Hermann Mezger

Unersättlich


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Er wollte arbeiten und nicht Autofahren. Aber die Fahrt dorthin führte über die Serra da Arrábida, eine sehr kurvenreiche Straße, die einen herrlichen Ausblick nach dem anderen bot und zurecht zu den schönsten Strecken in Portugal zählte. Viel zu schnell brachten sie die vierzig Kilometer hinter sich. Sesimbra war ein Badeort mit vielen neuen Hotelanlagen und hatte einen unbändigen Charme.

      Ein steiler, kurvenreicher Weg führte zu dem Anwesen der Delgados hinauf. Durch die Windschutzscheibe sah Bramme eine prächtige Villa auf einem Felsplateau thronen. Von hier aus hatte man einen phantastischen Blick auf das offene Meer und die darunter liegende Stadt Sesimbra. Wenn man es hier nicht aushalten konnte, dann auch auf keinem anderen Platz der Welt. Der blaue Himmel und die Sonne versetzten Bramme um ein Haar in Urlaubsstimmung. Pflichtbewusst wie er war, besann er sich aber schnell wieder auf die Aufgabe, die ihn in dieses Paradies geführt hatte.

      Je näher sie der Villa kamen, desto mehr Details konnte er erkennen und desto beeindruckter wurde er. Die große, mit Mosaik ausgelegte Terrasse lag unter einer hellbeigen Markise. Hinter einer kleinen Bar standen mehrere Liegestühle, bequeme Korbmöbel und eine Hollywoodschaukel um ein kleines Schwimmbecken herum. In dem Garten, der dies alles einrahmte, blühten Strelitzien, Oleander, Bougainvilleas und andere tropische Pflanzen in allen Farben um die Wette.

      Als sie auf den Hof zufuhren, sahen sie, wie ein älterer, braungebrannter Mann gerade in seinen Wagen steigen wollte. Das ankommende Auto ließ ihn innehalten. Er schlug die Autotür wieder zu und sah den Ankömmlingen beim Aussteigen zu.

      „Polizei? Und das gleich drei Mann hoch?“, rief er ihnen nicht gerade begeistert entgegen.

      „Ja, Senhor“, erwiderte Vilar, der mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging. „Alfonso Delgado nehme ich an?“

      Delgado nickte und ließ den Blick von Vilar über Bramme zu Caldelas schweifen, der gerade den Wagen abschloss.

      „Wir hätten da noch ein paar Fragen zu dem Mord an Miguel Mora.“

      Delgado seufzte tief und drückte damit sein Missfallen aus.

      „Daher weht also der Wind! Na, dann kommen Sie mal.“

      Er ging ihnen voraus auf die Terrasse, wies mit einer Handbewegung auf die gemütliche Sitzgruppe und forderte sie auf, Platz zu nehmen.

      „Sie kennen die Vorwürfe Ihres Kontrahenten Mora?“, begann Caldelas ohne viele Worte zu verlieren und in einem geschäftsmäßigen Ton.

      „Absurdo! Alles Quatsch!“, Delgado winkte ab, als sei dies das Lächerlichste, was er je gehört hatte.

      Bramme, der sich bisher vornehm zurückgehalten hatte, nahm nun das Heft selbst in die Hand.

      „Er meint, dass Ihr Sohn den Reichtum der Moras nicht ertragen konnte und nachdem er dann auch noch seine Freundin an Miguel Mora verloren hatte, bei ihm wohl die Sicherungen durchgebrannt seien.“

      „Was ist mit der Freundin? Mein Sohn soll sie an Miguel Mora verloren haben?“, Delgado hielt sich den Bauch vor Lachen. „Dass ich nicht lache! Hochkantig rausgeschmissen hat er das Flittchen.“

      Vilar und Bramme sahen sich vielsagend an.

      „Darf man fragen, warum?“

      „Natürlich dürfen Sie fragen“, sich zufrieden zurücklehnend und wissend, dass ihm nichts auf der Welt gefährlich werden konnte, griff er nach einer Karaffe und einem Glas und schenkte sich einen Drink ein. „Ubaldo ist dahinter gekommen, dass sie einen Liebhaber hatte.“

      „Wo war denn Ihr Sohn zur Tatzeit?“, bohrte Bramme.

