Hermann Mezger

Unersättlich


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denken wohl immer nur ans Essen!?“

      Der Ober räumte ab und servierte die Hauptgerichte. Brammes Seezungenfilet schwamm für seinen Geschmack in etwas zu viel Fett, sah sonst aber ganz appetitlich aus. Vilars Muschelmus hingegen glich einer graphitartigen Masse, die in der Mitte des Tellers aufgehäuft war, umgeben von einem undefinierbaren Ring, der aussah wie Motorenöl. Drumherum befand sich ein Kranz aus gekochtem Reis.

      Beide begannen zu essen. Bramme warf immer wieder einen Blick auf Vilars Teller und schließlich konnte er es sich nicht verkneifen, seinen Begleiter zu fragen, ob Segredo de Maria tatsächlich das Geheimnis der Maria bedeute.

      „Ja, warum?“, fragte Vilar mit vollem Mund.

      „Weil es eher so aussieht, als wären das auf Ihrem Teller die Sekrete der Maria.“

      Vilars Gesichtsausdruck erstarrte. Angewidert legte er Messer und Gabel beiseite und schob den Teller weit von sich.

      5. Kapitel

      Antonio Mora saß im Garten seiner alten, barocken Villa und ließ den Blick gelangweilt über den gepflegten Park davor und den wolkenlosen Himmel darüber gleiten. Er machte einen erschöpften Eindruck und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Sein faltiges, wettergegerbtes Gesicht war vom Rauch einer kubanischen Zigarre eingehüllt.

      Erst als ein Auto die Einfahrt passierte und den Weg zur Villa hinauffuhr, blickte er auf. Mit einem Schlag änderte sich sein Gebaren. Plötzlich war er hellwach, fuchtelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum, um den Rauch zu verscheuchen und ließ den ankommenden Wagen nicht mehr aus den Augen.

      Bramme, Caldelas und Vilar stiegen aus und schauten sich um.

      „Da sind Sie ja wieder, Comissario! Haben Sie den Täter endlich gefasst?“, rief er Caldelas entgegen, der mit den beiden anderen zu Mora hinaufkam.

      „Bom dia, Senhor Mora!“, antwortete der Angesprochene. „Nein, leider noch nicht. Ich möchte Ihnen aber Hauptkommissar Bramme vorstellen. Er ist ein erfahrener Kriminalist aus Deutschland und wird unsere Ermittlungen unterstützen.“

      Sie schüttelten sich die Hände, und Mora bedeutete seinen Gästen, sich auf den mit Azulejos gefliesten Sitzplätzen niederzulassen.

      „Genau das wollte ich von Anfang an“, polterte Mora mit einem abschätzigen Blick auf Bramme, „ich setze auf Sie, Comissario! Und wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf: Schnappen Sie sich den jungen Delgado, und der Fall ist gelöst.“

      „Warum sind Sie sich Ihrer Sache da so sicher?“, fragte Bramme weitgehend unbeeindruckt und musterte Mora genau. Für ihn war es nichts Neues, dass Angehörige meinten, bessere Polizeiarbeit leisten zu können als manch ausgebildeter Kriminalist.

      „Die Delgados sind richtige Neidhammel!“, bekräftigte Mora, „sie können es nicht ertragen, dass meine Söhne die besseren Geschäftsleute sind. Mein Miguel, Gott hab ihn selig, modernisierte unsere Fangflotte und schaffte sich sogar einen Hubschrauber an. Die Delgados konnten da einfach nicht mehr mithalten. Als Ubaldo Delgado dann auch noch die Freundin weglief und mit meinem Miguel anbandelte, war für sie das Maß voll.“

      Mora lehnte sich zurück und gönnte sich einen Zug aus der Zigarre.

      „Bei so teuren Hobbys müssen die Geschäfte aber gut laufen“, stellte Bramme fest.

      „Ach was!“, Mora winkte ab, und bei dem Gedanken an den Helikopter spielte ein stolzes Lächeln um seinen Mund, „den Hubschrauber haben wir angeschafft, weil ein Matrose auf hoher See einen Herzinfarkt erlitt und starb. Das soll uns nicht noch mal passieren. Ricardo, mein Jüngster, war bei der Luftwaffe und fliegt leidenschaftlich gerne.

