Tanja Kewes

Faktor Mensch


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Erschienen am 10.06.2011 im Handelsblatt

      Wer jedes Detail selber regelt,

       scheitert im Klein-Klein

       Das Herumwursteln wie an der Bratwurstbude am Bahnhof hat Risiken, aber die wischen wir selbstsicher vom Ecktisch.

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      in Alexander der Große oder ein Stratege wie Carl von Clausewitz stehen für die große Linie – und um die sollte es uns, liebe Fach- und Führungskräfte, ja eigentlich auch gehen. Ferdinand Piëch, der Auto-Patriarch, oder Gerhard Cromme, der ach so gute Unternehmensführer und -lenker von Thyssen-Krupp und Siemens, sind zwar nicht unumstritten, gelten aber als solche Weitdenker. Doch die Gefahr ist groß, dass wir uns jeden Tag im Klein-Klein, in den operativen Niederungen unserer Jobs verlieren.

      Das sogenannte Mikromanagement ist aber auch zu schön ... Hinter dem Chaos steckt System. Ohne Strategie arbeitet und führt es sich bestens. Wir können unsere Mitarbeiter herumkommandieren wie sonst nur den Schoßhund. Ohne klare Regeln und Überzeugungen haben wir allzeit die Macht. Jede kleine Entscheidung treffen wir, alles tanzt nach unserem Zeigefinger. Auch die cleversten Untergebenen blicken nicht mehr durch, können keine eigenen Vorschläge, Ideen entwickeln.

      Warum also ein-, vielleicht zweimal im Leben ein Visionär sein, wenn wir jeden Tag ein kleiner Sonnenkönig sein und sagen können „L'État c'est moi!"?

      Und das Beste: In diesem absolutistischen, chaotischen System blicken nicht einmal die lieben Kollegenkonkurrenten durch – und haben von daher null Angriffsfläche. Und falls der Chefchef, der Eigentümer oder Aufseher doch einmal eine Strategie verlangt, engagieren wir hopplahopp – wie es unsere Art ist – einen Strategieberater. Unsere kleingeistige Strategie: Den Heinis von McKinsey, Boston Consulting oder Roland Berger wird schon was Schönes, wenn schon nichts Schlaues einfallen. Und falls deren Strategie nichts taugt, haben wir auch noch einen Schuldigen, der von unserer eigenen Ideenlosigkeit, unserem eigenen Unvermögen ablenkt. Was wollen wir mehr?

      Das Herumwursteln, das In-den-Tag-hinein-Arbeiten wie an der Bratwurstbude auf dem Bahnhofsvorplatz hat zwar Risiken und Nebenwirkungen, aber die wischen wir hektisch vom Ecktisch. Die Familie, die zugegebenermaßen zeitlich zu kurz kommt, soll sich mal nicht so haben, schließlich verdienen wir das große Geld. Die devotesten Mitarbeiter, die nicht einmal mehr bei unseren schwachsinnigsten Ansagen aufmucken, und die wir deshalb auch eigentlich heimlich verachten, sollen froh sein, dass sie mit so einem Genius wie uns zusammenarbeiten. Und die Nachhaltigkeit? Ach, das ist doch nur ein schönes Modewort, das uns mit unserem Drei- bis Fünfjahresvertrag nicht zu scheren braucht. Nach uns die Sinnflut ...

      Und schließlich, wenn uns bei der alljährlichen Führungskräftetagung auf Mallorca sogar der „Content" für eine oberflächliche Powerpoint-Präsentation fehlt, sind die Umstände, der Druck, die Krise, die unselbstständigen Mitarbeiter, das tägliche Klein-Klein schuld. Wer will uns denn da das Gegenteil beweisen? Und bei einem schönen Chianti wälzen wir uns dann mit den anderen kleinen und größeren Sonnenkönigen im Selbstmitleid.

      Auch wenn sich im Job eigentlich eine Kriegsmetaphorik eines Carl von Clausewitz verbietet, es nicht um Leben und Tod, Vaterland und Muttermilch geht und auch keine Schlachten geschlagen, Länder erobert oder Dynastien gegründet werden – eine Strategie zu haben zahlt sich doch aus.

      Haben Sie eine?

       Erschienen am 24.06.2011 im Handelsblatt

      Verkleidungen machen Leute

       Von Clown bis Erbsenzähler – in vielen Geschäftssitzungen geht es das ganze Jahr zu wie an Karneval.

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      ie tollen Tage der fünften Jahreszeit gibt es nicht nur im Rheinland und von Altweiber-Donnerstag bis Ascher-mittwoch einmal im Jahr. In vielen Geschäftssitzungen geht es das ganze Jahr zu wie an Karneval. Egal, ob diese Jour fixe, Brain-Storming, Wochenkonferenz oder Projektbesprechung heißen. Wir selbst und die lieben Kollegen spielen unsere Rollen, als hätten wir Kostüme an.

