Edgar Wallace

Der Frosch mit der Maske


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war groß, und der Luxus der Ausstattung verschlug ihr den Atem. Hinter seinem breiten Schreibtisch saß der große Maitland kerzengerade aufrecht und betrachtete sie unter seinen buschigen Augenbrauen. Er sah wie ein Patriarch und doch zugleich abschreckend aus. Und es war etwas Grobes und Gemeines an ihm, das sie verletzte. Es lag nicht in der Nachlässigkeit seines Anzuges oder der Zahl seiner Jahre. Das Alter pflegt sonst Verfeinerung zu bringen. Dieser alte Mann jedoch war nur ganz gemein geworden. Sein forschender Blick ermangelte der Sicherheit, die sie erwartet hatte. Es schien beinahe, als fühle er sich unbehaglich.

      »Dieses ist Fräulein Bennett. Sie erinnern sich, daß Bennett unser Börsenbeamter ist. Fräulein Bennett bittet darum, daß Sie Ihren Entschluss über die Gehaltskürzung noch einmal prüfen mögen.«

      »Wir sind nicht sehr wohlhabend«, sagte Ella leise, »und dieser Abzug macht für uns sehr viel aus ...«

      Herr Maitland schüttelte ungeduldig das kahle Haupt. »Das ist mir ganz egal, ob es Sie gutgeht oder nicht gutgeht! Wenn ich Gehaltsabzüge mach, dann mach ich sie. Verstanden?«

      Sie starrte ihn entgeistert an. Seine Stimme war rau und gemein. Sprache und Ton entstammten der Gosse.

      »Wenn er nich mag, so kann er gehn, wohin er will. Und wenn Sie das nich recht is« – er heftete seine trüben Augen auf den unruhig aussehenden Johnson –, »dann könn Sie auch gehn, wohin Sie wolln. Es gibt massenhaft so Lausbuben, die ich kriegn kann. Brauch sie mir nur von der Straße raufzuholen. Millionen davon. Punktum!«

      Johnson ging auf den Fußspitzen hinaus und schloß die Tür hinter dem Mädchen, das ihm gefolgt war.

      »Aber das ist ja ein Scheusal!« brachte sie hervor. »Wie können Sie es nur mit ihm aushalten?«

      Der dicke Mann lächelte gelassen. »Er hat recht. Bei eineinhalb Millionen Arbeitslosen auf den Straßen kann er sich seine Leute aussuchen.«

      »Ich hatte keine Ahnung«, sagte sie, und legte impulsiv ihre Hand auf seinen Arm, »daß er so arg ist! Das tut mir leid um Ihretwillen! Er ist ja entsetzlich!«

      »Er ist Selfmademan, aber er ist eigentlich nicht bösartig. Wenn ich nur begreifen könnte, warum er Sie empfangen hat?«

      »Empfängt er denn sonst niemanden?«

      Er schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn es nicht absolut notwendig ist. Und das ereignet sich vielleicht zweimal im Jahr. Ich glaube kaum, daß er überhaupt je mit einem Menschen im ganzen Haus gesprochen hat. Nicht einmal mit den Direktoren.«

      Johnson führte Ella in das Hauptbüro hinunter. Ray war noch nicht gekommen.

      »Die Wahrheit ist«, gestand Johnson, als sie ihn mit Fragen bedrängte, »daß Ray heute überhaupt noch nicht im Büro war. Er ließ sagen, daß er sich nicht sehr wohl fühlt, und ich habe es so eingerichtet, daß er heute als frei gilt.«

      »Er ist doch nicht krank?« fragte sie beunruhigt.

      »Nein, ich habe ihn telefonisch gesprochen. Er hat ein Telefon in seiner neuen Wohnung.«

      »Ich dachte, es wäre nur ein einfaches Zimmer?« sagte Ella entsetzt. Die gute Hausfrau in ihr empörte sich. »Eine ganze Wohnung? Wo denn?«

      »In Knightsbridge«, antwortete Johnson ruhig. »Ja, es klingt teuer, aber ich glaube, daß er sie billig bekommen hat. Ein Mann, der ins Ausland ging, hat sie ihm für einen Pappenstiel untervermietet. – Darf ich offen sein, Fräulein Bennett?«

      »Ist es Rays wegen, so bitte ich darum«, antwortete sie hastig.

      »Ray beunruhigt mich in letzter Zeit«, sagte Johnson. »Natürlich möchte ich alles, was ich kann, für ihn tun, denn ich habe ihn sehr gern. Jetzt ist es meine einzige Sorge, seine ziemlich häufige Abwesenheit vom Büro zu verschleiern. Sie brauchen ihm das nicht wiederzusagen. Aber es ist eine ziemliche Mühe, denn der alte Herr hat einen unerhörten Instinkt dafür, wenn Angestellte sich vom Dienst drücken. Ray lebt viel großzügiger, als er es sich eigentlich leisten kann. Und ich habe ihn so gekleidet gesehen, als wollte er mit den elegantesten Leuten der Stadt in Konkurrenz treten.«

      Die unbestimmte. Unruhe in Ellas Seele wuchs zur Panik an.

