Thomas Riedel

Flammenreiter


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Er fühlte es warm über die Finger rinnen, als er sich an die Wange griff. Er blutete. Er wollte nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, hätten sie seine Augen getroffen.

      Der junge Mann hatte ein ungutes Gefühl. Nie zuvor hatte er ein derartiges Unwetter in dieser Gegend erlebt. Und er fragte sich unweigerlich, wer diese höllischen Gewalten entfesselt hatte? Waren es diese Flammenreiter? Und was suchten sie hier? Kamen sie von allein? Hatte sie jemand geschickt? Und wenn ja, wer? Verzweifelt suchte er nach Antworten.

      Einem inneren Gefühl folgend machte er einen gewaltigen Sprung nach vorn. Keine Sekunde zu spät, wie er gleich darauf feststellte. Er hatte die Gefahr nicht erkannt. Er hatte sie instinktiv erahnt und rechtzeitig reagiert. Haarscharf war er einem abgebrochenen Baumwipfel entgangen, der unmittelbar hinter ihm auf dem Boden aufschlug, und die Erde leicht erbeben ließ.

      Callum Cavanaugh drehte sich um und hielt die Luft an. Er hatte unendliches Glück gehabt. Hätte ihn der abgebrochene Wipfel des riesigen Baumes getroffen, er wäre auf der Stelle tot gewesen, schoss es ihm durch den Kopf und lie0 ihn erschauern. Er versuchte nicht weiter darüber nachzudenken und lief weiter. Vom naturbelassenen, recht verwilderten Wald erhoffte er sich einen gewissen Schutz. Er ging davon aus, dass die Bäume hier so dicht wuchsen, dass abgebrochene Äste und Baumkronen im Geäst der anderen Bäume hängenbleiben würden.

      Dann hatte er es endlich geschafft. Er befand sich im Windschatten des Waldes. Callum Cavanaugh konnte seine eigene Hand vor Augen nicht erkennen. Er ärgerte sich darüber keine Taschenlampe mitgenommen zu haben. Andererseits kannte er den Weg ausgezeichnet und so kam er rasch voran.

      Längst hatte der junge Mann jedes Zeitgefühl verloren. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er den Wald schließlich durchquert und näherte sich dessen Rand. Als er aus den dicht beieinanderstehenden Baumreihen heraustrat, sah er überrascht nach oben.

      Das Unwetter war verschwunden. Groß und weich stand der mild strahlende Mond in seiner ganzen Pracht am jetzt wolkenlosen Himmelszelt. Unzählige Sterne funkelten am dunklen Firmament. Der zuvor herrschende orkanartige Sturm hatte sich im Nichts aufgelöst. Alles wirkte friedlich. Stille war eingekehrt ... eine merkwürdige, gespenstische Ruhe.

      Als Callum Cavanaugh seinen Blick abwandte und in Richtung des Farmhauses der O’Sullivans sah, zeigte sich, dass dieses Bild des Friedens so gar nicht zu dem grauenhaften Anblick passte, der sich ihm bot. Er brauchte mehrere Sekunden, um das entsetzliche Szenerie in sich aufzunehmen.

      Gellend schrie er auf.

      Einem unheimlichen Echo gleich, wurde sein Schrei von der schweigenden Wand des Waldes zurückgeworfen.

      Die Farm der O‘Sullivans, beziehungsweise das, was davon noch übrig war, erinnerte Callum Cavanaugh an Bilder von Kriegsschauplätzen. Es sah aus, als hätte eine Bomberflotte ihre todbringende Fracht über dem Stück Land entladen, um vorrückenden gepanzerten Einheiten Platz zu schaffen. Bizarr zeichneten sich die Ruinen der Gebäude im fahlen Mondlicht ab. Wie mahnende stählerne Finger erhoben sich die weggebrochenen Freimasten der Strom- und Telefonleitungen in den Himmel. Sie wirkten wie geknickte Streichhölzer und ihre Leitungen bildeten ein unentwirrbares Knäuel.

      So weit wie er sehen konnte, waren die Drahtzäune, die die Weiden begrenzt hatten, aufgerollt und zerfetzt. Er konnte kaum glauben, als er sah, dass sie förmlich um die Baumstümpfe, nicht mehr vorhandener Bäume, geschlungen waren. Alle Bäume waren dicht über dem Boden abgeknickt. Wie die Leitungsmasten streckten sich die noch frischen, hellen Stümpfe anklagend dem schwarzen Himmel entgegen.

      Einem inneren Impuls folgend ging Callum Cavanaugh wie betäubt auf die Farm der Nachbarn zu. Es fiel ihm schwer das Grauen auch nur Ansatzweise zu erfassen. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte er die zahllosen Tierkadaver auf den Weiden. Nicht ein Tier war von den entfesselten Gewalten verschont geblieben.

      Von der Scheune und den Stallungen zeugten nur noch verkohlte Rechtecke im Boden, wo sie zuvor gestanden hatten. Sie existierten nicht mehr. Überall fanden Holzreste und Mauersteine, weit bis über die Weiden verstreut. Alles war dem orkanartigen Sturm und den Blitzeinschlägen zum Opfer gefallen.

