Thomas Riedel

Flammenreiter


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den Toten.

      Als er dessen Wunden sah, zuckte er aufstöhnend zurück. Er hatte gute Nerven und als ehemaliger Soldat der britischen Streitkräfte hatte er in Afghanistan vieles gesehen. Doch was er jetzt sah, war für ihn zu viel. Am Hals des alten Mannes bemerkte er eine starke livide Einfärbung, die auf eine Strangulation hindeutete. Er war zwar ein medizinischer Laie, aber dennoch glaubte er den Beweis in den Augen des alten Mannes zu finden – Einblutungen. Sein aufgerissener Brustkorb bot ein grauenvolles Bild. Es sah aus als habe man ihn ausgeweidet. Die Gedärme lagen verstreut neben ihm und sein Genital war abgeschnitten. Ächzend wankte er hinaus ins Freie und sank zu Boden. Ihm war schwindelig. Callum Cavanaughs Magen rebellierte. Er hatte das Gefühl sich jeden Augenblick übergeben zu müssen.

      Er wusste nicht, wie lange er zusammengesunken dort gelegen hatte. Erst allmählich brachte er die Kraft auf, noch einmal in die Ruine zurückzukehren. Er bemühte sich seine Gefühle zu kontrollieren. Aber es fiel ihm schwer. Das Grauen, welches sich seinem Auge bot, war eine tabellarische Auflistung der Folter und des Todes.

      Unter Trümmern fand er den völlig zerquetschten Körper seines ehemaligen Klassenkameraden. Ihm hatte man den Kopf abgetrennt und wie zur Zurschaustellung auf der Sitzfläche eines noch intakten Holzstuhles drapiert. Ein paar Minuten später entdeckte er auch Kenneth O’Sullivan, dem ein herabgestürzter Deckenbalken durch den Brustkorb gedrungen war. Auch er war zuvor ausgeweidet worden. Arme und Beine hatte man ihm abgerissen.

      Gleich darauf sah er das silbergraue, zu einem Pferdeschwanz geknotete Haar und den Kopf von Kate O’Sullivan. Mehr war von ihr nicht zu sehen. Sie lag verschüttet unter einem Haufen aus Mauersteinen und Gebälk. Ein Blick in ihr Gesicht zeigte, dass man ihr die Augen entfernt hatte.

      Er versuchte jetzt gar nicht mehr die Leiche freizulegen. Ihm war schwindelig und er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Dann erbrach er sich. Es dauerte einige Zeit bis sich sein Magen komplett entleert und wieder etwas beruhigt hatte.

      Wie konnte es bloß zu dieser Katastrophe gekommen sein? Er hatte viele Verletzungen und schwere Kriegsverletzungen gesehen. Doch was er hier sah, wollte so gar nicht zu einem Zusammenbruch eines Hauses passen. Das sah schon mehr nach Verletzungen durch Tiere aus. Aber selbst damit waren die Wunden nicht wirklich zu erklären. Und welche Meute wilder Bestien sollte das auch angerichtet haben ... die gab es in ganz Großbritannien nicht!

      Soweit er das beurteilen konnte stammten sie von Krallen und Zähnen riesiger Raubtiere und ihm unbekannten Waffen.

      Bei dem Gedanken daran lief es ihm wieder kalt den Rücken herunter. Er spürte, wie er zu frösteln begann. Unweigerlich dachte er an die Legende der Flammenreiter, und das, was man sich in der Bevölkerung über sie hinter vorgehaltener Hand erzählte. Er wusste um die alten Geschichten, über deren wilde Jagden und wie sie in früheren Zeiten gewütet haben sollten. Das was er hier auf der Farm der O’Sullivans vorgefunden hatte, deckte sich genau mit dem abscheulichen Bild, wie es die Überlieferung von ihnen zeichnete. Exakt so hatten zu Beginn des Mittelalters die dämonischen Flammenreiter getötet und hatten ihre Hundebestien unter der Bevölkerung gewütet. Wie Beutetiere hatten sie die Menschen unter sich niedergetrampelt und niedergebissen.

      Nur schwer konnte sich Callum Cavanaugh von den Einrücken und seinen Gedanken lösen.

      Die O’Sullivans waren tot.

      Sie waren alle niedergemetzelt worden!

      Ein schmerzvoller Aufschrei bemächtigte sich seiner und gellte in die Nacht. Er sank auf die Knie und presste seine Hände gegen die Schläfen. Das alles konnte niemals wahr sein! Soviel Grauen konnte es einfach nicht geben! Es war surreal, wie ein nicht enden wollender Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab.