      »Es ist doch – nicht etwa im Büro – etwas Unrechtes vorgefallen?« fragte sie ängstlich.

      »Nein, ich nahm mir die Freiheit, seine Bücher durchzusehen. Sie stimmen. Sein Kassenbuch ist bis auf einen Penny in Ordnung. Mit roher Offenheit gesagt: er stiehlt nicht. – Zum mindesten nicht bei uns. Aber noch ein anderes Detail. Er nennt sich Raymond Laster in Knightsbridge. Ich habe das durch Zufall herausgefunden und habe ihn gefragt, warum er einen andern Namen angenommen hat. Seine Erklärung war ziemlich glaubhaft. Er wollte nicht, daß Ihr Vater hören sollte, daß er auf so großem Fuß lebt. Er hat eine ziemlich einträgliche Nebenbeschäftigung. Aber er will nicht sagen, welcher Art sie ist.«

      Ella war froh, als Johnson sie verließ. Froh, einen stillen Platz inmitten weiter Parkflächen zu erreichen. Sie mußte nachdenken und sich über ihre künftige Handlungsweise klarwerden. Ray war nicht so geartet, daß er sich von ihr oder von Johnson mit drakonischer Strenge würde behandeln lassen. Auch der Vater durfte nichts erfahren. Sie mußte sich an Ray wenden. Vielleicht entsprach es der Wahrheit, daß er eine einträgliche Nebenbeschäftigung hatte. Eine Menge junger Leute benützten ihre freie Zeit auf solche Weise. Aber Ray war kein Arbeiter.

      Sie setzte sich auf einen Parkstuhl und war so sehr in ihr Sinnen vertieft, daß sie es nicht gewahrte, als jemand vor ihr stehenblieb.

      »Das ist ja wunderbar!« sagte eine lachende Stimme, und sie sah in Dick Gordons hübsche blaue Augen auf. Er setzte sich auf den Stuhl neben dem ihren. »Und jetzt werden Sie mir bitte sagen, in was für Schwierigkeiten Sie geraten sind?«

      »Warum meinen Sie, daß ich in Schwierigkeiten geraten bin?«

      »Sie machen ein so trauriges Gesicht«, lächelte er. »Vergeben Sie diesen Aufzug. Ich habe einen offiziellen Besuch bei der Gesandtschaft der Vereinigten Staaten abstatten müssen.«

      Jetzt erst bemerkte sie, daß er den offiziellen Anzug des Beamten trug, Gehrock, Zylinder und die vorschriftsmäßige Krawatte. Sie fand, daß er sehr gut darin aussah.

      »Ich glaube beinahe, daß Ihr Bruder Ihnen Sorgen macht? Ich habe ihn vor wenigen Minuten gesehen. Hier ist er wieder!«

      Sie folgte erstaunt seinem Blick und fuhr von ihrem Stuhl auf.

      Auf dem mit Lohe bestreuten Reitweg, der mit der Parkstraße parallel lief, kamen ein Herr und eine Dame zu Pferd heran. Der Herr war Ray. Er war sehr elegant gekleidet, und von den Spitzen seiner glänzenden Reitstiefel bis zu seinem grauen, steifen Hut entstammte alles den teuersten Quellen. Das Mädchen neben ihm war jung, schön, zierlich. Die Reiter passierten, ohne daß Ray der interessierten Zuschauer gewahr wurde, und Ella, die vor Staunen erstarrte, vernahm den hellen Klang seines Lachens.

      »Ich begreife nicht ... Kennen Sie die Dame, Herr Gordon?«

      »Dem Namen nach wohl«, sagte Dick trocken. »Sie heißt Lola Bassano.«

      »Ist sie eine Dame?«

      Dicks Augen zwinkerten. »Elk verneint es, aber Elk hat übernommene Vorurteile. Sie besitzt Reichtum, Erziehung und Wissen. Ob diese drei Trümpfe genügen, um eine Lady zu machen, weiß ich nicht.«

      Ella saß mit wirbelnden Sinnen still.

      »Ich glaube, Sie brauchen Hilfe für Ihren Bruder?« sagte Dick. »Nicht wahr, er macht Ihnen Angst?«

      Sie nickte. »Es ist auch mir ein Rätsel. Ich kenne alle Details über ihn, sein Gehalt und seine merkwürdige Maskerade unter einem andern Namen. Das alles würde mir keine Sorgen machen, denn junge Leute haben diese Art von Geheimnissen gern. Nur sind sie unglücklicherweise teure Geheimnisse. Und ich mochte wissen, wie er es sich leisten kann, seine neugewonnene Stellung aufrechtzuerhalten.«

      Dick erwähnte eine Summe, die bewirkte, daß Ella mit staunend geöffneten Lippen reglos sitzen blieb. »Ja, das kostet es«, sagte Dick. »Elk, der eine Leidenschaft