      Nur von einer Stallung fand sich noch ein hüfthohes gemauertes Fundament. Callum Cavanaugh warf einen Blick auf die vom Ruß geschwärzten Mauerreste. Auch in diesem Stall war alles Leben vernichtet worden.

      Hilflos blieb er stehen. Er wagte es nicht, sich umzudrehen, sich der Stelle zuzuwenden, an der sich das Wohnhaus der O’Sullivans befand.

      Nach all dem Grauen, das er gesehen hatte, fragte er sich, wie es wohl der Familie ergangen sein musste.

      Minutenlang starrte er mit leeren Augen auf das Unfassbare. Dann endlich brachte er den Mut auf sich umzudrehen.

      Nach dem was er bisher gesehen hatte, konnte er kaum glauben, dass nicht ein einziger Blitz in das Haupthaus eingeschlagen hatte.

      Callum Cavanaugh schöpfte einen Hauch an Hoffnung.

      Wie ein Skelett ragte das Dach des Wohnhauses auf. Kein Ziegel lag mehr auf. Der Sturm hatte alle abgedeckt. Einige Balken der Dachkonstruktion waren eingeknickt, die anderen zeigten tiefe Risse. Zum Teil waren armlange Späne herausgerissen, gerade so, als hätten gewaltige Krallen im Holz eingeschlagen und versucht die Balken herauszureißen.

      Unwillkürlich dachte er an riesige Flugsaurier mit großen tragflächenartigen Flughäuten, die zeitgleich mit den Dinosauriern die Erde bevölkert hatten. Es machte auf ihn den Eindruck als hätten sich diese Jäger und Fleischfresser auf das Haus gestürzt.

      Noch schlimmer war es mit den massiven Natursteinmauern. Nicht nur, dass sämtliche Holzfenster herausgerissen waren, die Öffnungen waren um ein Vielfaches vergrößert. Steine und Fensterstürze lagen verstreut herum. Noch schlimmer hatte es die Eingangstür erwischt. Sie zeigte die doppelte Größe.

      Fassungslosigkeit zeichnete sich auf dem Gesicht des jungen Mannes ab.

      Unweigerlich fragte er sich, was hier nur geschehen war? Es war für ihn unbegreiflich, welche Kräfte hier gewütet haben mussten. Für Callum Cavanaugh stand fest, dass dieses Ausmaß an Zerstörung nicht allein auf den Sturm zurückzuführen war. Hier mussten andere Einflüsse eine Rolle gespielt haben!

      »Hallo!«, rief er mehrmals laut hintereinander in die Stille. »Hört mich jemand? Hallo!«

      Er lauschte. Niemand reagierte.

      »Wo steckt ihr?«, rief er und lief einige Schritte weiter auf das Haus zu. »Mr. und Mrs. O’Sullivan! Logan! Kenneth! Hannah!«

      Seine Stimme klang belegt und drohte zu versagen. Er kannte die Kinder der O’Sullivans gut. Mit Logan hatte er die Schulbank gedrückt. Und die kleine Hannah hatte ihm im letzten Jahr eine Zeit lang verliebte Augen gemacht. Natürlich wussten beide, dass daraus nichts werden konnte und es sich um die Schwärmerei eines jungen Mädchens handelte.

      Noch einmal rief er nach ihnen, als er keine Antwort bekam.

      Mit bleischweren Füßen näherte er sich langsam der zerstörten Veranda, in deren Boden riesige Löcher klafften. Plötzlich spürte er, dass er mit einem Fuß gegen etwas gestoßen war, fast wäre er darüber gestolpert. Er hatte den Lichtkegel seiner kleinen Taschenlampe nicht gegen den Boden gerichtet, sondern auf die Tür. Als er den Blick senkte, stockte ihm der Atem. Es war ein einzelnes menschliches Bein, abgerissen, noch fetzenartig bekleidet, dem der Schuh fehlte und das wie achtlos weggeworfen auf ihn wirkte. Übelkeit stieg ihn ihm auf. Schnell wandte er sich ab und konzentrierte sich wieder auf die Veranda. Achtsam setzte er einen Fuß vor den anderen, kontrollierte nun auch laufend den Boden und schob sich vorsichtig durch das klaffende Loch, an dem sich zuvor die Tür befunden hatte.

      Er blieb stehen. Es schüttelte ihn. Eiskalt lief es ihm über den Rücken, als er seinen Blick schweifen ließ. Von den Zwischendecken zum Dachboden war nichts mehr vorhanden. Das ungehindert einflutende Mondlicht verstärkte sein Entsetzen noch zusätzlich.

      Im fahlen Licht des Erdtrabanten erblickte Callum Cavanaugh den alten Adam O’Sullivan. Noch im Tod sah es aus, als habe er vor seinen Feinden fliehen wollen. Steif streckte er seine Arme der Tür entgegen. Seine glanzlosen