Mario Ziltener

Flucht von der Hudson Bay


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zwei oder drei Monaten gedacht.“ „Wie soll denn das gehen? Du hast ja eine Firma, die kannst du doch nicht einfach so lange sich selbst über­lassen!«

      »Warum denn nicht? Ich habe ja bestausgebildete Führungsleute, die auch sonst ohne mich entscheiden. Die können das sicher selber machen. Schliesslich werde ich ja auch einmal älter und werde mir Gedan­ken darüber machen müssen, was mit der Firma ge­schehen soll, wenn ich mich zur Ruhe setzen will.«

      »Das hat noch mindestens zwanzig Jahre Zeit! Warum machst du dir denn bereits jetzt darüber Gedanken?“ „Ich glaube, das Gespräch droht gerade aus dem Ru­der zu laufen. Es ging an und für sich darum, ob du dir eine zwei - bis dreimonatige Abwesenheit vorstellen könntest, um nichts anderes.«

      »Vorstellen schon, nur…. «

      »Nur, was?«

      »Wie ich schon sagte: die Firma, das Anwesen und die sozialen Verpflichtungen.«

      »Für das Haus haben wir ja Bedienstete, die sich um alles sorgen, soziale Verpflichtungen rennen uns da­durch ja nicht weg und das mit der Firma lass einfach meine Sorge sein. Sonst interessierst du dich ja auch nicht sonderlich für die Firma.«

      »Ist ja schon in Ordnung, Eddie. Ich habe lediglich meine Bedenken geäussert und habe dich nicht angrei­fen wollen. An was für eine Reise hattest du denn gedacht? Asien?«

      »Könnte man auch einschliessen. Eigentlich hatte ich an eine Kreuzfahrt gedacht.«

      »Kreuzfahrt? An ein schwimmendes Altersheim? Mit solchen Anlässen wie Gruppenbingo: Oberdeck gegen Mitteldeck?«

      »Ich hatte mir schon gedacht, dass du so reagieren würdest.«

      »War aber auch klar. Jeder der einigermassen normal denkt würde wohl so reagieren!«

      »Stell dir nun aber mal vor, wie ich mich fühle, wenn ich an irgendeinem Ort in einem Hotel bin und von dort aus Ausflüge mache. Jeder weiss, wer ich bin, meine Manager wissen ganz genau, wo sie mich errei­chen können. Dank der Sekretärin. Pausenlos treffen Faxmitteilungen und Anrufe ein. Auch hätte ich dort die Gelegenheit jederzeit abzureisen und müsste der Versuchung widerstehen, mein Handy mitzunehmen.«

      »Komm auf den Punkt. Das ist doch alles strategi­sches Geschwafel!«

      »Auf einem Luxusdampfer haben wir dieselben An­nehmlichkeiten wie in einem Luxushotel, wir können nicht täglich abreisen und auch wenn mir die Manager in der Firma Faxmitteilungen senden wollten, dann können sie mich nicht erreichen, denn ich werde ihnen die Faxnummer des Schiffes einfach nicht mitteilen, weil ich sie selber ja gar nicht habe. An der Sonne liegen kann ich auch, im Pool den Hintern befeuchten ist auch kein Problem, gutes Essen, Kino und Bars gibt es auch. Wenn ich dies alles unter dem Strich ansehe, tönt das für mich ziemlich erholsam und ru­hig. Des Weiteren sind wir jeden oder mindestens jeden zweiten Tag an einem anderen Ort und können wieder einen Ausflug machen, oder sonst etwas unter­nehmen.«

      »Da hast du wirklich recht. Von dieser Seite aus habe ich es noch gar nie betrachtet. Ich habe immer nur die Angst gesehen, drei Monate mit denselben bornierten Leuten am selben Tisch sitzen zu müssen, alle drei Tage dasselbe zu essen und zur Berieselung an den lauen Abenden irgendwelchen drittklassigen, abge­droschenen Schlager- oder volkstümlichen Kapellen lauschen zu müssen. Dies hatte mich schon beängs­tigt! Zugegeben.«

      »Wenn du mir die Zusage gibst, werde ich gleich morgen die entsprechende Buchung platzieren. Dann wären wir spätestens Ende der kommenden Woche auf See.«

      »Bedenken habe ich zwar immer noch einige, aber an den Landtagen kann ich ja immer noch nach Hause reisen.«

      »Das heisst also ich kann buchen.«

      »Ja, kann man so verstehen.«

      »Also, das mache ich dann und danach ist gebucht und es gibt kein Zurück mehr. Aus, Ende und gefangen.«

      »Ja, das habe ich schon verstanden.«

      »Gut, dann werde ich mich jetzt noch ein wenig ins Arbeitszimmer zurückziehen und das eine oder andere vorbereiten. Morgen werde ich einen anstrengenden Sitzungstag haben. Um da von Anfang an topp dabei zu sein ist es nötig, gut vorbereitet zu sein.«

      Eddie erhob sich, schob seinen Stuhl zurück und verliess das Esszimmer. Wie jeden Abend blieb Shannon alleine im Esszimmer zurück. Sie hatte sich längst daran gewöhnt.

