Mario Ziltener

Flucht von der Hudson Bay


Скачать книгу

Gerade als Craig das Wagenwaschwasser austauschen ging, schnappte sich Eddie den Rolls Royce und fuhr ausnahmsweise selber ins Reisebüro. Zu gerne hätte er Craigs Gesicht gesehen, als dieser mit seinem giftgrünen Kessel zurückgekehrt und der Wagen verschwunden war. Aussensuite auf dem A- Deck, das war jenes direkt unter dem unteren Prome­nadendeck gelegene. Zu den Annehmlichkeiten gehör­ten beispielsweise ein Balkon, der gross genug war um das Frühstück draussen einzunehmen, ein Bad und ein Wohn- und ein Arbeitszimmer. Schlafzimmer, klar, und die nutzbare Fläche lag, laut den Reiseun­terlagen, bei knapp einhundertfünfzig Quadratmetern. Ganz anständig. Grösser als manche Stadtwohnung in London. Eddie freute sich wie ein kleines Kind auf den Tag der Einschiffung und sah auch der bevorstehenden Sitzung ganz gelassen entgegen.

      Der Verkehr zwängte sich bereits jetzt schon zähflüs­sig durch die chronisch verstopften Strassen Londons und so kam Eddie die Fahrt im Minimum doppelt so lange vor wie normalerweise. Dies konnte auch daher rühren, dass er seit Jahren nicht mehr selber gefahren war. Noch drei Strassenzüge, dann noch einmal links, dann war er wieder zurück in der Firma. Das Paket mit den Reiseunterlagen versteckte er in der Innenta­sche seines Anzugs und als er ausstieg, rannte Craig auch schon auf ihn zu.

      »Sir, tun sie dies niemals wieder!«

      »Was denn?«

      »Den Wagen ohne meine Erlaubnis vom Firmenge­lände entfernen, verdammt! Ich hatte beinahe einen Herzinfarkt. Sie wissen doch genau, wie in dieser Gegend alles wegkommt, was nicht angekettet ist. Gerade letzte Woche haben sie bei einer benachbarten Speditionsfirma einen mit Hundefutter beladenen Lastwagen gestohlen. Ein regelrechter, bewaffneter Raubüberfall war das.«

      »Du solltest weniger fernsehen, Craig!«

      »Nein, das ist real! Als der Rolls Royce weg war, hatte ich mich sogleich verkrochen, da ich befürchtete vielleicht mich bald inmitten des Kugelhagels wieder­zufinden. Doch ich beschloss nach einer halben Stun­de mich auf einen Beobachtungsposten zu begeben, denn die Täter kommen ja angeblich meist zum Tatort zurück. Als wieder über eine Stunde nichts geschah, wollte ich die Polizei anrufen und den Wagen als gestohlen melden. Ich hatte den Hörer bereits in der Hand, als sie auf das Gelände gefahren kamen. Da fiel mir ein Stein vom Herzen!«

      »Temporärer Stress ist gut für die Nerven, Craig! Dennoch werde ich mir deine Standpauke sehr zu Herzen nehmen. Versprochen. Übrigens erwarte ich dich heute um vier Uhr nachmittags ebenfalls zur von mir einberufenen Management-Sitzung. Sei bitte pünktlich!«

      »Management-Sitzung«, wiederholte Craig stolz, als sich Eddie entfernt hatte.

      Als er sich diese beiden Wörter sagen hörte, fiel seine Stirn in tiefe Furchen. Erstens wusste er nicht ganz genau, was die Aufgaben des Managements waren und zweitens fragte er sich, ob er wirklich dazu gehöre oder nicht. Irgendwie zweifelte er sehr stark daran, nahm sich aber trotzdem vor, rechtzeitig zu erscheinen.

      Management Sitzung

      Das ohrenbetäubende Geschwafel war schon von wei­tem zu hören. Die Türe des Sitzungszimmers stand weit offen und es war so wie immer. Jeder der Be­reichsmanager hatte das Gefühl wichtiger als der an­dere zu sein und so kam es auch, dass jeder lauter sprechen musste als der andere. Wie trügerisch doch die Ansichten da waren. Eddie stand gar nicht auf diejenigen Herren, welche glaubten sich mit Ge­schwätz in den Mittelpunkt zu rücken. Die heutige Sitzung sollte dies klar und deutlich zeigen. Gleich würde Eddie durch die Flügeltüre in den Raum eintre­ten und mit ihm Grabesstille. Wie die jungen Schul­buben, brav angezogen mit Schlips und die Haare ordentlich frisiert, würden sie auf ihren Stühlen sitzen und den grossen Patron mit einem Chorus begrüssen: „Guten Abend, Sir!“. Wie bei der Armee. Solche Arschkriecher waren das. Sie würden ein schlechtes Gewissen haben, weil sie wussten, dass er sie schon von weitem gehört haben musste und jeder würde wieder vorzugeben versuchen, nicht mitgeschwafelt zu haben. Bestausgebildet und dennoch naiv wie ein leichtgläubiger Sachbearbeiter. Nur lag in ihrer Lohn­tüte ein Salär, wie es für fünf Sachbearbeiter ausrei­chen würde.

