Tanja Kewes

Faktor Mensch


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nicht die einzigen. So steht der frühere Eon-Chef Wulf Bernotat dem Finanzinvestor Permira zur Seite, der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, dem österreichischen Konzern Magna, und Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair berät alles und jeden und hat so binnen weniger Jahre Millionen Pfund gemacht.

      Aber es ist nicht nur so, dass die Alten die Beratung als Aufschub vor dem unausweichlichen „a.D." entdeckt haben. Auch wir anderen geben uns zu gerne der Beratung hin – wenn auch nicht als Anbieter, sondern als Kunden, und zwar beruflich und privat. Wollen wir ein paar Kilo abnehmen, gehen wir zum Ernährungsberater und engagieren anschließend einen Personaltrainer. Wollen wir unser Geld vermehren, vertrauen wir – Finanzkrise und diversen Bankenskandalen zum Trotz – wieder unserem Anlageberater. Wollen wir heiraten, finden wir einen Wedding-Planner, ziehen wir um, einen Einrichtungsberater, verändern wir uns beruflich, einen Karriereberater, ticken die lieben Kleinen aus, eine Supernanny.

      Warum tun wir das? Die Hälfte der (teuren) Zeit braucht der Berater, um sich einzuarbeiten, also um auf den Stand zu kommen, den wir, die Auftraggeber schon haben. Wegen der weltbewegend neuen Ideen, Konzepte, Strategien, die diese feinen Herren oder Damen für uns entwickeln? Na, ja, bewegend ist meist nur das Honorar. Und selbst wenn diese (mal) gut sind, stehen wir danach meist alleine mit der Umsetzung da. Müssen also etwa selbst die Produktion schließen, die Hälfte der Mitarbeiter „freisetzen", selbst schwitzen, nur noch Wasser trinken und Kohlsuppe essen.

      Von Beruf Berater zu sein behält man in gewissen Teilöffentlichkeiten und an bestimmten Orten zwar besser für sich. Denn wer etwa auf einer Party verkündet, „Meckie", „Boozie" oder „Bainy" zu sein und auf „work hard, play hard" macht, trinkt sein Kaltgetränk schon mal allein.

      Also, warum werden die einen Berater, warum suchen die anderen Rat? Erstens scheuen sich viele von uns (Führungskraft hin oder her) davor, einsame Entscheidungen zu treffen. Also engagieren wir einen Söldner, der das für uns tut, und auf den wir, im Fall der Fälle, die Schuld schieben können. Zweitens sind wir Tag für Tag überfordert. Um Zeit zu gewinnen, engagieren wir eine Beratertruppe. Egal, ob es ein Dutzend 28-jähriger Consultants oder ein Elder Statesman ist, sie verbreiten Aktionismus und lenken von unserer eigenen Ideen- und Konzeptlosigkeit ab. Und drittens: unser Hang zur Perfektion. Selbst wenn es geschäftlich gut läuft, unser Erspartes sich stetig mehrt, wir nahe am Idealgewicht sind, wollen wir es besser, vervielfacht, schöner machen oder haben, und dann ist die erste oder letzte Wahl der Berater.

      Selbst ein Berater braucht einen anderen Berater. So haben sich Joschka Fischer, Hartmut Mehdorn und Herbert Walter auch nicht allein selbstständig gemacht. Sie beraten mit anderen zusammen: Fischer mit einem grünen Kompagnon und seiner früheren Sekretärin, Mehdorn und Walter miteinander sowie einem weiteren Ex-Dax-Vorstand. Und die „Roland Berger Strategy Consultants" leisten sich nach wie vor ihren Gründer, den 72-jährigen Roland Berger als Beraterberater. Oder leistet er sich sie?

       Erschienen am 17.09.2010 im Handelsblatt

      Das Pinguin-Prinzip

      Beschränkter Blick, mangelnde Planungso geht es mit unserer Wirtschaft abwärts.

G

      leich und gleich gesellt sich gern." „Gegensätze ziehen sich an." Der Volksmund hat für jede Lebenslage einen Spruch. Für die deutsche Wirtschaft galt lange Jahre aber nur die alte Personalerweisheit: „Pinguine stellen Pinguine ein!" Oder, um mit Siemens-Chef Peter Löscher zu sprechen, der sein Amt im Jahr 2008 in München mit einem frischen Blick von außen antrat: Die deutschen Führungsetagen sind „zu weiß, zu deutsch, zu männlich".

      Warum war und ist das in vielen Teilen der Wirtschaft so? Wir Deutschen sind Exportweltmeister, viele Firmen sind innovative Weltmarktführer, Deutschland gilt als das Land der Denker und Tüftler, und wir sind aufgrund unserer jüngeren Geschichte eigentlich sehr politically correct. Und was uns an Feingefühl in Bezug auf Diskriminierung fehlte, haben wir uns von den Amerikanern abgeschaut. Warum waren und sind die Rekrutierungsmechanismen bei uns so beschränkt?

