C. J. Roth

Aufzeichnungen 13/246


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In der Stube kümmert sich mein Vater darum, da bin ich sicher, dass dort nichts passieren kann.

      Du hast deinem Vater demnach viel zugetraut?

      Er ist mein Vorbild. Ich traue ihm viel zu und ich eifere ihm nach - natürlich nicht beruflich.

      Was schnaubst du so?

      Nun, wer wird wohl nun die Firma übernehmen?

      Ein naher Verwandter? Eines deiner Geschwister?

      Sie meinen wohl eher, dass mein Bruder jetzt die Geschäfte übernehmen wird. Er ist ein Mann und er ist volljährig. Ach und – er sitzt in keiner Klapse.

      Ich bevorzuge Sanatorium.

      Nur ein anderes Wort dafür. Ich bin ein Mädchen,-

      Jetzt hast du es aber selbst gesagt.

      Herr Dr. Kohler, wollen Sie mich gerade ein wenig verkohlen?

      Sehr gelungenes Wortspiel, Susanna.

      Sie sollten Ernst bleiben, ich erzähle Ihnen etwas.

      Natürlich. Bitte fahr fort. Du bist ein Mädchen...

      Grinsen Sie nicht so.

      Ich bin eine junge Frau, gerade volljährig und...nun, Sie wissen schon.

      Sitzen in der Klapse.

      Sanatorium.

      Hinz wie Kunz.

      ...

      Und schon lächelst du wieder. Das steht dir.

      Danke.

      Kommen wir zurück. Würdest du gerne die Firma deines Vaters leiten?

      Ich habe mir dazu nie Gedanken gemacht, aber jetzt, wo ich dieser Möglichkeit beraubt wurde, fühle ich mich ausgeschlossen und übergangen. Ich hätte zumindest gerne die Chance dazu gehabt. Nicht, dass es etwas an der Tatsache ändern würde...das mein Vater...

      Dass er was, Susanna?

      Sie wissen schon.

      Ich weiß es, aber du solltest es aussprechen.

      Warum?

      Es würde dir helfen, es zu verstehen. Du könntest es leichter akzeptieren, weil dein Verstand verarbeitet, dass es tatsächlich so ist. Du verdrängst es momentan, und irgendwann wird dich das einholen.

      Es ändert nichts an der Tatsache...das...

      Es ist in Ordnung, Susanna. Gib mir deine Hand. Sehr schön. Du kannst das. Du weißt es schon längst, du musst jetzt nur noch die Tatsache aussprechen.

      Es tut so weh.

      ...

      Ich vermisse ihn so sehr. Er war immer für mich da. Wir haben so viele schöne Ausflüge gemacht und gemeinsame Erinnerungen gesammelt. Mit wem soll ich denn jetzt darüber reden?

      Du kannst mir davon erzählen.

      ...

      ...

      Es ändert nichts an der Tatsache, dass er tot ist. Er ist nicht mehr hier. Er kommt nie wieder zurück.

      Er ist tot.

      Ja, er ist tot.

      Hier, mein Taschentuch. Du kannst es behalten.

      Das kann ich nicht annehmen.

      Natürlich kannst du das.

      Danke, Dr. Kohler.

      Sollen wir für heute das Tonband ausschalten?

      Ja, bitte.

      Notizen Dr. B. J. Kohler

      Susanna hat sich in den letzten Tagen gut bewährt. Während ihrer Zeit im Krankenhaus hatte ich schon vermutet, dass sie gar nicht mehr zu sprechen beginnen würde und jetzt habe ich das Glück, eine intelligente, junge Frau zu erleben, die sich nach und nach öffnet. Wie nicht anders zu erwarten war, ist ihre Psychose durch den Tod ihres Vaters hervorgerufen worden und ist noch immer nicht verarbeitet. Heute hat sie den ersten Schritt darauf zu getan. Sie ist Gottesfürchtig, jedoch nicht verblendet und sieht die Welt mit offenen Augen.

      Während ich bei unserem ersten Gespräch noch vermutet hatte, dass Susanna ein Problem mit einem Arzt oder Pfleger zu haben scheint, hat sich dies noch nicht bestätigt. Dem Personal gegenüber verhält sie sich weder respektlos noch zurückhaltend. Auch nach Rücksprache mit meinen Kollegen und dem Pflegepersonal, konnte ich nichts herausfinden, was diese These unterstützen würde, jedoch werde ich diesen Punkt weiterhin untersuchen.

