Jo Caminos

Tempus Z


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wirst ...« Er sah Candy tief in die Augen.

      »Schieß los ...«

      Huntington räusperte sich. »Gib mir die Kinder mit. Ich fahre mit dem Boot in die Nähe der Nachbarinsel. Weiße Fahne. Zwei Kinder. Unbewaffnet. Wir müssen signalisieren, dass wir reden wollen - und müssen.«

      Candy wollte aufbegehren, doch Mary-Ann legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. »Hör einfach zu, was er zu sagen hat. Edward würde die Kinder niemals in Gefahr bringen, das weißt du ganz genau, Candy.«

      »Wäre eine Möglichkeit«, meinte Joshua. »Dieses Einigeln der Insulaner bringt auf Dauer nur eines, nämlich nichts.«

      Candy presste die Lippen aufeinander, dass sie wie ein Strich erschienen. »Meine Kinder in der Schusslinie ...«

      Huntingtons Blick wurde hart. »Ich würde die Kinder nie bewusst in Gefahr bringen, Candy, das weißt du. Aber - die Menschen auf den Inseln haben Angst. Sie sind misstrauisch. Ich bin der Älteste von uns. Lass es mich versuchen. Die Kinder und ich - ohne Waffen. Wir geben zu erkennen, dass wir in friedlicher Absicht kommen.«

      »Und wenn wieder geschossen wird?«, fragte Candy.

      »Dann kehre ich um.«

      Einige Minuten vergingen, als die Haustür aufgerissen wurde.

      Leo und Janet wirkten verstört. Ohne ein Wort zu sagen, nahmen sie neben ihrer Mutter Platz. Leo stellte das Fernglas auf den Tisch. Sein Gesicht war weiß wie eine Wand.

      Die anderen spürten, dass etwas nicht stimmte, doch keiner wollte die beiden drängen. Es war Janet, die nach einer Weile zu reden anfing.

      »Die ... die Leute haben einen Mann getötet. Es war ganz furchtbar. Sie haben einem Mann die Kehle durchgeschnitten.« Sie brach ab und schlang plötzlich die Arme um ihre Mutter.

      Leo sah starr geradeaus. »Es sah so aus, als befragten die Leute den Mann über die Inseln. Einer der Maskierten zeigte immer in Richtung unserer Insel und dann auf die anderen, die weiter entfernten.«

      Betroffenes Schweigen machte sich breit.

      »Wenn wir halbwegs sicher sein können, dass die Fremden sich nicht mehr am Ufer aufhalten, fahre ich mit dem Boot rüber! Uns läuft die Zeit davon«, sagte Huntington mit rauer Stimme. »Das Herumsitzen hier bringt uns nicht weiter. Wir hätten schon längst etwas unternehmen sollen.«

      Candy schluckte, erwiderte aber nichts.

      Leo und Janet schienen sich wieder gefangen zu haben.

      Huntington beugte sich etwas nach vorne. »Leo, Janet - seid ihr bereit, mit mir im Boot zur Nachbarinsel zu fahren? Wir müssen endlich mit den Leuten auf den anderen Inseln Kontakt aufnehmen.«

      Beide Kinder nickten, erst dann sahen sie zu ihrer Mutter.

      Joshua hatte sich erhoben.

      »Was hast du vor?«, fragte Mary-Ann.

      »Neue Pfeile für die Armbrust anspitzen. Und ihr solltet das auch tun.«

      Es gab in der Hütte zwar nur wenige Waffen und Munition, dafür hatte sich Mary-Ann vor Jahren eine Sportausrüstung an Armbrüsten und Sportbögen gegönnt. Mit dem Langbogen konnte sie sehr gut umgehen, und mit der Armbrust könnte sie mittlerweile an einer Meisterschaft teilnehmen. Holz gab es auf der Insel genug. Aber was war, wenn die Fremden schwereres Kaliber einsetzen würden? Nur die Zukunft würde es zeigen.

      Wer waren die Fremden am Ufer? Hatten sie einen Mann getötet - oder war es nur ein Untoter gewesen, den sie ausgeschaltet hatten. Leo und Janet waren sich später nicht mehr so sicher gewesen, was sie da beobachtet hatten - und Huntington hatte nicht weiter in die Seelen der Kinder eindringen wollen.

      Kasachstan

      In der Steppe

      »Was machen die Muskeln?«, fragte Otis, als Linda Carruthers, die Biologin, die auf der ISS gewesen war, neben ihm und Jessica aus dem Transporter stieg. Man hatte sie gehen lassen. Sie waren Dimitrov nicht wieder begegnet, aber Hauptmann Grichenko hatte die besten Grüße von ihm unterbreitet. Dann hatte man sie zu einem leichten Mannschaftstransporter gebracht, der sie an die Stelle bringen sollte, wo der Tarnkappenjet vor drei Tagen gelandet war.