      Weil es bequem war und vielerorts noch ist … Sie kennen das alle. Heterogene Teams sind schwierig zu managen. Kollegen zu haben oder Mitarbeiter zu führen, die sehr unterschiedlich sind, andere Backgrounds haben als man selbst, ist herausfordernd. Das fängt bei der anderen Universität und dem Kleidungsstil an und geht über das Geschlecht bis zu Hautfarbe und Religion. Nur: Frische, freche Meinungen und Ideen kommen bei Einfältigkeit nicht auf.

      Weil es Tradition war und noch ist … Die Biedermeier-Familie: Er geht das Geld verdienen, und sie kümmert sich um Küche, die (zwei) Kinder, Kirche. Klappt das nicht, ist sie eine „Rabenmutter" oder er ein „Weichei", und die lieben Kleinen sind „Schlüsselkinder". Schrecklich schöne deutsche Begriffe.

      Weil sorgloser Wohlstand herrschte … Die Wirtschaft wuchs, die Produktivität stieg durch technischen Fortschritt, die internationale Konkurrenz war überschaubar, und die eigenen Ansprüche waren bescheiden. Da konnte einer allein gut und gerne mit der Vier-Tage-Woche bei Volkswagen die Familie ernähren, sich im besten Alter in die Rente verabschieden und die ausgebildete Frau den Herd, das Heim und die Hobbys hüten.

      Mit Bequemlichkeit, Tradition und Wohlstandssorglosigkeit haben wir uns den Fachkräftemangel eingebrockt. Und dieser kommt uns schon jetzt (und zukünftig noch mehr) teuer zu stehen. Im Jahr 2025 werden Prognosen zufolge 6,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Ein großes Potenzial liegt bei den Frauen. Ein Viertel der Frauen im erwerbsfähigen Alter ist nicht berufstätig, das sind rund sechs Millionen.

      Wie lange können und wollen wir es uns als Volkswirtschaft noch leisten, mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen zu ignorieren? Denn die gut ausgebildeten Frauen finden sich nicht in den Führungsetagen wieder. Das Geld, das die Gesellschaft für die Bildung dieser Frauen ausgegeben hat, ist damit schlecht investiert.

      Dass unsere Welt so einfältig bleibt, wie es Thomas Sattelberger, der politisch denkende Primus unter den Personalchefs (Continental, Deutsche Telekom), mit seinem Statement „Karrieren werden beim Pinkeln gemacht!" auf den Punkt gebracht hat, kann nicht unser Ziel sein. Denn diese Aussage bezeichnet ja nicht nur die deutsche Männer AG. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass es keine langfristige Personalstrategie gibt, sondern nur beiläufiges Handeln und intuitiven Aktionismus. So lösen wir den Fachkräftemangel bestimmt nicht.

      Und, ach ja, der natürliche Lebensraum der Pinguine ist die Antarktis.

       Erschienen am 17.06.2011 im Handelsblatt

      2. Kommunikation über alles

      Seid ihr auch alle da? Jaa, leider ...

       Ob bei Facebook, via Twitter oder im Zug: Ich quatsche, also bin ich.

I

      m Kasperletheater fragt das Kasperle: „Seid ihr auch alle da?" Und wenn sein Auditorium mit lautem „Jaa!" antwortet, legt er los. Er schimpft und schunkelt mit Gretel, streitet mit der Ordnungsmacht, dem Polizisten, kämpft mit dem Bösen, dem Krokodil. Das Kasperle ist eine plappernde Witzfigur, die eigentlich genug mit sich selbst beschäftigt ist, zugleich aber auch ein großes Mitteilungsbedürfnis hat und um die Bühne weiß, auf der er sich bewegt.

      Das Kasperle – das sind wir. Es gilt: Ich quatsche, also bin ich. Je mehr andere Kollegen, Freunde oder Fremde uns dabei zuhören, -schauen oder lesen, desto besser, wichtiger fühlen wir uns. Es geht selten um Elementares, meist um Banales und allzu Persönliches. Ja, und schlimmer noch als das Kasperle, das fremdgesteuert ist und nicht aus seiner Holz- und Filzfasson herauskann, machen wir das alles aus freiem Willen, zeigen dabei auch noch Haut, Haare und Innereien und wechseln die Kostüme.

      Unser täglich Kasperletheater gib uns heute, das denke ich zumindest bei Facebook, Twitter und häufig leider auch an Nichtorten wie im Zug oder am Flughafen. Es geht zu wie im Kasperletheater – nur (leider) mit vielen Kasperles.

      Über eine Milliarde Menschen sind