre Gesichter mit schaurigen Ornamenten und putzten ihre Torques, die metallenen Halsringe, die ihren Stand und Besitz demonstrierten, auf Hochglanz. Viele wuschen ihre Haare nach Art ihrer Väter mit einer Mischung aus Wasser, Kalk und Rinderfett und kämmten sie anschließend gegen den Hinterkopf hoch. Das ergab eine Stachelfrisur, die ihre Wildheit unterstreichen und den Feinden bei der Schlacht Angst einjagen sollte. Doch erfreute sich diese Frisur auch bei feierlichen Anlässen großer Beliebtheit. Die Oberkörper rieben sie mit Fett ein, um später, in der Wärme des Versammlungshauses, ihre Tätowierungen und Muskeln besser zur Schau stellen zu können. Die Frauen legten ihren edelsten Schmuck an. Fein gearbeitete Ketten aus Muschelperlen und goldene Reife zierten Arme und Hälse der reichen Frauen, während die weniger wohlhabenden mit bronzenen und ehernen Ringen Vorlieb nehmen mussten. Die älteren Frauen, vor allem die der Edlen, trugen karierte Wickelröcke, die mit bunten Karomustern verziert waren. Seit Stunden schafften die Sklaven Unmengen an Nahrungsmitteln, Met und Bier ins Versammlungshaus, denn meist arteten Zeremonien in große Gelage aus.

      Ein wenig abseits der übrigen Hütten, in einer kleinen, windschiefen Kate, warf Helwed eine Handvoll Kräuter ins Feuer. Zischend verbrannte das gräulich schimmernde Pulver. Ein betäubender Geruch breitete sich im Raum aus. „Siehst du, jetzt brauchst du nur noch zu warten, bis es wirkt.“ Sie wandte sich ihrer Tochter zu. Boudina sah sie zweifelnd an. Helwed verzog das Gesicht. „Du musst natürlich daran glauben, ansonsten werden dir die Geister nicht helfen.“

      Boudina schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass du es gut meinst, Mutter, aber bisher hat noch keines deiner Kräuter irgendetwas bei ihm bewirkt.“

      Helwed warf ihre ergrauenden Haare zurück und lächelte. „Die Liebe eines Mannes zu gewinnen, ist ein schwieriges Unterfangen. Selbst den Geistern fällt es schwer, solches zu vollbringen.“

      Boudina stand ruckartig auf und stemmte ihre Arme in die schlanken Hüften. „Die Geister, die Geister! Ich will nicht mehr auf ihre Hilfe warten und auch nicht mehr auf die Wirkung deiner Kräuter. Es hilft nichts, ich muss ihn ansprechen.“

      „Ihn ansprechen?!“ Helweds Stimme hatte ihren wohlmeinenden Klang verloren. Entsetzt sah sie Boudina an. „Das kannst du nicht wirklich vorhaben.“

      Boudina verzog trotzig ihr hübsches Gesicht. „Und ob ich das vorhabe. Ich habe lange genug versucht, ihn mit Hilfe deiner Künste auf mich aufmerksam zu machen. Da dies jedoch offensichtlich nicht gelingt, muss ich nun eben die Sitten etwas verändern.“

      „Die Sitten verändern?!“ Helwed fuchtelte hektisch mit den Armen. „Kind, du wirst dich mit deinem Sturkopf noch einmal unglücklich machen. Eine Frau spricht niemals einen Mann an! „Wo kämen wir denn hin, wenn wir uns auch noch an sie heranwerfen müssten“, murmelte sie leise vor sich hin.

      „Dann bin ich eben die erste, die so etwas tut“, entgegnete Boudina trotzig.

