Brendan Erler

Digitale Evolution, Revolution, Devolution?


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„Momenten des Subjekts“ (Moebius 2005, 129ff.).

      Die konstatierte prinzipielle Offenheit der Struktur ermöglicht „Momente des Subjekts“ in Augenblicken der Unentscheidbarkeit. In diesen Momenten „ereignishaften Handelns im Gegensatz zum vorstrukturierten, regelhaften Handeln“ (Moebius 2005, 138) wird die vorgeprägte Subjektposition zum unvorhersehbaren Subjekt. Auch die Handlungstheorie nach Berger / Luckmann kennt dieses „regelhafte Handeln“, die „Habitualisierungen“, die „von der Notwendigkeit, Handlungen immer wieder neu entwerfen zu müssen, […] von angespannter Aufmerksamkeitszuwendung, von Unsicherheit und Improvisation“ (Schnettler 2006, 174) entlasten. Sowohl die strukturalistische als auch die interaktionistische Handlungstheorie gehen von einem Nebeneinander strukturell, routinierter und unvorhergesehen „spontaner“ Ereignisse und Handlungen aus.[35]

      Unterschiede ergeben sich, wie zu erwarten, wieder im konkreten Zusammenspiel beider Elemente. Während das phänomenologische Subjekt als der Akteur der Praxis im Kern aus sich heraus erklärt wird und demzufolge agiert, so wird das poststrukturalistische Subjekt aus dem Widerspruch zwischen Struktur und Handlung geboren. Die im Poststrukturalismus eingeführte Unberechenbarkeit der diskursiven Praxis und „Wiedereinführung“ des Subjekts ist in einem geschlossenen diskursiven System nicht denkbar. „Die Bedingung für das Erscheinen des Subjekts (= die Entscheidung) ist, dass es nicht unter irgendeinen strukturalen Determinismus subsumiert werden kann“ (Laclau zit. nach Moebius 2005, 139). Der Moment des Subjekts, der Augenblick der Entscheidung resultiert aus der notwendigen Unabgeschlossenheit der Struktur. Bei Fragen, die der strukturellen Antwort entbehren, die nicht vorgesehen (oder im handlungstheoretischen Sinne habitualisiert) sind, kommt das konstitutive Außen ins Spiel. Erst dieses Außen definiert das Regelsystem in seiner Struktur, gibt ihm seine Form.

      Nach Laclau / Mouffe (2000) bedarf es zur Errichtung kultureller Hegemonie des (sozialen) Antagonismus und der Logik der Äquivalenz. Während in der Logik der Differenz die Unterschiede und Verbindungen der Diskurselemente zum Ausdruck kommen[36], werden in der Logik der Äquivalenz durch die Abgrenzung von einem konstitutiven Außen die inneren Differenzen überbrückt und Identifikation gestiftet: Im Kontrast zum Anderen und Außen verschwimmen die inneren Unterschiede im Einklang der gefühlten Gleichheit und Einheit. Sogenannte leere Signifikanten (Nation, Gerechtigkeit, Zivilisation oder in unserem Fall z.B. Kultur, Urheberrecht, Freiheit) dienen Projekten kultureller Hegemonie in ihrer abstrakten Unbestimmtheit dabei als „Knotenpunkt[e] für eine ‘imaginäre Einheit‘ des Diskurses“ (Reckwitz 2006, 344), als sinnstiftende Projektionsflächen der Identifikation (vgl. Moebius 2005, 135; Reckwitz 2006, 344).

      In den Augenblicken der Unentscheidbarkeit kommt es zu Rissen im System, durch die das konstitutive Außen dringt. Das sind die Momente des Subjekts. Derartige wirkliche Entscheidungen, im Kontrast zu strukturierten Handlungsanweisungen, bezeichnet Derrida als „passive Entscheidung des Anderen in mir“ (Derrida 2000, 105 zit. nach Moebius 2005). Diese wiederum etwas paradox anmutende Formulierung zielt darauf ab, dem Subjekt eine gewisse „Entscheidungsfreiheit“ zuzugestehen, ohne es damit in einen subjektivistischen Kontext bewusster und intendierter Handlung einzuordnen. Die Freiheit des Subjekts im poststrukturalistischen Sinne ist nicht in seinem Wesen, seinem Inneren begründet, es ist also eigentlich keine Entscheidungsfreiheit, sondern eine Freiheit im Moment der Entscheidung. „In der Entscheidung kommt es zum Ereignis einer In(ter)vention des Außen in den Diskurs, das bestehende Erwartungsstrukturen und diskursive Sinnzusammenhänge überschreitet“ (Moebius 2005, 141). Statt von der Dualität von Struktur zu sprechen, spricht Moebius von der Triade „Handlung - Struktur - Außen - Anderer“.

