Tanja Kewes

Faktor Mensch


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- und noch dazu in aller Öffentlichkeit – hat zuletzt Jürgen Großmann, der große, starke Stahlunternehmer während einer Podiumsdiskussion, sowie Maria-Elisabeth Schaeffler, die Grande Dame der deutschen Wirtschaft vor ihrer Belegschaft. Und dass der Beruf der größte und erfolgreichste Balzplatz ist, wissen wir nicht erst seit Paarungen wie Telekom-Chef René Obermann und Moderatorin Maybrit Illner oder den beiden Oberlinken Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht.

      Auch im Job wollen und sollen wir Menschen sein.

       Erschienen am 02.12.2011 im Handelsblatt

      Wenn die Kekse fehlen

       und der Hausbote nicht mehr klopft

       Liebe Controller, den Abschwung schaffen wir so garantiert. Den Aufschwung aber garantiert nicht!

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      ie Krise ist die Zeit der Krämer. In jede Ecke kriechen die Controller, um noch versteckte Kosten zu finden und zu kappen, zu kürzen, zu köpfen. Kennen Sie das auch?

      Am Anfang stehen die Kleinigkeiten, die zwar ärgerlich, aber doch noch mit Humor zu ertragen sind. In Besprechungen gibt es keine Kekse mehr, und die Granini-Fläschchen sind dem Kraneberger aus der Karaffe gewichen. Fragen Sie sich nicht, was das soll! Das bringt finanziell gar nichts. Es ist reiner Aktionismus, Symbolik: Jeder soll merken und sich immer wieder daran erinnern, dass Krise ist. Haken Sie das ab – oder sehen Sie es positiv! Das Zuckerwerk rutscht eh nur auf den Bauch (bei den Herren) oder auf Hüfte und Hinterteil (bei den Damen).

      Als Nächstes wird der interne Postdienst aufgelöst. Gut, die Kollegen, die immer mit dem Wägelchen durch die Gänge fuhren, wirkten wie aus einer anderen Zeit. Sie waren aber sehr nützlich und grüßten auch immer so freundlich. Nun sind sie weg, ihre Wägelchen stehen träge und traurig zum Abtransport bereit in einer Ecke der Poststelle. Die Folgen dieser Sparmaßnahme tragen im besten Sinne des Wortes Sie selbst: Ab jetzt dürfen Sie Ihre Umschläge und Zeitungen selbst aus dem Postfach holen. Jeder rennt jetzt morgens als Erstes in den Keller – vom Abteilungsleiter bis zur Azubine: Das ist unter basisdemokratischen und kommunikativen Gesichtspunkten natürlich ganz toll. Es kostet aber jede Menge gut bezahlte Arbeitszeit und bringt immer wieder ein kleines Chaos.

      Auch am Eingang ändern sich die Zeiten. Ein elektronisches System ersetzt den Portier. Die Schließanlage kostet zwar fünf Jahresgehälter des guten Herrn Schulz, und die laufenden Kosten für die Wartung der Anlage, der Chipkarten, Codes ... sind auch nicht gering. Aber es ist ein weiteres Krisenzeichen gesetzt. Kein fröhliches „Guten Morgen!" mehr, jeder Tag beginnt anonym mit einem „Piiiep". Ihre Gäste können Sie von der Straße einsammeln, nachdem sie mit dem Handy angerufen haben. Auch die Freund-Feind-Erkennung funktioniert nicht mehr, und plötzlich – oh Wunder – verschwinden wieder Portemonnaies aus den Büros.

      Schließlich wird auch noch an der Sauberkeit gespart. Die Putz-Rhythmen werden reduziert. Der Schreibtisch klebt, der Mülleimer quillt über, die Fensterscheiben sind blind. Asthmatiker röcheln. Einspareffekte? Vergessen Sie es! Reine Schikane. Irgendwann erwischen Sie sich mit dem Feudel in der Hand und machen in der Firma das, was eigentlich nicht zu Ihren Kernkompetenzen zählt und Sie zu Hause seit langem outgesourct haben: putzen.

      Wenn die Stimmung durch solchen Aktionismus und solche Krisen-Symbolik auf dem Tiefpunkt ist, sparen auch noch die Führungskräfte am allerwichtigsten: Lob und Zuspruch. Und nicht nur wir Frauen wissen: Ein Kompliment kostet nichts. Das ist dann wirklich traurig. Denn die letzten Bürohikaner, die die jüngste Kündigungsrunde überlebt haben – sei es, weil sie die Leistungsstärksten oder die mit den meisten Sozialpunkten sind, bräuchten besonders viele Streicheleinheiten. Schließlich ma-chen jetzt drei Menschen die Arbeit von sieben.

      Kurz und schmerzlich: Liebe Controller und Geschäftsführer, den Abschwung schaffen wir so, garantiert. Den Aufschwung aber garantiert nicht!

       Erschienen am 13.11.2009 im Handelsblatt

      Der hysterische Business-Lunch

       – oder: Saure-Gurken-Zeit

       Die Mittagspause ist zur anstrengendsten Stunde des Tages verkommen.

