Andy Albergue

Paprika, rot-weiß-grün.


Скачать книгу

nahmen mich mehrmals mit ihren Mopeds zum Eis essen mit, hatten jede Menge Unfug auf Lager und waren durchweg sehr lustig. Am Strand brachten sie mir Fußball Tricks bei, ließen mich bei den Erwachsenen mitspielen und formten mich dabei zu einem echten Kerl. Das gab mir auch Mut und Kraft, gegen die Zigeuner-Jungs auf der Straße, Fußball ohne Regeln zu spielen. Der Einsatz war klar. Bei einem Sieg unserer Mannschaft sollte der Ball in unserem Besitz bleiben. Wir gewannen ständig, bekamen aber statt unserem Leder paar Veilchen aufs Auge. Nach dem dritten Ballverlust spielten wir lieber von Neuem unter uns. Das Schwimmen lernen bereitete mir auch keine großen Probleme, Feri schubste mich einfach vom Steg und schickte mich zum Zoli, der bereits im Wasser wartete. Zoli entfernte sich zwar immer mehr von mir, bot mir aber eine Taucherbrille an, falls ich ihn doch erreichen sollte. Feri gab mir Zeichen, wie ich mit den Armen und Beinen arbeiten sollte, damit ich nicht so ungeschickt abtauchte. Schließlich war ich irgendwie beim Zoli angelangt und fieberte meiner Taucherbrille entgegen, die ich von meinen Onkels erhalten sollte. Die beiden freuten sich darüber, dass ich so schnell alles kapiert hatte und beichteten mir, dass eine Taucherbrille total sinnlos wäre, weil im Wasser kein Durchblick möglich ist. Damit ich wieder lachen konnte, bastelten sie mir mein erstes Boot, aber nicht aus Papier, sondern aus Schilf. Die schwungvollen Blätter bildeten dabei die Segel. Seitdem hatte ich mehrmalig wunde Hände, denn ich wollte eine komplette Flotte von diesen wunderbaren Schiffchen. Aus Schilf entstanden auch meine längsten Angelruten, die ich besaß. Schilf abgeputzt, Angelschnur mit Haken und Schwimmer dran, fertig war ein gutes Stück. Ein Angelschein war für diese primitive Variante des Fischens nicht erforderlich. Auch Jahre später mit einer richtigen Angel konnte diese Leidenschaft ohne Prüfung und einen Haufen Gebühren betrieben werden. Irgendwann hatte ich damit aufgehört, weil ich die Fische nicht einfach aufklatschen konnte, damit sie Ruhe gaben. Zu Hause erzählte ich, das endlos nur Fisch essen langweilig und einseitig wäre. Auch die Platanen Bäume standen manchmal im Wege, beim Werfen nach vorne verhedderte sich die Angelschnur in der Baumkrone. Wenn ich dann Stunden später alles befreit hatte, war ich pappen satt. Dennoch hatte diese Beschäftigung etwas Schönes an sich, denn beim Sitzen und Warten auf den großen Fang, schaute man auf das hügelige Nordufer und auf den für mich schönsten Punkt, den flachen Berg Badacsony (Badatschonj).

      Als ich Badacsony das erste Mal sah, erzählte mir ein Fischer, dass unter dem Berg ein Riese liegt, der den Plattensee mit seinen überdimensionalen Füßen er-schaffen hat, nachdem er Tage lang aus Langeweile nur hin und her gelaufen war. Vor Erschöpfung legte er sich hin und schlief ein. Er wachte nie wieder auf und wurde mit der Zeit überdeckt mit Laub, Erde und Baumrinde. Irgendwann musste ich erfahren, dass diese Geschichte nur erfunden war, um mich zu beeindrucken. Nach der Legende her lebten nämlich vor langer Zeit mehrere Riesen in dieser Landschaft. In den Felsen des Badacsony lebte Balaton, der letzte Riese mit seiner Tochter. Sie hatte einen guten Draht zu den Menschen und sogar eine Freundin zum Spielen. Das Menschenkind wuchs aber rasch heran und hatte sie am Ende verlassen. Das verkraftete sie nicht und starb vor Kummer. Balaton wollte für sei-ne Tochter ein hübsches Grab errichten. Zu seinem Leidwesen stand ein sehr großer Stein im Weg, der von den Nymphen als Altar diente. Als er den Stein anhob, verlor er sein Gleichgewicht und wurde von dem schweren Stein erschlagen. Danach brach überall Wasser hervor, was Tage lang den Weg ins Tal suchte. Als die Menschen sich nach dieser gewaltigen Flut wieder hinaus trauten, sahen sie einen See mit sanften Wellen. Das große Wasser mit seiner grün-blauen Farbe wird seither Balaton genannt.

