Kristina Schwartz

Harriet


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runden Gesicht strahlten, sah er aus wie ein zu bürgerlich geratener Adeliger. Joe versuchte den Gedanken an seinen vorletzten Besuch weit wegzuschieben, bei dem sie ihm nicht ganz freiwillig in die Arme gefallen war und ihm dabei großzügige Einblicke in ihr Dekolleté gewährt hatte. Peinlich, das war ausgesprochen peinlich. Unprofessionell noch dazu. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.

      "Haben Sie sich erkältet?", wollte Dr. Bertram wissen.

      Sie versuchte einen möglichst herablassenden Blick aufzusetzen.

      "Vielleicht sollten Sie sich selbst etwas ..."

      Joe hob fragend die Brauen.

      "... verschreiben. Ich meine, Sie sitzen doch quasi an der Quelle. Ein Schrank voll mit Ärztemustern ..."

      Sie verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen, aus denen sie nur zu bereitwillig ein paar Laserstrahlen auf ihren Patienten abgefeuert hätte.

      "Ich meine, Sie sollten Ihre Gesundheit nicht auf's Spiel setzen ... Selbst im Sommer, wenn es ..."

      "Dr. Bertram, was kann ich für Sie tun", setzte Joe endlich dem Geschwafel ihres Patienten ein Ende. "Wie gestern? Wieder der Blutdruck?"

      Er nickte.

      Als sie zu ihm ging, um ihm die Manschette anzulegen, bemerkte sie seinen neugierigen Blick an ihrem Kleid. Eine innere Befriedigung überkam sie, weil sie wusste, dass der hautfarbene BH eine großartige Idee für die Ordi gewesen war. Da gab es nichts, was ihre Patienten weiß oder schwarz oder womöglich gar spitz durchschimmern sehen konnten.

      "Glauben Sie nicht, dass ein BH für diese Jahreszeit ... zu warm ... sein könnte?"

      Die Ärztin lächelte ihn sicher an, während sie Luft in die Manschette pumpte. Wie die Kopfhörer eines iPods stöpselte sie sich die Enden des Stethoskops in die Ohren, und lauschte, was ihr Dr. Bertrams Blut gleich sagen würde.

      Besorgt sah er zu ihr auf.

      "Es ist alles Bestens, mein lieber Doktor. Leicht erhöht, aber keineswegs bedenklich."

      Der Patient nickte.

      Als sie sich von ihm verabschiedete, sah sie noch, wie sein Blick ihre Beine hinauf bis zum Saum des Kleids wanderte, um schließlich von ihr abzulassen. "Danke und auf Wiederschauen. - Der Nächste bitte!"

      Um vierzehn Uhr, nachdem sie auch den letzten Patienten, wie sie hoffte, zu seiner Zufriedenheit behandelt und ihrer Sprechstundenhilfe noch einen angenehmen restlichen Dienstag gewünscht hatte, schloss sie die Praxis ab, um mit der Schnellbahn nach Wien Mitte zu fahren. Von dort mit der U3 bis Stubentor. Baumeister hin, Polier her, sie hatte noch eine dringende Besorgung zu machen, die keinen Aufschub duldete.

      Zügigen Schrittes klapperte sie mit ihren Pumps das Kopfsteinpflaster der Bäckerstraße entlang. Wie eine Unsichtbare schlängelte sie sich durch die Zeitschriftenabteilung der Buchhandlung Morawa bis zum Schalter, wo sie ihre bestellten Bücher abholen wollte.

      "Ich habe zwei Bücher bei Ihnen bestellt", meinte Joe und versuchte dabei mit fester Stimme zu sprechen. Sie hoffte ihr Make-up, das sie in der Ordi noch einmal aufgefrischt hatte, sei dick genug, um eine etwaige Röte ihrer Wangen nicht durchscheinen zu lassen. Sie überreichte der Frau mit dem blonden Wuschelkopf eine Zettel mit den Buchtiteln. Diese setzt ihre Lesebrille auf.

      "Englisch, nicht wahr?" Dann sah sie auf und musterte Joes Physiognomie.

      Ich bin ganz ruhig, ich bin ganz ruhig, ich bin ganz ruhig, schienen alle Zellen in Joes Körper zu rufen.

      "Auf welchen Namen?"

      "Bitte?" Joe war auf ein Verhör in einer so heiklen Angelegenheit nun wirklich nicht gefasst gewesen. "Dr. B... haha." Joe brach in dieses gekünstelte Lachen aus, mit dem Frauen ihrem Gegenüber zu verstehen gaben, dass ihnen diese Situation nun mehr als peinlich war. "Was red' ich denn da? - Kienzl, Sandra Kienzl, natürlich."