      Eddie schritt durch die Tür und es kam wie er sich gedacht hatte. Mit einem Mal war es so still, dass man die sprichwörtliche Nadel hätte auf den Boden fallen hören. In diesem Moment schien es ihm, als ob bei der Belegschaft im oberen Kader doch noch ein gewisser Respekt vorhanden sei. Er genoss es, respektiert zu werden, auch wenn diese Momente immer seltener geworden waren. Statt sich an seinen angestammten Platz zu setzten, stellte er sich ans Rednerpult, testete das Mikrofon, indem er mit dem Zeigefinger da­rauf klopfte und verschaffte sich mit einem grossen Räusperer noch zusätzlich Gehör.

      »Willkommen, meine Damen und Herren des oberen Kaders«, begann Eddie seine Sitzung, als er durch das Gekicher einiger der Anwesenden in seinem Rede­fluss unterbrochen wurde.

      Suchend blickte er in die Reihen, konnte aber nichts aussergewöhnlich Lustiges entdecken. Erst als er seinen Kopf zur Türe drehte, sah er, wie Craig unsicher und suchend da stand. Da alle lachten, getraute er sich gar nicht, weiter zu gehen und sich einen Platz zu suchen. Da wusste Eddie, dass er eingreifen musste.

      »Ich wüsste nicht, was es hier zu schmunzeln oder gar zu lachen gäbe, werte Anwesende! Ich habe meinen Chauffeur Craig eingeladen, weil ich ihm, genauso wie ihnen, etwas mitzuteilen habe. Zweitens ist Craig für mich mindestens ebenso wichtig wie jeder einzelne von ihnen. Jetzt soll ihm einer ganz vorne einen Platz anbieten. Am allerbesten einer der Herren gleich hier vorne, sie haben ja am lautesten gelacht.«

      Eddie war sauer und kochte innerlich, liess sich aber nichts anmerken.

      »Wenn sich jetzt alle wieder beruhigt haben, würde ich gerne weiterfahren. So, es scheint, dass auch die Herren der Buchhaltung sich beruhigt haben. Dann wollen wir mal! Um es kurz zu machen: Ich werde für drei Monate weg sein und heute möchte ich ganz klare Aufgaben verteilen, damit jeder zu tun hat. Wol­len wir also keine Zeit verlieren und beginnen mit Mr. Dunmore. Von ihnen erwarte ich wieder steigen­de Verkaufszahlen. Wie sie dies auf die Rolle brin­gen, ist ihr Problem. Weiter mit Mrs. King: ihre Ein­kaufsabteilung muss effizienter werden. Machen sie sich also an die Arbeit. Von nächster Woche an haben sie genau ein Vierteljahr Zeit. Nutzen sie diese. Craig, du hast die Aufgabe, den Wagen zu bewegen und ihn zu pflegen. Die Controlling-Abteilung wird sich vermehrt dem Verschleiss von Verbrauchsmate­rialien widmen. Das wäre eigentlich alles. Wie sie sich organisieren wollen, ist mir egal. Helfen sie ein­ander. Seien sie sich aber bewusst, dass die Resultate ihres Tuns auch beachtet werden, ob diese nun positiv oder negativ sind. Sie haben es in der Hand. Aufgefal­len ist mir allerdings auch die innerbetriebliche Stim­mung, welche mir zur Zeit gar nicht gefällt. Wenn sie etwas zu deren Verbesserung beitragen können, dann tun sie es. Abrechnen tun wir, wie gesagt, in einem Vierteljahr. Ach, die Zahlen für den Abschluss erwar­te ich ebenfalls bis dann und zwar durchgerechnet, kontrolliert und bereinigt. Wenn sie keine Fragen mehr haben, dann war es das und ich wünsche weiter­hin einen schönen Nachmittag.«

      Mit seinem abrupten Schlusssatz liess er den Kadermitgliedern gar keine Möglichkeit um Fragen zu stellen. Das fand Eddie irgendwie auch gut. Zu viele Fra­gen hatten in Vergangenheit nur den Arbeitsprozess gebremst und ihn in diese bedrängende Situation gebracht. In Zukunft würde er die Fragerei nicht mehr zulassen. Eddie wusste aber, dass die Aufgaben, wel­che er seinen engen Mitarbeitern gestellt hatte, nur zu lösen waren, wenn alle ihre Energien zusammenlegten und gemeinsam für das Ziel arbeiteten. Diejenigen, welche Störaktionen verursachten, mussten dazu ge­bracht werden, diese zu unterlassen. Würde dies nicht gelingen, konnten auch die Aufgaben nicht gelöst werden und Eddie würde die Störenfriede von ganz alleine geliefert bekommen, weil alle anderen, zu recht, um ihre Positionen fürchteten.

      Eddie lächelte allen zu, zwinkerte Mrs. Green zu, verliess sein Rednerpult und den Saal. Im Exerzier­schritt marschierte er in sein Büro, schnappte sich die für die Reise notwendigen Unterlagen und ging hin­über ins Vorzimmer zu Tammy. Es folgten die Instruktionen, was sie zu tun habe und daraufhin die Verabschiedung. Noch kurz zurück zur Bürotüre und das Licht gelöscht, dann machte sich Eddie auf zum Aufzug und fuhr mit ihm dem Urlaub entgegen. Sichtlich entspannt.

      Die