Jo Caminos

Tempus Z


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die Off-Limits sind, aber das verstehen Sie sicherlich. Die Forschung läuft auf Hochtouren. Wir haben hier wirklich eine sehr illustre Schar an Spitzenkräften zur Verfügung. Können wir …?«

      Otis stutzte. »Wir dürfen also einfach so zurückkehren?«

      Grichenko lächelte. »Der Kalte Krieg ist lange vorbei, und angesichts der Lage, in der sich die Welt befindet, haben die alten Rivalitäten wohl ihre Bedeutung verloren. Was natürlich nicht heißt, dass wir in der neuen Welt, die hoffentlich irgendwann wieder entsteht, nicht wieder von vorne anfangen - mit unserem Misstrauen, mit unseren territorialen Streitigkeiten und was es sonst noch alles gibt ...« Grichenko zuckte fast verlegen mit den Achseln. »Nun, für den Rückflug müssen Sie allerdings selbst sorgen. Ich gehe einmal davon aus, dass die Fernleitstelle in Cleveland ihren modernen Vogel irgendwo in der Steppe geparkt hat und sie irgendwann abholen wird - nicht wahr?«

      »Das wissen wir nicht«, antwortete Jessica anstelle von Otis. »Wir waren selbst überrascht, als der Jet abgeflogen ist.«

      »Wirklich?« Grichenko lächelte spöttisch.

      Er glaubt dir nicht, dachte Jessica. Sie hielt Grichenkos Blick stand. Er ist gefährlicher, als es den Anschein hat. Ein Wolf im Schafspelz.

      »Wie auch immer«, fuhr Grichenko fort. »Folgen Sie mir jetzt bitte. Sie werden die Labors sehen, danach werde ich Sie zum General bringen.«

      »Und wie heißt der ... General?«, fragte Otis.

      Grichenko schwieg für einen Moment und starrte Otis in die Augen. »General ... Darf ich bitten.«

      Eine Stunde später brachte man Jessica und Otis in eine Art Herrenzimmer, wo in einem offenen Kamin ein Feuer brannte. Schwere, teure Teppiche lagen auf dem Felsboden. Rechts neben dem Kamin befand sich eine Couchgarnitur aus schwarzem Leder. Der Esstisch mit den acht Stühlen, der in der Mitte des Raumes stand, war für drei Leute gedeckt. Kerzen brannten in kostbaren Leuchtern und warfen ein warmes Licht auf die Szenerie.

      »Einladung zum Dinner«, murmelte Otis und runzelte die Stirn. »Was hältst du von den Aussagen der Wissenschaftler, Jess?«

      Sie zuckte mit den Achseln. »So gut ist meine medizinische Ausbildung auch wieder nicht. Aber - es klang vernünftig. Im Endeffekt hörte es sich nach dem an, was auch unsere Wissenschaftler von sich gaben - dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, aus den Blutproben der Leute von der ISS ein Heilmittel entwickeln zu können.«

      Otis grinste giftig. »Ja, wie schön das doch alles ist. Man stellt uns eine Luxusunterkunft zur Verfügung, führt uns zu den Laboren mit den führenden Wissenschaftlern und gleich werden wir mit dem geheimnisvollen General speisen. Mir ist das alles etwas too much ..

      Jessica zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, weil es nicht unserer Erwartungshaltung entspricht. Grichenko hat recht. Die alten Konflikte machen gegenwärtig keinen Sinn mehr. «

      »Jess ...« Otis sah sie beschwörend an. »Lass dich doch nicht einwickeln. Warum haben sie uns dann nicht die Hälfte der ISS-Besatzung für unsere Forschungsteams mitgegeben? Warum wollen sie alles selbst machen?«

      »Was weiß ich«, erwiderte Jessica leicht gereizt. Sie drehte sich etwas zur Seite, als sich die große Tür öffnete und ein nicht besonders großer Mann den Raum betrat. Er nickte Jessica und Otis zu und wies dann zum Tisch.

      Keine Wachen, keine Eskorte, der General, denn nur um ihn konnte es sich handeln, schien sich seiner selbst sehr sicher zu sein, dachte Otis.

      »Bitte nehmen Sie doch Platz. Das Essen wird gleich serviert. Ich hoffe, Sie haben Appetit. Wir haben einen vorzüglichen Koch hier.« Der Mann sprach akzentfreies Englisch.

      Otis und Jessica nahmen Platz, dann setzte sich der General an das Kopfende des Tisches. Kurz darauf betraten einige Küchenbedienstete den Raum. Das Essen konnte beginnen.

      »War alles zu ihrer Zufriedenheit«, fragte der General, als sie mit dem Essen fertig waren. Jessica und Otis dankten ihm. Während des Essens hatten sie nur gepflegte Konversation gemacht, nichtssagend und streng genommen überflüssig.