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      er Business-Lunch, jener werktägliche Mittagstisch mit den lieben Kollegen oder dem Chef, ist ja schon lange kein Vergnügen, keine MittagsPAUSE im eigentlichen Sinne mehr. Es ist bisweilen die anstrengendste Stunde des Tages.

      Zwischen Rindercarpaccio, Steinbutt im Kräuterbett und Espresso Macchiato wird genetzwerkt, konzipiert, geheuert, gefeuert, gemobbt, befördert, abgemeiert, Tacheles geredet, rumschwadroniert, geflirtet. Das „Wer mit wem, wo und wie lange" ist häufig entscheidender als bei echten Büroterminen. Und das „Was essen wir?" hat inzwischen auch noch eine hysterische Komponente bekommen. Aber der Reihe nach, oder besser: ein Gang nach dem anderen …

      Wer mit wem? Mit den lieben Kollegen ist natürlich der Klassiker und das wöchentliche Pflichtprogramm. Da wird gelästert, über den Neuen oder den, der gerade auf Geschäftsreise ist, und es wird viel Benchmarking betrieben – „mein (neuer, dicker) Dienstwagen", „meine (hochintelligente) Jüngste“… Manchmal, und ich glaube gar nicht so selten, wird weniger gebenchmarkt, mehr geflirtet. Dann gibt es als Vor- und Nachspeise die großen Erfolgsgeschichten von ihm und die tiefen Blicke von ihr – oder andersherum. Der Lunch mit dem Chef ist immer ein Highlight und die Kür, aber auch Schwerstarbeit und glattes Parkett. Wer da zwischen Vor- und Nachspeise nicht aufpasst, hat drei neue Projekte am Hals, viel über sich preisgegeben und ist immer noch nicht befördert.

      Wohin zum Business-Lunch? Die Damen gehen gerne ins super gesunde und kalorien- und kohlenhydratarme „Sattgrün", die Herren ins fleischig-fettige „Delfi". Um einen Kompromiss zu finden, landet man und frau häufig beim eigentlich viel zu teuren Italiener um die Ecke und hat am Nebentisch – näher als in jedem Meeting – den Chef und den Chefchef sitzen. Na, guten Appetit die Herren und Damen! Jetzt heißt es reden, ohne was auszusagen, und gleichzeitig noch zu lauschen. Da kann die Pasta noch so gut sein, es schmeckt nicht.

      Wie lange? Heute ist meist spätestens nach einer Stunde Schluss mit „hmmm, lecker!“. Früher, ja früher, da fuhr man(n) mittags nach Hause zu „Muttern" (gemeint war die Ehefrau) oder verschwand bis mindestens halb drei Uhr im örtlichen, mit Türspion und „Members only"-Schild exklusiv gehaltenen Industrieklub. Mit Aperitifaperitif, also Cognac und Zigarre, konnte es da auch schon mal halb vier werden. Und weil es dann ja eh schon so spät war, rief man(n) noch kurz die Sekretärin an, um sich versichern zu lassen, dass nichts mehr anstehe, und verabschiedete sich in den Feierabend, pardon, zu wichtigen Gesprächen in die Loungebar des Klubs.

      Was essen wir? Wir wollen ja was essen – und müssen das eigentlich auch, weil wir schon das Frühstück vor Geschäftig- und Wichtigkeit geschlabbert haben – und wollen es doch eigentlich nicht. Die Figur, die Figur, die Figur – ja, liebe Männer, auch von Ihnen höre ich diese Klage immer öfter. Und wir, diese Lass-es-mir-schmecken-aber-mach-mich-nicht-dick-Experten, haben inzwischen ein echtes Problem: Grünzeug wie Gurken und Sprossen ist auf einem Iiiih-Niveau wie Gammelfleisch. Der Ehec-Seuche sei Dank. Den BSE-Skandal hatten wir ja gerade erfolgreich verdrängt.

      Haben Sie zuletzt auch auf Frisches und rohes Fleisch verzichtet? Und sich ordentlich durchgekochte Pasta reingezwängt? Am Mittagstisch herrscht inzwischen eine gewisse Hysterie. Oder gehören Sie zu den Verwegenen, die den Salat jetzt erst recht knacken lassen und das Steak dazu schön blutig nehmen? Egal wie, Ehec und BSE sind dieser Tage dabei – wenn nicht auf dem Tisch, so doch in unseren Köpfen und rauben uns so auch noch die letzte innere Ruhe beim sowieso schon kapriziösen Business-Lunch.

      Wohl also dem, der zwischen zwölf und ein Uhr schon immer leise Herbert Grönemeyer summte und am liebsten voller Genuss in das Ruhrpott-Carpaccio biss: „Kommse vonne Schicht, wat schönret gibt et nich, als wie Currywurst." Gesagt und gemampft.

      Der Currywurst-Fan weiß wenigstens, was er hat – Phosphate, viel Fett, Stammtischniveau – und was er nicht hat: Arbeitszeit,