Kristina Schwartz

Harriet


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      "Joe! Schön dich zu sehen."

      "Schön dich zu sehen", sagte Joe, als spreche sie zu George Clooney. "Was tut sich im Burgenland?"

      "Ja, weißt eh, tut sich eh immer was."

      "Na dann. Wie geht's Reinhard?"

      "Hat jetzt endlich die Meisterprüfung geschafft. Aber die Tischlerei, die ihm versprochen hat ihn einzustellen, ist mittlerweile Pleite gegangen."

      "Oh, das ist ja Pech."

      "Also, wenn du `ne Tischlerwerkstatt kennst, die noch nicht Pleite ist ... Ich bin dir für jeden Tipp dankbar."

      "Klar", sagte Joe und dachte, dass es durchaus denkbar war, Teile der Inneneinrichtung der Mühle von einer Tischlerei anfertigen zu lassen. "Und bei dir?"

      Der Kellner kam und sie bestellte einen weißen Spritzer.

      "Jobmäßig nichts Neues. Aber ..."

      "Aber?" Joe horchte auf.

      "Ich glaub', mein Mann hat eine Freundin."

      "Ist nicht wahr. Tatsächlich?" Joe fragte sich, woher so ein langweiliger, mürrischer Spießer wie Reinhard wohl eine Freundin gezaubert hatte. Der Mann war ihr ein Rätsel. Nur weil er ganz gut aussah, war das doch noch lange kein Grund, dass er sich gleich ...

      "Und, dir geht's gut? Siehst großartig aus."

      Joe grinste.

      "Hast du endlich deine große Liebe gefunden?"

      "Kann man das je mit Bestimmtheit sagen?" Joe legte die Stirn in Falten. "Aber bisher sieht's ganz gut aus."

      "Wer ist es denn?" Andis Augen begannen zu leuchten. " Ein Manager, ein Anwalt, ein Zahnarzt?

      Joe holte tief Luft.

      "Ein Banker, ein Chirurg, ein Architekt?"

      "Es ist eine SIE."

      Andi lachte laut auf. "Jetzt verschaukelst du mich."

      Joe verzog keine Miene. Für einen nicht enden wollenden Augenblick entstand eine peinliche Stille.

      Andrea sprang auf, fiel Joe um den Hals und küsste sie. "Ich freu' mich so für dich! Ich hab' mir immer gewünscht, dass du wen findest, den ... äh ... die du lieben kannst."

      "Na, da geht's ja schon lustig zu." Es war die Stimme von Karin.

      "Darf ich auch?", fragte Renate und warf sich Joe an den Hals, um diese zu begrüßen. "Worum geht's überhaupt?", wollte die große, schlaksige Freundin wissen. Der Schalk brannte in ihren blauen Augen und das brünette Haar schmiegte sich um ihre Schultern wie ein seidener Vorhang.

      "Wir feiern Joes große Liebe", antwortete Andi.

      "Oh, wie nett. Hat es endlich gefunkt. Freut mich für dich." Karin - böse Zungen behaupteten sie sei Michelin für das gleichnamige Männchen Modell gestanden - gab Joe einen nassen Kuss auf beide Wangen. Ihre Prinz-Eisenherz-Frisur schimmerte diesmal zur Abwechslung in einem dezenten Rotblond.

      "Danke", sagte Joe. "Ihr seid wahre Freundinnen."

      "Sag schon, wie ist er, wer ist er, was ist er? Hat er Geld?"

      Andi sah verstohlen zu Joe, die drohte, gleich von zwei Augenpaaren verschlungen zu werden.

      "Er ist eine Sie und heißt Sandra."

      Wieder dieses betretene Schweigen. Renates Augen waren weit aufgerissen, ebenso ihr Mund.

      Nach einer Ewigkeit durchbrach Karins selbst für eine Frau zu hoch geratene Stimme die peinliche Stille. "Habt ihr auch solchen Durst? Ich brauch' jetzt unbedingt was Alkoholisches." Sie rief den Kellner, um ein Krügel zu bestellen.

      Renate bestellte einen Kaiser-Spritzer.

      "Wie ist sie denn?", wollte Renate wissen, nachdem der Ober die Getränke gebracht und die vier sich zugeprostet hatten.

      Joes Augen verrieten eine gewisse Unsicherheit. "Nett, einfühlsam, die zweite Hälfte von mir, die ich so lange vermisst habe."