      »Sie wollen wissen, wer ich bin - was das alles soll«, sagte der General nach einer Weile lächelnd. »Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Ich bin Vladimir Dimitrov.« Der General machte eine Pause. An Jessicas Reaktion erkannte er, dass sie wusste, wer er war.

      »Der Dimitrov, der bei dem ehemaligen Präsidenten Kasachstans in Ungnade gefallen ist?«, fragte Jessica und sah ihm dabei in die Augen.

      »Eben der. Nach dem Zusammenbruch der Ordnung gelang mir die Flucht aus dem Gefängnis. Ich hatte nach wie vor viele Vertraute in der Armee. Und wir machten uns an die Arbeit, das zu retten, was noch zu retten war.« Dimitrov betrachtete nachdenklich das Rotweinglas und nahm einen kleinen Schluck.

      Jessica wusste, dass Dimitrov als Konservativer galt, der dem progressiven Kurs des ehemaligen Präsidenten nichts hatte abgewinnen können und gegen ihn opponiert hatte. Es hieß sogar, dass Kasachstan kurz vor einem Militärputsch stand. Doch vieles davon konnte auch ein Gerücht sein.

      »Sie waren gegenüber den USA nicht gerade freundlich eingestellt, General«, sagte Jessica und sah Dimitrov dabei in die Augen.

      »Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Aber der Konflikt mit unserem Präsidenten hatte interne Ursachen. Die Korruption im Land hatte verheerende Ausmaße angenommen.« Er trank erneut einen Schluck Wein. »Und das Ausland sollte nicht immer so tun, als wäre Korruption immer nur eine Sache des ehemaligen Ostblocks. Nicht wahr?«

      Otis registrierte die Spannung, die plötzlich im Raum stand ganz genau. Etwas funkelte in Dimitrovs Augen. Es gefiel ihm ganz und gar nicht.

      »Das ist Vergangenheit, General. Was geschieht jetzt weiter? Ihr Hauptmann Grichenko äußerte sich dahin gehend, dass wir Kasachstan verlassen dürfen und zurückkehren können.«

      Dimitrov nickte. »Ja, aber sicher.«

      »Und was ist mit der ISS-Besatzung? Wäre es nicht von Vorteil, wenn Sie uns einige der Leute mitgeben - zumindest die beiden Amerikaner und die zwei Europäer. Insbesondere, wenn sie die beiden Amerikaner hier festhalten, könnte das eventuell nachträglich für Spannungen sorgen.«

      Dimitrov lächelte. »Höre ich da eine versteckte Drohung heraus?«

      »Nein. Keine Drohung, lediglich Fakten.«

      »Wieso gehen Sie davon aus, dass ich Ihnen die beiden Amerikaner nicht mitgeben würde?«

      Otis stutzte. »Aber ...«, setzte er an.

      Dimitrov winkte ab. »Als die Besatzung landete, musste sie sofort ärztlich versorgt werden. Offensichtlich war man in Cleveland nicht ausreichend informiert. Die Besatzung der ISS war länger im All als alle anderen Besatzungen zuvor. Und einer ihrer Landsmänner, der Astronaut Bruce Lowell, ist leider schwer erkrankt. Natürlich könnten Sie ihn in die Staaten überführen, aber er leidet an einer Krebserkrankung, die eine sofortige Therapie notwendig macht. Haben Sie in Cleveland entsprechende Fachleute vor Ort?«

      Otis sah schnell zu Jessica, die an seiner Stelle antwortete. »Wir haben einige Spezialisten, Ärzte, Genetiker - aber Genaueres wissen wir nicht. Unser Auftrag lautete lediglich, die Crew in die Staaten zu überführen. Von der Existenz dieser Einrichtung hier wussten wir nichts. Die Kommunikation zwischen den Staaten ist de facto nicht mehr existent, das wissen Sie selbst, General Dimitrov.«

      Na toll, dachte Otis. Und so geben wir preis, dass wir für einen Dilettantenstadel arbeiten ...

      Dimitrov winkte ab. »Es steht Lowell frei, mit Ihnen in die Staaten zurückzukehren, aber er hat abgelehnt. Unser Ärzteteam behandelt ihn, und als Mediziner weiß er, dass er hier in besten Händen ist. Aber seine Kollegin, Linda Carruthers, darf gerne mit Ihnen zurückfliegen.«

      »Und die anderen?«, hakte Otis nach.

      Dimitrov zuckte mit den Achseln. »Sie haben sich dagegen entschieden. Sie können Sie gerne selbst fragen, wenn Sie mir nicht glauben.