      Heute hat Susanna über ihr Zuhause gesprochen und auch über ihre Geschwister. Ihr Bruder kam bei dem Gespräch nicht gut weg, ob dies an ihren verletzten Gefühlen oder einer Verstrickung mit dem Tod ihres Vaters liegt, gilt es herauszufinden. Ich werde sie hierzu noch einmal ansprechen müssen.

      In den nächsten Tagen werden wir noch ein paar Gespräche über die Familie führen, um genaueren Einblick zu erhalten und eventuell zum Tatgeschehen vordringen zu können. Der psychotische Anfall, ausgelöst durch das Gespräch über den Tod ihres Vaters, hat sich nicht noch einmal wiederholt. Auch die Erwähnung ihres Vaters in einem oberflächlichen Gespräch bringt sie nicht aus der Fassung, sie verhält sich wie jede andere trauernde Person.

      Obwohl das Besuchsverbot nun aufgehoben ist, wurde Susanna von keinem ihrer Verwandten aufgesucht. Sie selbst scheint diesen Umstand nicht sonderlich tragisch zu nehmen. Ihre Mutter hat vor einer Woche einen Brief gesendet, in dem sie sich nach dem Zustand ihrer Tochter erkundigt. Ich vermute, dass Susanna nur ihren Vater als emotionale Bezugsperson hatte, da das Verhalten der Mutter als „Gleichgültig" beschrieben werden kann.

      In meiner Antwort ersuchte ich Frau Schweiger um ein persönliches Gespräch, welches gestern Abend hätte stattfinden sollen. Frau Schweiger ist nicht erschienen.

      Autor 1

      Den Gang runter gab es wohl ein Leck, denn ich konnte das stetige Tropfen hören, beinahe so zuverlässig wie den Sekundenzeiger meiner Armbanduhr. Ich streckte mich auf dem Holzstuhl, auf dem ich die letzten Stunden verbracht, die Tonbänder gehört und die Berichte studiert hatte. Mit all den Dingen, die ich bisher gehört und gelesen hatte, war die Zeit wie im Flug vergangen. In der Ferne konnte ich einen Glockenturm hören, dessen metallenes Spiel die 22 Uhr ankündigte. Beinahe acht Stunden war ich in diesem Kellerloch gesessen, hatte mir die Augen bei schlechtem Licht verdorben und meinen Notizblock gefüllt.

      Aus der Richtung des Treppenhauses konnte ich wiederholt Geräusche wahrnehmen, doch jedes Mal wenn ich mich aufgemacht hatte, um dem Ganzen nachzugehen, war niemand zu sehen gewesen. Es waren nur Schatten, die von der Dunkelheit heraufbeschworen worden waren. Die Angst, die Susanna verspürt haben musste, schlich sich nun durch meine Glieder und lähmte mich so manches Mal, bis ich mich selbst wieder überzeugt hatte, dass es nur am alten Gemäuer lag, doch es wurde schwerer und schwerer die Furcht abzuschütteln.

      Ich griff nach meinen Notizen, schließlich war es schon unheimlich genug zu dieser Stunde vom Gelände zu verschwinden, ganz davon abgesehen, wie es sich proportional mit der heranrückenden Nacht steigern würde. Bevor ich mit der Sichtung der Unterlagen begonnen hatte, hatte ich ein Datenverzeichnis geschrieben, in dem jede Kassette, jedes Schriftstück und jeder persönliche Gegenstand notiert war, um einen eventuellen Verlust von Daten sofort festhalten zu können. Ich hatte in meiner Anfangsphase als Autor teures Lehrgeld bezahlen müssen und würde diesen Fehler nicht noch einmal begehen. Die Papiere wogen nun schwer in meiner Hand.

      Als ich aus dem Gebäude trat empfing mich ein kalter Nieselregen und ich vermisste meinen wetterfesten Mantel. Den Notizblock presste ich mir an meinen Körper, um die Niederschriften zu schützen und eilte zum Wagen. Auf dem Weg nickte ich dem Pförtner zu, der in seinem warmen Häuschen saß, mir nach sah, sich jedoch keinen Millimeter bewegte. Nur seine Augen folgten mir, während der Rest erstarrt zu sein schien. Ein komischer junger Mann, der mit dieser mysteriösen Attitude versuchte Leute abzuschrecken. Hätte ich nicht so viel Erfahrung gehabt, dann hätte er mich sicher auch einschüchtern können, doch ich kannte Männer