      „Aber Beweise, dass Ubaldo Delgado Ihren Sohn umgebracht hat, gibt es nicht?!“

      „Sind das nicht Beweise genug?“

      „Vor Gericht haben die leider überhaupt keinen Wert, Senhor.“ Bramme zwang sich sachlich zu bleiben. Die Arroganz, die Mora an den Tag legte, ließ sein Mitgefühl für diesen Greis schwinden.

      „Aber vielleicht beschaffen Sie mir ja noch andere Beweise!“

      Mora brauste auf und wedelte mit der Zigarre durch die Luft.

      „Wenn Sie den Täter nicht bald zur Strecke bringen, wird das mein Sohn Ricardo in die Hand nehmen!“

      „Davon muss ich Ihnen dringend abraten!“, sagte Bramme und hob beschwichtigend die Hand. „Könnten wir mal den Tatort sehen?“

      „Der ist nicht hier“, keifte er, „der ist in unserer Fabrik am Hafen.“

      Vilar suchte den Blickkontakt zu Bramme. Als dieser Vilars fragenden Blick sah, nickte er.

      „Da wäre noch etwas, Senhor Mora“, Vilar hielt inne. Ein weiterer Blick zu Bramme und dessen erneutes Kopfnicken, veranlassten ihn, fortzufahren.

      „Es wurde versäumt, Ihren Sohn Miguel obduzieren zu lassen. Wir haben veranlasst, dass das nachgeholt wird.“

      Mora sprang wie von der Tarantel gestochen auf und schmiss dabei den Tisch um. Die Zigarre schleuderte er wutentbrannt in den Garten.

      „Wie bitte?“, schrie der Alte so laut er konnte und bebte an allen Gliedern.

      Bramme richtete seelenruhig den Tisch wieder auf und setzte sich wieder hin.

      „Das Gesetz schreibt das zwingend vor, Senhor. Es tut uns außerordentlich leid.“

      „Es tut Ihnen leid?“, schrie Mora weiter, „zum Teufel mit dem Gesetz! Sie stören die Totenruhe und schmeißen das Geld der Steuerzahler zum Fenster hinaus!“

      „Vorschrift ist Vorschrift“, kam es von Caldelas, der bisher kein einziges Wort zur Unterhaltung beigetragen hatte. Doch Mora war außer sich und ließ sich nicht besänftigen. Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf das Auto, mit welchem die Kommissare angereist waren.

      „Gehen Sie mir aus den Augen! Hinaus mit Ihnen!“

      Bramme, Vilar und Caldelas warfen sich Blicke zu, die eigentlich überflüssig waren, denn jeder von ihnen wusste, dass hier ein weiteres Gespräch nichts mehr brachte. Schweigend erhoben sie sich und trabten Schulter an Schulter zu ihrem Wagen.

      Mora verfolgte sie mit den Augen, bis ihr Auto außer Sichtweite war. Dann erst begann er, wieder ruhiger zu atmen, ließ sich schwerfällig auf seinem Sitzplatz nieder und tastete in einem neben ihm stehenden Kästchen nach einer weiteren Zigarre. Von dichten Rauchwolken eingehüllt, streckte er die Beine aus und versank wieder in eine tiefe Lethargie.

      „Mit dem Mann ist nicht gut Kirschen essen!“, stellte Vilar von der Rückbank aus fest, und Caldelas, den Blick auf den dichten Verkehr gerichtet, zuckte brummig die Achseln.

      „Ich kann ihn gut verstehen!“

      „Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre handgreiflich geworden“, fuhr Vilar fort, ohne auf Caldelas Bemerkung einzugehen. „Ich hatte schon den Griff meiner Pistole in der Hand.“

      „Apropos Pistole“, schaltete sich da Bramme ein, „wenn es stimmt, was in den Akten steht, dann ist Miguel Mora mit einer 9-Millimeter-Kugel erschossen worden.“

      „Stimmt!“, pflichtete ihm Caldelas bei, „aber die Waffe ist bisher noch nirgendwo aufgefallen.“

      Bramme legte die Stirn in Falten, und er zögerte ein wenig, ehe er fortfuhr.

      „Neun Millimeter, ist das nicht auch das Kaliber eurer Dienstwaffen??“

      Caldelas und Vilar zuckten erschrocken zusammen und tauschten über den Rückspiegel vielsagende Blicke aus.

      „Doch“, antwortete Vilar schließlich, „aber Sie glauben doch nicht im Ernst…?“

      „Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen“, sagte Bramme und zitierte damit nur einen Grundsatz der Kriminalistik.

      6. Kapitel