      Ich hatte irgendwann den idealen Ausgleich gefunden, wie sollte es auch sein, wieder durch meine Onkels. Sie weihten mich ins Melonenkernweitspucken ein. Ich konnte lange üben, denn ich hatte eine ganze Menge von Kernen, weil ich übermäßig viel von dieser wunderbaren Frucht gegessen hatte. Nicht selten konnte ich nichts anderes mehr zum Abendbrot essen. Schon der Name ,,dinnye’’ (dinje) war verführerisch, dazu noch diese glänzend grüne, dicke Schale und das rote, saftig süße Fruchtfleisch. Und diese gigantischen Größen! Teilweise konnte ich nur halbierte Melonen tragen, aber zum Glück musste ich mich nicht so lange abschinden, denn das Weitspucken hat nicht lange auf sich warten lassen. Manchmal gab es auch frische Pfirsiche, die auch sensationell schmeckten und fast die Größe von ei-nem Handball hatten. Oft, wenn ich die riesigen Haufen von Melonen sah, die pyramidenförmig und menschenhoch aufgebaut waren, stellte ich mir vor, wie es wäre, eine der Pyramiden in eine Lawine umzuwandeln. Kein Wunder, das ich solche Gedanken hatte, denn dabei fiel mir dauernd die Geschichte ein, die meine Mama aus ihrer Kindheit erzählte. Sie wollten gerne an einem Tag, als sie mit ihren Geschwistern auf dem so gut nach Gewürzen und süßem Obst duftenden Markt unterwegs war, ein Stück Melone kosten. Es war nicht unüblich, dass die Früchte mit einem speziellen Messer vor dem Kauf angebohrt wurden, um dem Käufer eine Kostprobe zu ermöglichen. Manche boten sogar kleine Scheiben an, damit sie ihre schmackhafte Ware noch schneller an den Mann bringen konnten. Dann gab es noch die Händler, die auch mal nur so ein Stückchen verteilten, um den gierig guckenden Kindern eine Freude zu bereiten. Die Geschwisterkinder hatten an diesem besagten Tag kein Glück, denn der grimmige Melonen Verkäufer gehörte zu keinem der beschriebenen Kaufleute. Er war ein unfreundlicher Mensch, der zuerst nach dem Geld fragte, bevor er von der Melone was abgeben wollte. Die Münzen hätten nicht einmal für eine halbe Melone gereicht, daher hatte er auch keine Muse, für jeden einen Bissen zu genehmigen. Außerdem fand er es äußerst anstrengend, für das vorhandene Geld, 3-4 Scheiben von einem angerissenen Stück abzuschneiden, oder sogar eine ganze Melone zu vierteln. Er beschimpfte lieber die Kinder und jagte sie zum Teufel. Daraufhin schmiedete die Mama mit den anderen einen Racheplan. Als der böse Mann sich wieder mit anderen Leuten beschäftigte, stellte sie sich an die Seite, und die Geschwister liefen alle nach unten, wo der Markt an einer steilen Straße endete. Nach dem vereinbarten Zeichen und dem günstigsten Moment, schubste die Mama - die kleinste, aber mutigste von allen - in einem unbemerkten Augenblick mit voller Wucht die am untersten Rand stehende Melone weg. Sie rannte davon und der hohe Turm viel langsam, aber komplett auseinander. Der Händler wusste nicht, hinter welcher Melone er zuerst rennen sollte. Einige konnten von den Marktbesuchern angehalten werden, manche knallten an die seitlichen Mauern des Marktgeländes und sprangen in mehrere Stücke, die meisten aber rollten unter die Verkaufsstände bzw. bis nach unten, wo die Kinder schon warteten. Den schönsten und größten hob der stärkste Bruder auf, danach liefen alle mit lautem Siegesgeschrei in Richtung Strand, wo sie sich auf der Wiese mit einer riesigen Scheibe belohnten und über den Verkäufer mit seinem verzweifelten Blick lachten. Die Gier und Boshaftigkeit des Händlers zahlte sich somit nicht aus, denn er musste mehrere kaputte Früchte wegwerfen und in der verlorenen Zeit auch noch auf ei-nige potenzielle Käufer verzichten. Der Mann wur-de nie wieder gesehen, man munkelte, er hätte nur einen Hänger voll Melonen offiziell auf den Feldern gekauft, den Rest in der Dunkelheit der Nacht, mit dem gleichen Hänger geklaut. Niemand musste ihn somit bedauern und zusätzlich erhielt er noch eine gerechte Strafe, die er mit Sicherheit sein ganzes Le-ben nicht vergaß.

      Ich kann mich in der Nähe vom Markt an eine alte Zigeunerin erinnern, die mehr Finger als Zähne hatte. Sie war bunt angezogen, dreckig und voll be-hangen mit Goldketten und unechtem Schmuck. Ihr tiefbraunes Gesicht mit den stechend schwarzen Au-gen kamen unter einem fransigen Kopftuch zum Vorschein. So stellte ich mir eine Schamanin oder Hexe vor und wenn sie gesprochen hat, bin ich nur so zusammen gezuckt. Aber ihre, in einer Schale, auf offenem Holzfeuer gerösteten Esskastanien, waren einfach grandios. Dieser eigenartige Duft und Geschmack! Kein Vergleich mit den Maronen auf dem Weihnachtsmarkt. Eine andere Variation von dieser Frucht - die ich auch sehr mochte - war Kastanienpüree mit Schlagsahne, was auf dem Teller aussah, wie graue Spaghetti unter einer weißen Haube.

      Überhaupt waren meine Mama und meine Oma glücklich, wenn ich gut gegessen hatte und zu-frieden war. Schwer fiel mir das nicht, denn die Speisen waren sehr köstlich und für meinen Geschmack gut gewürzt. Abermals wünschte ich mir ,,palacsinta’’ (palatschinta › Eierkuchen / Pfannkuchen) mit Marmeladen- oder Vanilletopfen-Füllung und Schokoladen-Soße bzw. ,,pogi’’ (Pogatschen › ein Gebäck aus Kartoffelteig), die ich gleich aus dem Ofen, warm in den Mund und in die Hosentaschen steckte. Kein Krümel blieb übrig. ,,Lángos’’ (Langosch) war auch eine Spezialität von Nagyi, die viel besser schmeckten, als die vom Strand. Schön mit Knobi-Öl, saurer Sahne und geriebenem Käse! Dazu