      So oft Callum Cavanaugh auch um sich sah und auf die Leichen starrte, es änderte nichts. Hier hatten unheimliche, höllische Mächte der Finsternis ihre Finger im Spiel. Auf unvorstellbar grausame und bestialische Weise hatten sie sich ihrem Blutrausch hingegeben.

      Der junge Cavanaugh wollte sich schon abwenden, als er zusammenzuckte.

      Er hatte nur vier Leichen gefunden. Es hätten aber fünf sein müssen! Hannah fehlte!

      Hatte sie fliehen können?

      Hatte sie das Blutbad überlebt?

      Wo steckte Hannah O’Sullivan?

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      Kapitel 6

      E

      dward Cavanaugh und seine Frau Hollie standen Arm in Arm auf der überdachten Veranda ihres Farmhauses. Erwartungsvoll, aber auch voller Sorge und Angst, blickten sie zum entfernt liegenden Waldstück hinüber. Sie hofften darauf, ihren Sohn ausmachen zu können, wie er zwischen den Baumreihen auftauchte, und darauf, dass er wohlbehalten zu ihnen zurückkehrte.

      »Ich sollte ihn suchen gehen«, meinte der alte Mann mit den langen schlohweißen Haaren. »Wer weiß, was ihm bei dem Sturm passiert ist!«

      Sofort entwand sich seine Frau seiner Umarmung. Entschlossen schüttelte sie den Kopf und sah ihn mit funkelnden Augen an.

      »Du wirst hierbleiben!«, sagte sie mit lauter, fester Stimme. »Ich lasse Dich nicht da hinausgehen!«

      »Aber dieser Sturm ...«, begehrte ihr Mann auf. »Wenn ihm nun etwas passiert ist?«

      »Ihm ist aber nichts passiert«, entgegnete sie. »Ich fühle es. Eine Mutter spürt das, ob mit ihrem Kind alles in Ordnung ist!«

      »Vielleicht ...«

      Ihr Mann kam nicht dazu seinen Einwand zu beenden. Er wurde unterbrochen, denn auf der Zufahrtsstraße tauchten ein Paar Lichter auf, die sich ihnen in Schlangenlinien näherten und hin und wieder auf und ab wippten. Ein Motorengeräusch wurde hörbar.

      »Der muss ja volltrunken sein, so wie der fährt«, kommentierte Hollie Cavanaugh.

      »Oder er weicht herumliegenden Ästen aus. Der Sturm dürfte einiges herumgeschleudert haben«, meinte ihr Mann.

      Als der Wagen unweit der Veranda hielt, erkannten sie den schwarzen Porsche Cayenne.

      »Was will denn Hamilton hier?«, fragte Edward Cavanaugh erstaunt. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es ist Viertel vor zwölf.«

      »Keine Ahnung«, gab sie zurück. »Wir werden es sicher gleich erfahren.«

      »Das befürchte ich auch«, murrte ihr Mann. »Der ist noch schlimmer als der Sturm!«

      »Sei höflich, Ed!«, ermahnte sie ihn lächelnd. »Er macht mir Angst.«

      Edward Cavanaugh trat an die Stufen der Veranda und hielt sich mit seinen von der harten Arbeit gezeichneten Händen am Geländer fest. Abweisend sah er dem großen, hageren Mann mit dem Raubvogelgesicht entgegen, der mit einem breiten Grinsen auf ihn zukam.

      »So spät noch auf?«, rief Graham Hamilton. »Es ist fast Mitternacht!«

      »Als wenn ich das nicht wüsste!«, knurrte Edward Cavanaugh. »Ich frage mich, was Sie um diese Zeit hier wollen? Aber schlechte Menschen kennen wohl keine Uhrzeit, wie?«

      Er wartete vergeblich auf eine Antwort.

      »Ein schreckliches Wetter!«, meinte Hamilton nach einem Blick in den Himmel. »Was da alles passieren kann! Finden Sie nicht auch!«

      Der alte Cavanaugh ließ das Geländer los und stemmte die Arme in die Seite.

      »Sieht so aus, wenn ich mir Ihren Wagen ansehe. Sturmschaden?« Er grinste. »Nein, Ihnen hat jemand die Meinung gesagt. Nicht schlecht, jemand mit Courage!« Cavanaugh wurde wieder ernst. »Und jetzt sagen Sie, was Sie wollen!«, forderte er Hamilton mit mühsam verhaltener Wut auf. »Ansonsten verschwinden Sie! Oder sind Sie hier, weil Sie sich am Schaden weiden wollen, den wir erlitten haben?«

      Graham