      Ob man nun vom „konstitutiven Außen“ (Laclau / Mouffe), der „Entscheidung des Anderen in mir“ oder dem „polymorphen Wuchern an den Randzonen des Diskurses“ (Foucault) spricht, wichtig ist die Annahme einer gewissen kreativen Unvorhersehbarkeit und Widersprüchlichkeit, in der sich das Subjekt bewegt. Die somit über Umwege vollzogene Rehabilitation und Wiedereinführung des Subjekts und der Handlung, strukturalistisch hergeleitet, ermöglicht den Anschluss an Konzepte der Cultural Studies, der Wissenssoziologischen Diskursanalyse und der qualitativen Sozialforschung. Dennoch erscheint es in meinen Augen ohne eindeutige Evidenz nicht zielführend, das Subjekt als Akteur gänzlich aus dem Spiel zu nehmen und die Strukturen zum einzig maßgeblichen Faktor zu erheben. Die „Rehabilitierung“ des Subjekts über Umwege wiederum mit Hilfe der diskursiven Praxis und einer durch den Widerspruch bedingten zwangsläufigen Offenheit der Struktur, die dem Subjekt „als dem Anderen in mir“ Handlungsoptionen abseits einer so verstandenen Handlungsfreiheit zugesteht, erscheint mir unnötig. Im Konzept der Dualität von Struktur ist die wechselseitige Determinierung überzeugend dargelegt. Das Subjekt mag ohnmächtig, aber nicht gänzlich unwillig sein. Und die Rekonstruktion von Diskursformationen ohne die hermeneutische Suche nach Sinn, die ein sinnsuchendes Subjekt zwingend voraussetzt, erweist sich in der Forschungspraxis als unmöglich.

      Die Weigerung poststrukturalistischer Strömungen das Subjekt als solches anzuerkennen, scheint mir eher eine Frage der strukturalistischen Ehre zu sein als Notwendigkeit und der Versuch die Frage des gesellschaftlichen Wandels mit allen Mitteln ohne die Figur des Subjekts zu lösen, nicht vorranging dem Erkenntnisinteresse geschuldet, sondern eher eine Fingerübung im akademischen Elfenbeinturm zu sein. In diesem Sinne folgt diese Untersuchung dem Anliegen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse zur „Vermittlung Foucaultscher Konzepte mit der durch Peter L. Berger und Thomas Luckmann begründeten wissenssoziologischen Tradition“ (Keller, 2008, 13).

      2.4.4 Alltagsdiskurs, Spezialdiskurs, Öffentlicher Diskurs?

      Diskurse konstituieren die Bedeutung eines Phänomens (wie der Digitalisierung) auf eine bestimmte Weise. Diskurse lassen sich abstrakt, jedoch nicht konkret definieren, da sie Konzepte des Forschers darstellen. Der Diskurs ist keine Diskussion, er strukturiert stattfindende Diskussionen / Debatten zu einem Thema / Phänomen und „Diskussionen sind kommunikative Veranstaltungen, in denen verschiedene Diskurse aufeinander treffen (können)“ (Keller 2008, 236). Diskussion oder Debatte hingegen weckt eher die Assoziation an das Habermasschen Öffentlichkeitsideal des rationalen Argumentationsaustausches mit dem Ziel eines „herrschaftsfreien Diskurses“ und das ist eben nicht gemeint. Die Idee einer Freiheit von Herrschaft ist, wie wir gesehen haben, im Anschluss an Foucault absurd, weil unmöglich. Herrschaft ist immer präsent als ein spezifisches, wandelbares Kräfteverhältnis. Und auch das Ideal eines „rationalen“ Argumentationsaustausches widerspricht den strukturellen Kräften des Diskurses. Wenn man also vom Digitalisierungdiskurs spricht, meint man Diskursfragmente, in denen Digitalisierung thematisiert oder besser eigentlich konstruiert wird. Jedoch handelt es sich nicht um einen in sich geschlossenen Diskurs, sondern um eine (je nach Abstraktionsebene) Vielzahl von konkurrierenden oder koalierenden Subdiskursen, die es zu analysieren gilt. „Ausschlaggebend ist hier die vor dem Hintergrund der Fragestellung theoretisch zu bestimmende Abstraktionsebene für die jeweilige Einheit‘ eines Diskurses“ (Keller 2008, 264).

      Es ist wohl in weiten Teilen einer allgemeinen Unkenntnis der Diskurstheorie geschuldet, dass im öffentlichen Sprachgebrauch Diskurs und Diskussion synonym verwendet werden. Die auch in der Wissenschaft weitgehend praktizierte thematische Selektion und Abgrenzung zu analysierender Diskurse untermauert dieses Missverständnis. In diesem Sinne differenziert auch Keller nicht immer trennscharf zwischen Diskurs, Diskussion, Phänomen und Diskursfeld. Foucaults Interesse galt eigentlich den Strukturen und Regeln der diskursiven Formationen (z.B. der einzelnen Disziplinen wie Medizin, Jura etc.) der Spezialdiskurse der Wissenschaft und dabei theoretisch nicht den konkreten Auseinandersetzungen, sondern den abstrakten Regeln. Aus dieser Tradition heraus lässt sich die Trennung zwischen Diskurs und Diskussion leichter nachvollziehen. Der Diskurs stellt den Rahmen, das Feld des Möglichen dar, in dem sich eine Diskussion nur bewegen kann.

      Der öffentliche Diskurs ist nun, wie Keller richtig bemerkt, durch „eine diffusere Sprecherstruktur und andere Regeln der Formulierung legitimer Inhalte, die den Funktionslogiken der Massenmedien folgen“ definiert, deswegen „gewinnt hier die thematische Referenz eines Diskurses stärkere Bedeutung“ (2008, 264). Die nicht institutionell abgesicherte Trennung diskursiver Formationen und darin vorkommender Diskurse (wie im Spezial-Diskurs) erschwert die immer nur behelfsmäßig mögliche