Andy Albergue

Paprika, rot-weiß-grün.


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Teile jederzeit essen können, wenn ich Appetit dazu bekam. Meine ersten Versuche jedoch waren nicht so erfolgreich. Den Teig anzurühren war kinderleicht, man benötigte für 12 Stück 150 g Mehl, 1 Ei, 0,3 L. Milch, 0,1 L. Sprudelwasser (dadurch wurden Sie richtig fluffig), ein wenig Salz und Zucker. Dass schlimmste war aber das Wenden in der Pfanne aus dem Handgelenk. Der erste landete mit viel Schwung auf meiner Schulter, der zweite gleich mit der Pfanne hinter mir. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten hatte ich dann doch noch den Dreh raus und verfeinerte meine Wurfkunst bis zur Perfektion, mit einem doppelten Salto.

      Meine Zufriedenheit krönte das Milcheis in allen Variationen im Café am Ende unserer Straße, wo die älteren Herrschaften, neben Wein auch den besten Espresso oder Mokka von Keszthely zu sich nahmen. Kaum war ich zu Hause angekommen, waren die meist zwei Kugeln samt Waffel alle. Nagyi fragte oft, ob ich überhaupt im Café war, oder wieder irgendwelchen Quatsch gemacht hatte. Ich verstand nie ihre Aufregung, Mist baute ich allemal erst nach dem Eis essen. Einmal war sie aber so richtig sauer. Sie hätte lieber ihre silberne Zigarettenspitze und die Kippen wegräumen sollen. Ich stand in aller Ruhe hinter einem Holzhaufen im Garten und die Nachbarn wunderten sich, warum Rauch aufstieg. Es kam nie wieder bis zu meinem 16. Lebensjahr vor, dass ich gepafft hatte, denn ich wollte sie keinesfalls enttäuschen und meiner Mama Ärger einbringen. Außerdem, wie hätte das nur ausgesehen, kurz vor der Einschulung mit einer Zigarette in der Hand.

      Ich freute mich lieber auf den großen Tag, endlich mit meinem Schulranzen aus Leder loszuziehen und die 44 Buchstaben des ungarischen Alphabets zu lernen. Im Ungarischen zählen - im Gegensatz zum Deutschen - auch die Buchstaben wie Ő und Ű neben Ö und Ü (der Unterschied liegt in der kurzen oder langen Betonung) sowie die Digraphen (cs, dz, gy, ly, ny, sz, ty, zs) und der Trigraph (dzs) als eigener Buchstabe. Zum Nachzählen:

      A, Á, B, C, CS, D, DZ, DZS, E, É, F, G, GY, H, I, Í, J, K, L, LY, M, N, NY, O, Ó, Ö, Ő, P, Q, R, S, SZ, T, TY, U, Ú, Ü, Ű, V, W, X, Y, Z, ZS.

      Als eine Besonderheit in der Rechtschreibung gilt die Regelung, dass Substantive nicht groß geschrieben werden (wie im bisherigen Textverlauf schon vorgekommen und zu sehen war). Was aber noch interessanter erscheint, könnte die Tatsache sein, dass die ungarische Sprache vermutlich annähernd so viele Fälle hat. Sprachwissenschaftler meinten, dass die Anzahl der Fälle nicht einmal der Teufel errechnen könnte, einigten sich aber schließlich auf 23 und gaben gut klingende Namen, wie Instrumental, Delativ, Essiv, Inessiv, Elativ, Illativ, Terminativ, temporaler Distributiv usw. Die Fallbeschreibungen wurden hinterlegt in einem Buch mit dem Titel ,,Ungarisch ohne Mühe’’. Hier wird auch beschrieben, dass es noch weitere Fälle gibt, die eigentlich gar keine echten Fälle, sondern nur Orts-, Zeit- und Modalbestimmungen sind. Wertet man dennoch die Umstandsbestimmungen nach Art und Weise als Fälle, haben wir die 40-er Marke überschritten. Wenn jemand jetzt noch an das Fachbuch ,,Un-garisch ohne Mühe’’ glaubt, der sollte sich lieber ärztlich untersuchen lassen, oder nebenbei mit Chinesisch anfangen. Die Zahlen kannte ich mittlerweile, denn mein Eiskonsum erhöhte sich bis dahin drastisch und ich musste ja irgendwie meine Bestellung abgeben können. Ich sollte in die Klasse 1z kommen. Z stand für ,,zene’’, also Musik. Bis dahin spielte ich nur Luftgitarre oder trommelte auf Omas Einweckgläser. Daher sollte ich lieber was Richtiges mit Musik lernen, bevor wir alle sauren Gurken vom Boden auflesen mussten.

      Kurz vor der Einschulung erhielt ich eine Postsendung vom Papa, mit Anziehsachen, Buntstiften und einem anderen Paket, voller Süßigkeiten. Ich futterte fast das ganze Naschen mit meinem Freund aus der anderen Straße auf, zur Freude meiner Mama. Sie war trotzdem nicht böse, im Gegenteil, sie amüsierte sich über uns, weil wir mit dem bunten Karton, wo die Süßigkeiten drin waren, abwechselnd auf dem Kopf rumrannten und uns dabei wie Ritter benahmen. Kurz danach klärte sie uns auf, wir hätten meine Zuckertüte ruiniert. In Ungarn gibt es aber keine Zuckertüte, dieser Brauch ist unbekannt, daher war unsere Aktion halb so wild und wir gaben auf dem Klassenfoto ein gutes Bild ab.