      Karins Bauch, der ohne Probleme als der einer Schwangeren im achten Monat durchgehen konnte, drängte energisch gegen den Tisch. Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf, ehe sie schulmeisterte: "Wie soll denn das gehen. Eine Frau die zweite Hälfte einer Frau?"

      "Ich ... keine Ahnung. Ich kann es dir auch nicht sagen."

      Karin zog eine verächtliche Grimasse.

      "Vor zwei Monaten hätte ich es mir auch noch nicht vorstellen können", meinte Joe nicht ganz wahrheitsgemäß.

      "Es gibt also kein Yin & Yang mehr, sondern nur noch Yin & Yin", ätzte die füllige Prinzessin Eisenherz.

      Joe saß da, ohne ein Wort zu sagen. War das Intoleranz, Unsicherheit oder schlicht und profan Gehässigkeit? Möglicherweise Neid? Karin, Mutter zweier Kinder, war seit Jahren nur noch auf dem Papier verheiratet. Ihre Ehe war gleich nach der Geburt des zweiten Kindes brüchig, ihr Mann Alfons abtrünnig geworden. Aus dem stets wortkargen Alfons war sie nie schlau geworden.

      "Das verstehst du nicht", platzte Andi mit einem Mal heraus. "Warum soll sie nicht eine Frau lieben?"

      "Das sagst gerade du, die du mit einer abgespeckten Mischung aus David Beckham und Josh Holloway verheiratet bist. "Würdest du deinen Mann gegen eine Frau tauschen?"

      Andi lächelte das Lächeln der Wissenden, die über den Dingen stand. "Wie ich gerade sagte, Karin, das verstehst du nicht."

      Renate saß noch immer, wie von einem plötzlichen Wintereinbruch überrascht und tiefgefroren, mit sperrangelweit geöffnetem Mund in der Runde.

      Andi legte ihre Hand auf Joes Schulter und lächelte sie an. "Ich finde es ganz großartig, dass du auf deine innere Stimme und deine Gefühle hörst und dich nicht von anderen in blöde Klischees drängen lässt."

      Ha! Siehst du, Joe, ich hab's ja immer schon gewusst, dass ich für was gut bin, hörte sie ihre innere Stimme sagen.

      Renate brachte nun doch ein zustimmendes Nicken hervor.

      *

      Aufgrund der späten Stunde hatte Joe es vorgezogen, die Nacht in ihrer Wiener Wohnung zu verbringen. Bevor sie zu Bett ging, checkte sie noch einmal die Textnachrichten auf ihrem Smartphone. Es gab nur eine, mit dem schelmischen Konterfei Sandras.

      "Hab dich lieb. Dickes Bussi. S."

      Joe kam sich mit einem Mal einsam und verloren in dem viel zu großen Bett vor. Sie schickte eine knappe Liebeserklärung zurück: "Vermisse die Wärme deiner Haut!!!! J."

      Mit sanften Händen strich sie über ihre Brüste, ihren Leib bis hinunter zu ihren Schenkeln, als ein Piepsen den Eingang einer neuen Nachricht anzeigte.

      Ein lachendes Emoticon erschien auf dem Display gefolgt von: "Der Polier war heut da und wollt dich sprechen. Sagt es wär wichtig."

      Joe fragte sich, was denn so wichtig sei, da sie doch mit Baumeister Kaefer alle relevanten Punkte, was die Sanierung der Mühle betraf, bereits besprochen und eventuelle Unklarheiten abgeklärt hatte. Vermutlich weiß er jetzt schon, ging es ihr durch den Kopf, dass er den Kostenvoranschlag nicht einhalten wird können. Allgemeines Krankenhaus Wien, Phyrnautobahn, Semmeringbasistunnel, Skylinkterminal Flughafen Wien. War in Österreich jemals ein Kostenvoranschlag eingehalten worden? Oder ein Zeitplan? Nun schien das Schicksal einer Nation auch auf die ländliche Idylle ihrer Mühle überzuschwappen. Dabei hatte er so einen seriösen und kompetenten Eindruck gemacht, der Baumeister.

      Entspannt saß Joe hinter dem Schreibtisch. Ihre Entspannung währte allerdings nur kurz, bis Dr. Bertram - dem ein chronisches Leiden anzuhaften schien - die Ordination betrat.

      An diesem Tag hatte sie den schwer zu widerlegenden Verdacht, dass er nur gekommen war, um sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Wie stets machte er einen seriösen und äußerst kompetenten Eindruck, was sie nicht zuletzt seinem akribisch gebügelten Anzug und dem perfekt