      „Wenn er dich bisher nicht beachtet hat, so liegt es daran, dass er ein gestandener Mann ist“, sagte Helwed in milderem Tonfall. Sie legte ihre feingliedrige Hand auf die Schulter ihrer Tochter. „Er ist der Bruder des Häuptlings, ein Edler und ein Seher noch dazu. Was bildest du dir ein? Du bist die Tochter eines einfachen Kriegers. Glaubst du denn wirklich, dass er dich ehelichen würde, eine aus niederem Stand?“

      Boudina neigte den Kopf zur Seite und strich sich aufreizend durch ihre rotblonde Mähne. Gleichzeitig machte sie einen Schmollmund und zwinkerte mit ihren grünen Augen. „Diesem Anblick kann er bestimmt nicht widerstehen.“

      Helwed atmete tief durch. Sie durfte Boudina nicht merken lassen, dass sie die Liebe zu dem Bruder des Häuptlings ablehnte, und dass nur aus diesem Grund ihre Kräuter nie gewirkt hatten. Von Tarcic ging, ganz abgesehen von den Vorbehalten, die sie ihrer Tochter gegenüber geäußert hatte, etwas Seltsames aus. Helwed sprach niemals mit Boudina darüber, doch sie besaß eine besondere Fähigkeit. Sie war als junge Frau, nachdem ihr geliebter Mann im Kampf gefallen war, zu den Matrae, den Dienerinnen Anus, gegangen, um sich unterweisen zu lassen und ihr Leben fortan der großen Muttergöttin zu weihen. Sie hatte nicht noch einmal heiraten und kurze Zeit später abermals den Schmerz des Verlustes eines geliebten Menschen ertragen wollen, denn die Männer führten ständig Krieg. Von den großen Müttern hatte sie die Kunst der Kräuterkunde erlernt. Doch nach einer Zeit der Reinigung und der Trauer, hatten die Matrae sie wieder nach Hause geschickt. Sie sei nicht für diesen Weg bestimmt, hatten sie ihr gesagt, ein anderes Schicksal erwarte sie. Schweren Herzens hatte sich Helwed wieder nach Hause begeben, nur um bald darauf festzustellen, dass sie schwanger war. Sie war überrascht gewesen, denn sie konnte sich nicht erklären, wie ihr dies hatte widerfahren können, doch sie akzeptierte ihren Zustand als ein Geschenk der Götter. Nach einer Zeit freudiger Erwartung stand die Geburt bevor. Während der schmerzhaften Entbindung schließlich geschah das Unglaubliche; Helweds Geist verließ ihren Körper. Sie sah sich selbst auf der Bettstatt liegen, ihren Säugling gebärend, und fühlte im selben Augenblick eine Verbindung zu der Seele des Kindes aufflammen, die heißer war als Feuer und beständiger als der stärkste Stahl. Nach dieser Erfahrung, war sie nicht mehr dieselbe. Sie spürte, dass ihrem Kinde Großes bevorstand, ein Schicksal, jenseits des normalen Lebens.

      Während ihre kleine Boudina - diesen Namen gab sie ihrem Mädchen - heranwuchs, übte sich Helwed in den Fähigkeiten, die die Götter ihr verliehen hatten. Sie akzeptierte, dass es eine Gabe war. Mit der Zeit wurde sie immer sensibler und konnte die Aura ihrer Mitmenschen schließlich sogar fühlen, ohne sich in Trance versetzen zu müssen. Ihr Mädchen war über die Wanderung der Gestirne, über Sommer und Winterwechsel zu einem rechten Wildfang herangewachsen. Nun zählte sie sechzehn Winter und hatte die Reife zur Frau durchgemacht.

      Als Boudina im letzten Winter auf einmal begonnen hatte, von Tarcic zu schwärmen, hatte Helwed dies als blanke Kinderei abgetan. Doch nachdem sich ihre Tochter immer mehr in ihre Idee verrannte, hatte sie ihre Fähigkeiten angewandt, um herauszufinden, was für ein Mensch der Häuptlingsbruder und Seher des Clans war. Ihre empfindlichen Sinne verrieten ihr bald, dass Tarcic eine seltsame Aura umgab. Ob diese Ausstrahlung guter oder böser Natur war, wusste sie nicht, doch ihre Tochter - ihr einziger Lebenssinn - sollte nicht an einen Mann geraten, den solch mysteriöse Dinge umgaben.

      „Du wirst ihn nicht ansprechen“, sagte sie bestimmt. „Du kannst weiterhin versuchen, seine Aufmerksamkeit mit