      Letzte Vorbereitungen

      Kaum hatte Eddie das Firmengebäude betreten, wurde er bereits auch schon von seinen Managern bedrängt. Sie rannten ihm nach, stürmten mit ihm in den Aufzug und jeder wollte etwas von ihm. Jeder glaubte wichti­ger zu sein als die anderen. Keiner aber schien wahr­nehmen zu wollen, dass Eddie noch nicht ganz bei der Sache war. Heute störte es ihn besonders, er steckte es aber weg, um seinen bevorstehenden Urlaub auf Hochsee wissend. Um sich seinen Abstand zu gewäh­ren beschloss er, ihnen einfach nicht weiter zuzuhören und dafür später am Tag eine Sitzung einzuberufen. Dann würde er über die zu verteilenden Aufgaben sprechen und noch einmal nachfragen, was die Atta­cke im Lift hätte bedeuten sollen. Manchmal glaubte er zu spüren, dass er nicht mehr ernst genommen wur­de und die Geschicke der Firma längst in anderen Händen lagen, ohne jemals offiziell transferiert wor­den zu sein. Genau so würde er vorgehen. Die Türen öffneten sich und Eddie zwängte sich an seinen Schmeissfliegen-Managern vorbei, schritt den Flur hinunter, grüsste Tammy flüchtig und verschwand in seinem Büro. Die Türe knallte hinter ihm zu und er liess sich rückwärts gegen die geschlossene Tür fallen, blieb einige Sekunden so stehen. Es war ihm klar, dass er die Macht über das Ruder wieder gewinnen musste, wenn er die verbleibenden Jahre bis zum Ru­hestand noch in der Firma bleiben wollte. Eigentlich konnte er es sich in der Situation nicht leisten lange Zeit wegzufahren. Aber dieser Urlaub konnte er ja auch nutzen um neue Führungskonzepte auszuarbeiten, solche, die er nach seiner Rückkehr ohne Rück­sicht auf Verluste umsetzen würde.

      Der Entschluss war gefasst: Er würde ein Konzept ausarbeiten. Eines, das vielen seiner Führungskräfte den Kopf kosten würde und ihm die Kontrolle über die Firma zurückgeben konnte. Dafür brauchte er einige Zeit und vor allem Ruhe. Die Lösung war die Kreuzfahrt. Mit einigen Schritten erreichte er seinen Schreibtisch, stellte die Aktentasche ab, lockerte seine Krawatte und griff zum Telefon. Eddie wählte die Nummer eines der Reisebüros, aus welchen die Kata­loge stammten und buchte die Kreuzfahrt. Beginnend und endend in Southampton, dazwischen Mittelmeer, Suezkanal, Asien, der Pazifik und die Karibik. Eigent­lich eine Weltreise. Die Dauer der Reise war mit drei Monaten angegeben und diese drei Monate kosteten die Kleinigkeit von einigen Zehntausend Pfund Ster­ling - pro Person, wohlverstanden. Eddie vereinbarte einen Termin mit der Reiseberaterin, fuhr hin und bezahlte den ausstehenden Betrag ausnahmsweise bar. Er hatte sich vorgenommen, in Zukunft des öfteren Bargeld zur Bezahlung zu nutzen. Eine Art der Kur also.

      Tammy wunderte sich bereits den ganzen Tag dar­über, dass Eddie sie in Ruhe liess. Kein Diktat, keinen Anruf; nicht einmal die Bitte nach einem der Kunden­dossiers. Er benahm sich beinahe so, als wäre Tammy gar nicht anwesend. Ausser: Er meldete sich ab, als er das Haus verliess, um die Reise zu bezahlen und die Tickets abzuholen.

      »Tammy, ich bin ausser Hause für ungefähr zwei Stunden. Bitte berufen sie eine Managementsitzung ein, nachmittags gegen vier Uhr. Richten sie das Sit­zungszimmer her, bestellen sie einige Blumen und sehen sie zu, dass genügend Tee für alle da ist. Also bis dann!«

      Ohne eine Antwort abzuwarten war er schon im Auf­zug verschwunden. Tammy fragte sich, was er denn anzukündigen haben könnte, denn normalerweise waren die Sitzungen weder am Nachmittag, noch gab es Tee. Sie vermutete eine geglückte Firmenüber­nahme dahinter, es hatte davon ja schon einige gege­ben im letzten Jahr. Sie tat wie ihr aufgetragen, press­te den Hörer ans Ohr und rief eine Sekretärin nach der anderen an um die Daten der Sitzung zu übermitteln. Als sie endlich damit fertig war, war die Mittagszeit bereits gekommen und sie beschloss sich einen Imbiss zu holen.

      Eddie hielt inzwischen bereits die Reiseunterlagen in der Hand und schaute sie immer und immer wieder von neuem an. An jeder Ampel, sofern sie ihm genü­gend