      „Das soll er Ihnen am besten selbst sagen.“

      „Ist er hier?“

      „Nein, er hat heute in Setubal zu tun.“

      Caldelas wühlte einen Augenblick in seiner Innentasche, dann reichte er Delgado seine Karte, die dieser betont gelassen entgegennahm. „Ihr Sohn soll morgen Vormittag zu mir kommen.“

      Bramme musste schmunzeln. Trotz einiger Bedenken und nach den anfänglichen Schwierigkeiten gestern hatte er nun das Gefühl, mit seinen beiden Mitstreitern ein gutes Trio zu bilden. Sein Blick war unterdessen zum Meer hinausgewandert, auf dem einige Jachten und Fischerboote zu erkennen waren. Eine salzige Brise wehte vom Meer herauf, und er sog sie sehnsüchtig in vollen Zügen in sich hinein.

      „Wunderschön, nicht wahr?“, fragte Delgado, der Bramme beobachtet hatte.

      „Oh ja!“, nickte Bramme zustimmend. „Sie leben vom Fischfang?“

      „Exatamente! Fischfang und Fischverarbeitung. Aber das Geschäft ist schwierig geworden“, Delgado seufzte dabei, als drücke die ganze Last der Welt auf seine Schultern. „Die Fänge gehen zurück, und die Preise sind im Keller.“

      Für Bramme war das etwas zu theatralisch. Erstens war hier alles vom Feinsten, und zweitens hatte ihm Mora etwas anderes erzählt.

      „Ihrem Konkurrenten Mora scheint das alles nichts auszumachen“, sagte er mehr beiläufig, schien aber damit einen wunden Punkt getroffen zu haben.

      „Darüber wundern wir uns schon lange!“, brauste Delgado auf. „Weiß der Kuckuck, wo ihr Reichtum herkommt.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Es fing vor gut drei Jahren an. Da kam Miguel von einem mehrjährigen Aufenthalt in Brasilien zurück. Und exakt von diesem Moment an, spielte Geld bei den Moras keine Rolle mehr. Sie schafften sich das modernste Fangschiff an, das nicht nur viel mehr Fische fängt, sondern sie auch gleich auf hoher See verarbeitet. Die Folge davon war, dass eine Fischfabrik nach der anderen zumachen musste. Damit haben sich die Moras nicht nur Freunde gemacht!“

      Delgado hatte sich richtig in Rage geredet. Bevor Bramme etwas darauf erwidern konnte, fuhr er fort: „Sie können sich vorstellen, dass wir darauf reagieren mussten. Auch wir haben nun ein Fangschiff in Auftrag gegeben. Fragen Sie nicht, was das kostet! Und sobald dieses Schiff die Arbeit aufnimmt, schließen wir hier die letzte Fischfabrik. Nun, was sagen Sie dazu?“

      Diese zwei Familien schienen sich rein gar nichts zu schenken. Im Gegenteil: Hier ging es nur darum, wer über den anderen triumphierte.

      Delgado blickte seine Gäste herausfordernd an und wartete auf eine Antwort.

      „Vielleicht hat Miguel Mora da drüben eine Goldader gefunden, oder er hat einen Sack voller Diamanten mitgebracht“, sagte Vilar etwas zögerlich.

      Doch Delgado lachte nur spöttisch und sah Vilar von oben herab verächtlich an.

      „Glauben Sie an Märchen, filho?“

      „Sehen wir so aus?“, fragte Caldelas und ersparte Vilar damit die Antwort.

      „Und wie sehen Sie das?“, wollte Delgado von Bramme wissen.

      „Die ganze Industrie ist im Umbruch. Alles wird optimiert und automatisiert. Warum sollte diese Entwicklung vor der Fischindustrie Halt machen?“

      7. Kapitel

      Nach den prunkvollen Villen der Moras und Delgados wirkte die Hafenkneipe, in die Bramme von Vilar geführt wurde, wie eine geräumige Bretterbude. Gleich am Eingang hockte ein abgerissen wirkender Maler, dessen ungepflegter Vollbart ebenso abstoßend wirkte wie seine zerschlissene Kleidung. Er saß vor einer alten Schiffsglocke, an die er seinen Skizzenblock anlehnte, und versuchte offenbar, das emsige Treiben und das Flair der Hafengegend einzufangen. Mit einem neugierigen Blick über des Malers Schulter stellte Bramme fest, dass ihm dies erstaunlich gut gelang. Er kramte in der Hosentasche nach einer Euro-Münze, aber Vilar schob ihn einfach weiter in den Gastraum hinein, der bedrückend eng, stickig und sehr laut war.

      In der hintersten Ecke war gerade noch ein kleiner Tisch frei. Unterwegs dorthin musterte Bramme das sehr gemischte Publikum: Da saßen Herren in Nadelstreifenanzügen neben Hafenarbeitern und Matrosen, biederen Rentnern und Handwerkern. An dem großen runden Ecktisch saßen einige junge Männer, die wie Fischer aussahen, um einen gepflegten