      "Ja, Frau Kienzl ...", sagte die Verkäuferin und blinzelte verächtlich zwischen ihren Locken hervor, als wolle sie Joe sagen, sie wisse genau, dass das nicht ihr richtiger Name sei. "... Ihre Bestellung ist eingetroffen." Sie verschwand für einen Moment, um gleich darauf mit zwei Büchern, die sie wie ein Heiligtum mit beiden Händen vor ihrer Brust hielt, zurückzukehren. "Hier, bitte."

      Joe schnappte die Bücher, um sich damit unverzüglich zur Kassa zu verdrücken, ehe die Angestellte noch auf die Idee kam, die Buchtitel vor allen Anwesenden laut auszusprechen.

      "Viel Spaß damit", hörte sie die Verkäuferin in ihrem Rücken noch sagen. An der Kassa zahlte sie bar. Sie hatte zuvor extra noch beim Bankomat Geld behoben, da sie weder mit der Kredit- noch mit der Maestrokarte elektronische Spuren ihrer zweifelhaften Einkäufe hinterlassen wollte. Nachdem sie auch diese Hürde, zwar nicht mit Bravour, aber doch gemeistert hatte, packte sie ihre Schätze in den Rucksack.

      Trotz des luftigen Sommerkleids, das ihre Knie umspielte, war sie schweißgebadet, als sie wieder auf die Straße trat.

      Joe, du bist wirklich zu dämlich. Jetzt hast du heute die Ordi so stressfrei rübergebracht und nun in deiner Freizeit machst du dir Stress pur. Warum bestellst du das Zeug nicht das nächste Mal beim Bookdepository oder Amazon? Bevor du dich nochmal in der Buchhandlung zum Affen machst!

      Die Idee war schon verführerisch, auch wenn Joe für Internetshops nicht allzuviel übrig hatte.

      "Du kommst spät", raunzte Sandra, die in ihrem winzigen Garten in der Hängematte lag.

      "Geschäfte", nuschelte Joe, ohne auf deren Art näher einzugehen.

      "Der Polier war schon wieder da. Warum hat der eigentlich nicht deine Nummer?"

      "Der Baumeister hat sie. Warum hat er sie nicht weitergegeben?"

      Sandra legte die Stirn in Falten. "Datenschutz?"

      "Haha, der war nicht schlecht." Joe musste tatsächlich lachen. "Datenschutz in Österreich, in der EU? In welcher Galaxis, glaubst du eigentlich, leben wir?"

      "Okay, war `ne blöde Idee von mir. - Wie war dein Treffen gestern?"

      Joe streckte ihren rechten Arm aus und wackelte mir ihrer Hand wie ein in Turbulenzen geratenes Flugzeug. "So lala. War schon mal netter."

      Ihre Freundin sah sie an, sagte aber nichts.

      Joe streifte ihr Kleid ab und stellte sich nur in Unterwäsche in die Sonne.

      "Vornehm, wirklich vornehm, deine Blässe."

      "Wer hat, der hat", entgegnete Joe.

      Sandra, deren Haut bereits von einer ansprechenden, hellen Bräune überzogen war, schmunzelte. "Könntest ja noch zur Mühle schauen. Vielleicht sind die noch da."

      Joe sah auf die Uhr. "Jetzt um halb sechs. Glaub' ich kaum." Sie ging zur Hängematte, beugte sich weit über und küsste Sandra, die ohne ihren Körper mit einem Fleckchen Stoff zu verschandeln drinnen lag, küsste sie auf das kurzgeschorene blonde Dreieck und die Brüste, bevor sie mit ihrer Zunge ungestüm in deren Mund eindrang.

      Sandra verdrehte ihre Augen in süßer Verzückung. Als der Kuss doch irgendwann geendet hatte, hauchte sie mit der Stimme der Verführerin: "Magst du spielen?"

      "Immer", kam wie aus der Pistole geschossen die Antwort.

      "Immer, Herrin", heißt das, setzte Sandra sofort nach. Damit waren die Rollen für den weiteren Abend verteilt.

      Splitterfasernackt lag Joe auf dem Bett. Ihre Arme und Beine hatte Sandra mit Handschellen am Kopf- und Fußteil fixiert. "Moment mal. Solltest du dir nicht überlegen, wie ich dich für das unerlaubte Lesen von Omas Tagebüchern bestrafe?"

      Sandra grinste breit. "Zu spät, zu spät!"

      Plötzlich durchbrach das Schrillen der Türglocke die prickelnde Zweisamkeit.

      "Scheiße", kam es von Joe und Sandra, als hätten sie nur auf ihr Stichwort gewartet.

      "Wer kann denn das noch sein?"

      Sandra, die außer