      Die große Familie hielt getreu zusammen und alle versuchten den Kontakt so oft, wie es nur ging zu pflegen. Zu Geburtstagen, Weihnachtsfeiern und Silvester trafen sich alle, die konnten, bei der Omi Rózsi oder bei einem der Geschwister, und reisten an mit der ganzen Kinderschar. Weihnachten war nicht so mein Ding, obwohl es reichlich Geschenke gab. Ich hatte Angst vor dem Krampus und nicht einmal der Weihnachtsmann konnte nach all den Jahren meinen größten Wunsch erfüllen. Mein Papa sollte auch mit unter dem Weihnachtsbaum sitzen, ein Buch vorlesen, mit uns spielen, oder einfach eine Kerze anzünden - für diejenigen, die nicht mit uns feiern konnten oder nicht mehr unter uns waren - und still den Abend genießen. Der Krampus war eine Teufelsgestalt, in Begleitung des heiligen Nikolaus, wie auch in vielen Ländern (Österreich, Süd-tirol, Norditalien, Kroatien). Während der Nikolaus die braven Kinder beschenkte, wurden die Rüpel vom Krampus mit der Rute bestraft. Er ähnelte somit in der Funktion des Helfers vom Weihnachts-mann, dem sonst bekannten Knecht Ruprecht. Meine Angst war somit berechtigt, denn brav war für mich eher ein Fremdwort.

      Ich war in der Schule gut, hatte keine Probleme, mich zu verständigen oder zu lernen. Die anderen Kinder waren kontaktfreudig, alle wollten wissen, warum ich einen französischen Namen habe, den es in Ungarn nicht gibt und woher ich komme. Für meine Erzählungen gab es manchmal ,,túrórudi’’, eine kleine, feste Quarkspeise im Schokomantel auf die Hand. Ich hatte es richtig gut, wurde verwöhnt. Nur beim Fasching hatte ich nie Glück, wenn die schönsten Kostüme prämiert wurden. Kein Wunder, denn jeder Junge in der Klasse war als Cowboy gegangen, nur ich tanzte aus der Reihe. In der 2. Klasse war ich ,,Teknöc Ernö’’, eine Schildkröte aus einem ungarischen Trickfilm. Aber bitte schön, welche Schildi hat eine kurze bayrische Lederhose, Augen aus Tischtennisbällen und Ohren aus Watte, unter einer bemalten Strumpfhose. Als bekloppter Bankräuber hätte ich wahrscheinlich gewonnen.

      Die gleichen Geschichten meiner Herkunft konnte ich bald erneut vortragen, denn meine Mama lernte Géza kennen und wir zogen mit Ihm in den Sommerferien nach Balatonboglár, so dass ich die 3. Klasse schon im neuen Wohnort beginnen konnte. Nagyi war nicht weit weg, ca. eine drei viertel Stunde Autofahrt entfernt. Wir besuchten sie oft und auch Ostern und Weihnachten feierten wir im Kreise der Großfamilie. Dieser Zusammenhalt war schön und hat mir sehr geholfen, mich nicht alleine zu fühlen.

      Die folgende Zeit war schwerer, aber voller Überraschungen. Als neue Spielplätze entdeckten wir die Maisfelder mit unendlichen Weiten, wo wir uns sehr gut verstecken und gegenseitig mit Maiskolben bewerfen konnten. Auch Boglár lag am Balaton, also war das Wasser noch da. Ich lernte Ruderboot und Fahrrad fahren, und dass man Maiskolben nicht nur als Wurfgeschoss benutzen, sondern auch als Speise verwenden kann, nämlich weich gekocht und gesalzen. Eine sehr leckere Zwischenmahlzeit. Am Strand fuhren dauernd Räder mit einem Metallbehälter vor dem Lenker oder einem Anhänger hin und her, vollgepackt mit ,,fött kukorica’’.

      In der Schule erfuhr ich immer mehr, wie schwer, aber vielfältig die einheimische Sprache ist. Ungarisch gehört zum finno-ugrischen (auch finnugrischen oder ugro-finnischen) Zweig der uralischen Sprachfamilie und zählt somit nicht - wie die meis-ten europäischen Sprachen - zur indogermanischen Sprachfamilie. Sie ist im südmitteleuropäischen Raum verbreitet und wird von ca. 15 Millionen Menschen gesprochen. Ungarisch ist nicht nur wegen seines Wortschatzes andersartig. Von der Struktur her sind die Wörter nicht selten eine erstaunlich lange Kette aus Elementen, die logisch geordnet aneinander geheftet werden. Wirklich gute Beispiele, die sich zum Üben hervorragend eignen, befinden sich auf den Ortsschildern am Straßenrand, wie ,,Mosonmagyarovár’’, ,,Balatonmáriafürdö’’, ,,Török-szentmiklós’’ oder ,,Nemesboldogasszonyfa’’. Letzteres könnte vom Sinn der Wörter her (Adelsglückfraubaum) bedeuten: eine adlige Frau, die glücklich war, schenkte der Siedlung bei der Gründung einen hübschen Baum, woraufhin die Einwohner einen Ortsnamen erfanden, der sie für alle Zeit ehrte. Für Anfänger gibt es natürlich auch Ausnahmen, dabei reden wir hier tatsächlich von Ortsnamen und nicht von Abkürzungen oder chemischen Elementen: Ág, Bö, Ör, Sé. Das schönste ist aber, im Ungarischen gibt es kein grammatisches Geschlecht, kein ,,Sie’’ und ,,Er’’. Außerdem, in welcher Sprache findet man schon Sätze, die vor- und auch rückwärts gelesen werden können. ,,Géza kék az ég’’ bedeutet: ,,Géza, der Himmel ist blau’’. Von rechts nach links gelesen hat dieser Satz nach wie vor die gleiche