      Von wegen Kleider machen Leute, wie es einst Gottfried Keller in seiner Novelle beschrieb, heute gilt häufig: Verkleidungen machen Leute. Schauen Sie sich mal um!

      Der joviale Entertainer darf in keiner Konstellation fehlen. Modisch up to date trägt er derzeit lila Hemd. Seine Haut ist sonnenbankbraun, seine Haare durchziehen blonde Strähnchen. Er hat für jede Lebens- und Geschäftssituation einen Spruch parat, der markig, aber bildlich schief bis schrecklich ist – zum Beispiel: „Da fliegt einem ja die Kniescheibe weg!" Wenn wirklich Karneval ist, macht er Ernst und kommt als Clown.

      Der Karrierist sitzt stets links vom Chef, nickt bei jeder seiner Äußerungen eifrig (und seien diese noch so belanglos) und schreibt alles mit, was der große Meister von sich gibt. Sein Blackberry/iPhone blinkt und vibriert unablässig. Er ist top ausgebildet, spricht drei Sprachen fließend, weiß sich zu kleiden. Seine Defizite hat er – wie sollte es anders sein – im Sozialen. Seine Ideen sind nicht blöd, da ihn jedoch keiner mag, gesteht ihm das keiner zu – weder vor aller noch unter vier Augen. Im Karneval trägt er Uniform. Als Stadtsoldat, Fregatten- oder Flugkapitän übt er sich als künftiger Chefchef.

      Eine weitere Type ist der Prinz. Der ist dem Karrierist nicht unähnlich, er kommt aber stets zu spät und ist schlecht bis gar nicht vorbereitet. Er besticht allein durch gutes Aussehen und Auftreten. Er kann sich fast alles erlauben, weil er das Team (das natürlich keines ist) schon einmal durch einen perfekten Vortrag (kein Inhalt, nur Show) gerettet hat. Der Prinz wird von allen insgeheim geliebt und gehasst zugleich, da alle gern so wären wie er. Einfach Bella Figura machend, mimt er im Karneval den Gott in Weiß, einen Arzt, oder gleich den Papst.

      Schließlich der Erbsenzähler und Zauderer. Der tritt nie ohne Taschenrechner auf. Kein Satz ohne Zahl, kein Beleg ohne Statistik. Er ist kleinkariert – von Hemd bis Kopf. Im Karneval müsste der Zauderer eigentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Erbsenzähler einen Schotten darstellen. Das traut er sich aber nicht – und zwar nicht nur, weil Merkel im Düsseldorfer Zoch traditionell nackt daherkommt und die Schotten traditionell Röcke tragen. Er verkleidet sich gar nicht. Nicht mal große Karos traut er sich.

      Endlich der Gutmensch. Der tritt gerne im Gewand des Betriebsrats auf, pfeift die „Internationale" und kämpft für „meine, äh, pardon, unsere Sache". Zum Thema trägt er in der Regel wenig bei. Für alles Inhaltliche hat er „wegen der vielen Verpflichtungen im Betriebsrat leider wenig Zeit". Im Karneval dreht er – nach 37,5 Stunden Wochenarbeitszeit gut erholt – voll auf und zeigt als Teufel oder Kater seine Hörner oder Krallen.

      Haben Sie sich oder die lieben Kollegen wiedererkannt? Wenn ja, nehmen Sie es nicht zu schwer. Sondern eher als Denkanstoß – so wie im Epischen Theater von Bert Brecht mit seinen skurrilen Helden und überzeichneten Situationen. Das Ergebnis vieler geschäftlicher Meetings passt ja ohnehin sehr gut zu Brechts Ansatz „Der Vorhang zu, und alle Fragen offen". Hauptsache, jeder hat sich gut präsentiert – mit oder ohne Schminke, Konfetti und Kostüm.

       Erschienen am 19.02.2010 im Handelsblatt

      Warum es schön ist, zu beraten und sich beraten zu lassen

       Wer Entscheidungen fürchtet, mietet sich einen Söldner.

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      as haben Joschka Fischer, Hartmut Mehdorn und Herbert Walter gemeinsam? In ihrem ersten Leben nicht viel. Der eine war Revoluzzer, Steinewerfer, Außenminister und bis zuletzt grün, der andere Bahn-Chef im Tower von Berlin, der Dritte Dresdner-Bank-Boss. Der Erste wurde abgewählt, der Zweite trat zurück, der Dritte war nach der Fusion seiner Bank überflüssig.

      In ihrem heutigen Leben haben sie aber eines gemeinsam: Sie sind Berater. „Joschka Fischer and Company" heißt die eine Beratungsadresse am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte, und die anderen beiden Herren haben ihre neue Berufung im feinen Westend