      Drei Tage Schmierenkomödie, dachte Otis, der sich in der kargen Landschaft umsah. Jessica und er tauschten einen schnellen Blick. Linda Carruthers hielt sich tapfer. Offensichtlich wollte sie nicht zeigen, wie geschwächt sie war - vielleicht war es auch die Aussicht, nach Cleveland zurückkehren zu können, die sie ihre Schwäche vergessen ließ.

      »Welche Untersuchungen wurden an Ihnen vorgenommen?«, fragte Jessica einen Moment später. Sie sah Carruthers in die braunen Augen.

      »Standarduntersuchungen. Blutentnahme. Urin. Stuhl. Kardio ... Nichts Außergewöhnliches. Man war sehr zuvorkommend. Aber jetzt bin ich froh, wenn ich bald wieder zu Hause bin ...« Sie hatte die Worte noch nicht richtig ausgesprochen, als sie ihren Fauxpas bemerkte. »Nun ja, zumindest in den Staaten ...«

      »Und Lowell wollte wirklich aus freien Stücken bleiben - und die Franzosen auch?«, hakte Otis nach.

      Linda Carruthers sah sowohl ihn als auch Jessica fragend an. »Sie klingen, als misstrauten Sie den Leuten hier. Wir haben die beste Behandlung bekommen, die man sich nur vorstellen kann. Und ja - Lowell wollte nicht nur bleiben, er musste. Seine Krebserkrankung muss sofort behandelt werden, wenn ...« Sie ließ den Satz offen. »Er kann von Glück sagen, dass sie hier so viele Spitzenärzte haben. Vielleicht hat er noch eine Chance.«

      »Und die anderen?« Otis ließ nicht locker.

      Carruthers schüttelte den Kopf. Sie wirkte ärgerlich. »Die Franzosen wollen bleiben, der Finne auch. Und der Russe und der Kasache sowieso.« Sie lachte erstickt auf. »Ist doch fast scheißegal, wo man ist. Diese Welt ist den Bach runter gegangen. Und wir hatten auf der ISS einen Logenplatz ...« Tränen schimmerten in ihren Augen.

      »Haben Sie jemanden verloren?«, fragte Jessica leise.

      Linda Carruthers wischte sich über die Augen. »Nein. Ich habe mich seit meinem Studium nur noch auf die Arbeit konzentriert. Ich wollte unbedingt hoch zur ISS. Darüber sind einige Beziehungen gescheitert. Zu viele ... Freunde, Bekanntschaften. Zwei Tage nach meinem Doktortitel sind meine Eltern mit dem Auto tödlich verunglückt. Mit dem Rest der Familie verbindet mich nichts. Da war nie ein enges Band. Aber das tut nichts zur Sache ...« Es war offensichtlich, dass sie nicht mehr über ihre Familie preisgeben wollte.

      Otis und Jessica schenkten sich erneut einen schnellen Blick. Hörten sie wirklich nur das sprichwörtliche Gras wachsen?

      »Und wie kommen wir jetzt hier weg?«, fragte Carruthers, die sich kurz bei Otis abstützen musste. Offensichtlich war sie doch stärker geschwächt, als sie bereit war zuzugeben.

      »Damit«, sagte Jessica und wies nach Westen, wo ein schwarzer Fleck schnell größer wurde. Einige Minuten später setzte der ferngelenkte Jet in der Steppe auf. Die Turbinen verstummten, und die Luke öffnete sich. Momente später schob sich die Leiter nach unten.

      Und jetzt einfach nach Hause fliegen ..., dachte Otis. Ein mehr als ungutes Gefühl hing ihm im Nacken. Nein, so funktionierte die Welt nicht. Und das hatte nichts damit zu tun, dass er durch seine Geheimdienstarbeit zum Zyniker und Skeptiker geworden war. Er sah kurz zu Jessica, der es ähnlich zu ergehen schien.

      Sie hatte erwartet, das Grichenko sie mehr oder minder ins Bett ziehen wollte, doch auch mit ihm war alles anders gekommen. Er hatte sich wie ein wahrer Gentleman verhalten und war auf Distanz geblieben. Keine dummen Sprüche, keine blöde Anmache.

      Sie bestiegen schweigend den Jet. Carruthers legte sich auf eine der Liegen im hinteren Teil des Cockpits und war nach wenigen Minuten eingeschlafen.

      Otis saß schweigend neben Jessica und starrte durch die Cockpitscheiben. Jessica kontrollierte die Schaltungen und aktivierte