Andy Albergue

Paprika, rot-weiß-grün.


Скачать книгу

oder ähnlicher Aussprache, haben völlig andere Bedeutungen, höchste Achtsamkeit ist geboten und sehr empfehlenswert!

      Diese Erfahrung musste selbst mein Papa machen, als er mich mal besuchte. Wir waren zusammen in Keszthely die Verwandtschaft besuchen und saßen gemütlich in einem Café am Strand. Mein Pa-pa wollte für uns Getränke bestellen. Zwei Kaffee, eine Cola und Weinschorle für die anderen. Ich ging mal kurz um die Ecke und als ich zurückkam, standen statt zwei, sieben Tassen Kaffee auf dem Tisch. Nach diesem Malheur hatte er beschlossen, mich als seinen persönlichen Dolmetscher bei sich zu haben, wenn er in Ungarn war. Ich fühlte mich wohl dabei und wie ein kleiner Diplomat. Mein nächster Einsatz als Übersetzer ließ nicht lange auf sich warten, denn meine beiden Onkels legten meinen unwissenden Papa ganz schön rein. Er fragte mich irgendwann, als wir unterwegs waren, warum die Leute eigentlich nicht antworten, wenn er sie freundlich begrüßt. Ich erklärte ihm dann, dass diese Art von Begrüßung nicht für die zarten Ohren eines Achtjährigen wäre, weil die Bedeutung eine mittelschwere Beschimpfung sei (vergleichbar mit dem heutzutage gängigen ,,f... you’’) und daher bei weitem nichts mit ,,Hallo’’ zu tun habe. Beim nächsten Treffen mit den Übeltätern war aber alles wieder gut, sie lächelten zwar verschmitzt, erklärten jedoch meinem Papa ihre Freundschaft:

      »Mücke, Du guter Schwager, wir Frainde, ja?

      Du nicht böse, oder?«

      Aha, Mücke mit knapp 190 cm und weit über 100 kg. Das war meine erste Lektion in: ,,Die Ungarn übertreiben ein wenig’’. An dieser Stelle sollte ich mal erklären, dass die Ungarn vieles verniedlichen und abkürzen, siehe auch bei den Namen. Vati wurde somit neben Mücke auch zu Wolfi, aus Wolfgang, wie soll es auch anders sein. Ein sehr schönes Beispiel zur Entstehung eines Kosenamens ist der Name meines Cousins István (Ischtwan). Aus István entstand Isti, da aber István sehr verbreitet ist und somit jeder Isti heißt, leitete man daraus Pisti ab. Weil mein Cousin seit der Geburt an klein war, entwickelte sich daraus Istike (also der kleine Isti). Letztendlich nannten ihn alle Stike (einfach das ,,I’’ vorne weg gelassen) weil er die Bezeichnung ,,Der Kleine’’ nicht prickelnd fand.

      Ich wollte übrigens auch gern anders, als André gerufen werden, weil ich dauernd den Namen erklären musste. Andi wäre doof gewesen, weil, Andi aus Andrea kommt, somit weiblich ist. In Österreich hätte Andi vielleicht eine Chance gehabt, eher als Andy, aber so, nee. Mir blieb also nichts anderes üb-rig, als meine halbe Lebensgeschichte immer wieder neu zu erzählen und mich wegen meiner erheblichen Vorliebe für Haselnüsse als ,,mókuska’’ (mokuschka › kleines Eichhörnchen) bezeichnen zu lassen. Später, nachdem ich einen kleinen Bruder bekam, wurde ich der große Bruder. Dieser Begriff lautete ,,testvér’’, abgekürzt ,,Tesi’’. Dieses Wortspiel könnte man mit der englischen Definition ,,Brother’’ erklären: aus ,,Brother’’ wird ,,Brodi’’. Wenn ich bei meinen Ferienbesuchen von diesen Sachen erzählte, hörten alle spannend zu und da ich in Ungarn andauernd Tomaten und Paprika aß, wollte ich bei Oma und Opa nur noch Gurken bekommen. Weil ich davon jeden Tag zwei ganze vertilgte, gab mir Opa Heinz sinngemäß den Spitznamen Gurki.

      Auch der deutschsprachige Einfluss in Ungarn hinterließ Spuren. Gerne wurden deutsche Wörter in ungarischen Redewendungen verwendet, oder mit ungarischen Wörtern vermischt bzw. witzige Sprüche entstanden, die auch wir gerne bei einer Begegnung eines Touristen anwandten. Mein Lieblingsspruch war, wenn ich deutschen Urlauberkindern be-weisen wollte, dass ich auch ihre Sprache beherrsche:

      »Ancik, cvancik, segged látszik!«

      (Einzig, zwanzig, dein Arsch guckt raus!). Das hierbei die Zahl ,,Einzig’’ - was gar nicht existiert - für die Zehn steht, ist nebensächlich. Vieles wird auch sehr umfangreich beschrieben, was normalerweise mit wenigen Worten zu erklären wäre, aber dann könnten die Leute, die gerade erzählen, nicht so viel gestikulieren. Beide Arme werden dabei ständig benutzt, manchmal könnte man denken, die Erzähler machen Karate oder wollten eins von Millionen der stechenden Biester fangen. Die Magyaren (Madjaren) sind zwar nicht so laut, wie die Italiener, aber die Körperhaltung, die Blicke und der Gesichtsausdruck je nach Befinden, betonen außerordentlich das Gesagte. Gemein mit den Italienern sind auch die Farben der Flagge: rot, weiß, grün. Als Eselsbrücke las-sen sich die Anordnung der Farben wie folgt merken: Bei Ungarn waagerecht, wie die Wellen des Ba-latons, bei Italien senkrecht, wie die Richtung beim Eis lecken. Meine Onkels hatten natürlich ihre eigene Version:

      ,,Piros, fehér, zöld, ez a magyar föld! Piros, fehér, fekete, ez a magyar feneke!’’ Übersetzt: ,,Rot, weiß, grün, ist das ungarische Land! Rot, weiß, schwarz, ist des Ungars Hintern!’’

      Die Verabschiedung von einer Feier bzw. in der Gaststätte wird nicht einfach mit einem kurzen ,,Tschüss’’ oder Kopfnicken abgegolten, wer geht, sagt in die Runde: ,,Köszi-hello-sziasztok!’’ (Danke- tschüssi-macht’s gut!). Auch ein einfaches ,,igen’’ für ,,ja’’ reicht nicht aus. Um eine bessere Betonung zu erreichen, wird daraus ,,igen-igen’’ (ja-ja) und damit auch die Wirkung nicht verfehlt wird, entsteht: ,,igen, persze, hogyne, kérlek!’’ (ja, klar, natürlich, ich bitte dich!). Die höchste Stufe der Staffelung erreichen die Ungarn aber beim Fluchen. Das klingt wie eine Erzählung, wenn jemand beschimpft wird, hat aber meistens nur eine Bedeutung und soll auf den Betroffenen einwirken. Dieser soll ganz klein werden und auch nicht zu Wort kommen. Es wird nicht nur diese eine Person beschimpft, sondern auch seine Mutter, sein Gott, sein Hund, und sogar die osmanischen Besetzer des Landes vor vielen Jahren.

      Mit diesem überdimensionalen Wortschatz und meinem Sonderstatus - was mich zum Anführer unserer Clique machte - wurde ich bald zum Schrecken der Schule. Nicht nur mit Worten, auch mit meiner Faust teilte ich aus. Ich musste immerhin die Ehre meiner Mutter verteidigen und mich als ,,Andi’’ zu nennen (bin doch kein Mädchen!) ließ ich auch nicht zu. Manchmal musste ich auch meine Tennisbälle zurückerobern, denn die waren Gold wert. Vor allem von Tennisspielern aus Deutschland oder Österreich, denn die waren besser und einfach schöner. Wenn ich dann auch noch die Büchsen zum Aufbewahren, vielleicht noch mit der Aufschrift Slazenger und dem Logo des schwarzen Panthers erhielt, weil ich so ein braver Balljunge war, fühlte ich mich wie der Größte. Mehrfach bekamen meine Gegner Gras-büschel statt ,,dinnye’’ in den Mund, mussten aus dem Fahrradständer oder vom Kletterhäuschen befreit werden und hatten blau Flecken überall. Das ich zu Hause durch die strengen Erziehungsmaßnahmen

      in ähnlichen Farbtönen erstrahlte, war mir egal.

      Mehr oder minder wurde mir ,,te pici betyár’’ (tä pitsi bätjar) gesagt, was mich stolz machte, weil ich gerne ein kleiner Rüpel war. Betyaren waren im 19. Jahrhundert als Volkshelden angesehen, obwohl sie eigentlich als Banditen auftraten, so ähnlich, wie in Irland die Highwaymen. Sie nahmen alles, teilten aber gleichzeitig. Welche Behauptungen richtig oder falsch waren, konnte ich nie herausfinden. Jedenfalls war ich gerne ,,Tesi betyár’’, der Robin Hood vom Balaton. Niemand durfte mich beleidigen oder als Schwächling betiteln. Anerkennung einer anderen Art konnte ich jedoch durch mutige Aktionen einheimsen. Ich schaute nie weg, wenn meine schwächeren Mitschüler Ärger bekamen. Ich musste als Beschützer der ,,Kleinen’’ auftreten, was sogar die Lehrer an mir schätzten. Dennoch war ich nicht in der Lage, es zu vermeiden, dass ich in der 5. Klasse mit 13 Eintragungen (2 davon vom Direktor höchstpersönlich) nach Hause ging. Keiner verstand, wieso ich trotz meiner Wildheit in 10 Fächern von 12 nur Einsen hatte. Es folgten Hausarrest, Beschlagnahmen der Autokarten und Matchboxes, sowie stundenlange Aussprachen. Zum Schluss waren wir alle einig, ich sollte als Ausgleich Sport treiben. Wie ich nachträglich erfuhr, hatte diese Freizeitbeschäftigung für mich eine befreiende Wirkung.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно