Erich Hübener

Frau mit rotem Hut


Скачать книгу

Bart kann man sich ankleben.“

      „Aber nein, Boss, der ist echt. Die Bullen haben es doch auch überprüft.“

      „Einen Bart kann man sich auch wachsen lassen.“

      „Ja, Boss, aber dieser Bart ist mindestens ein paar Monate alt.“

      Pause. Der Boss schien verunsichert.

      „Was macht der Typ?“, fragte er.

      „Er hat angegeben, dass er hier Urlaub machen will. Er wohnt in Mala, im Haus vom Holländer.“

      „Ach du Scheiße, auch das noch.“

      „Was sollen wir machen, Boss?“

      „Passt auf ihn auf und stellt fest, was er vorhat. Und dann erschreckt ihn ein bisschen, vielleicht verzieht er sich dann ja wieder. Einen Schnüffler können wir im Moment nämlich gar nicht gebrauchen.“

      „Ist gut, Boss, wird gemacht.“

      „Und sagt mir Bescheid, sobald sich etwas tut, klar! Und stellt euch nicht so dämlich an, dass er euch bemerkt.“

      „Okay, Boss. Ende und aus.“

      Zweiter Tag

      Kommissar Winner wurde am nächsten Morgen vom Bellen des Nachbarhundes geweckt. „Ist ja gut!“, sagt er mehr zu sich selbst als zu dem Hund. Der hätte ihn wahrscheinlich sowieso nicht verstanden, oder? Er fragte sich, ob man mit einem Hund, der in Spanien lebt, eigentlich Spanisch reden müsse. Aber wie auch immer, der Hund nervte ihn. Winner war eigentlich ein Frühaufsteher, aber den Zeitpunkt wann es früh war, den wollte er wenigsten hier selbst festlegen können.

      Als Winner aus dem Fenster blickte sah er ihn: Es war so ein kleiner weißer Wirbelwind, der so aussah, als sei er gerade der „Cäsar- Hundefutterwerbung“ entsprungen. Darum beschloss Winner ihn „Cäsar“ zu nennen. Das Nachbarhaus war zwar einige Meter entfernt, aber trotzdem schien Cäsar Winners Terrasse als sein Revier zu betrachten, denn sobald Winner sie betrat, bellte der Hund. Dabei war das Bellen nicht bösartig. Es war eher ein kurzes warnendes Gekläff, so als ob er sagen wollte: Nimm dich in acht! Ich sehe alles, was du machst.

      Es war schon angenehm warm und Winner beschloss deshalb auf der Terrasse zu frühstücken. Cäsar schien es im Augenblick zu akzeptieren, dass der Nachbar sich auf seiner Terrasse niedergelassen hatte. Er lag drüben auf seinem Stammplatz unter dem Fenster und tat so, als ob er schlief. Aber Winner war sich sicher, dass er von ihm beobachtet wurde.

      Beim ersten Schluck Kaffee erschreckte ihn ein durchdringender Schrei so sehr, dass er sich am heißen Kaffee den Mund verbrannte. Cäsar war auch sofort aufgesprungen und bellte heftig. Es war kein menschlicher Schrei gewesen. Soviel meinte Winner erkannt zu haben. Es könnte eher der Schrei eines Raubvogels gewesen sein, eines Falken zum Beispiel.

      Winner schaute sich vorsichtig um, konnte zunächst aber nichts erkennen. Als der Schrei wieder ertönte, schaute Winner in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Und da sah er ihn: Es war tatsächlich ein Falke, allerdings wohl noch ein Jungvogel. Er saß auf der obersten Ecke des Daches. Vielleicht ist er aus einer Falknerei entflogen. Vielleicht ist er aber erst gerade flügge und wartet jetzt darauf, von seinen Eltern gefüttert zu werden. Aber kein Altvogel näherte sich. Stattdessen ging das Geschrei des Vogels und das Gebell des Hundes weiter.

      Um dem Spektakel ein Ende zu bereiten ging Winner ins Haus, wickelte sich ein Handtuch um den rechten Arm, schnitt ein Stück von der Putenbrust ab und versuchte damit den Vogel zu locken. Der beobachtete zwar das Treiben Winners, machte aber keine Anstalten das Angebot anzunehmen. Winner erinnerte sich daran, dass Falken in den meisten Fällen ihre Beute in der Luft fangen. Darum warf er jetzt das Stück Fleisch hoch und sagte: „Na, dann hol es dir halt.“ Und der Vogel schoss wie ein Pfeil vom Dach herunter, griff das Fleisch im

      Flug aus der Luft und kam im großen Bogen zurück auf seinen Sitzplatz auf dem Dach, wo er seine „Beute“ verzehrte. Dann begann er erneut mit dem Geschrei und gab Winner zu verstehen, dass er mehr wollte. Na gut, dachte Winner, teilen wir halt. Aber nach dem dritten Stück Fleisch sagte er: „So, jetzt ist Schluss für heute.“ Der Vogel schien begriffen zu haben. Er saß noch ein Weilchen auf dem Dach und schoss dann durch die Palmen im Nachbargarten davon.

      Nach dem Frühstück wollte Winner unbedingt ans Meer. Das konnte nicht weit entfernt sein, denn zwischen den Nachbarhäusern konnte er am Horizont schon die Kimm des Atlantiks erkennen.

      Er bestieg sein Rad und fuhr immer der Nase nach einfach in die Richtung. Die Straße führte durch ausgedehnte Kakteenfelder, wie er sie am Vortage schon vom Bus aus an der Straße zwischen Guatiza und Mala gesehen hatte. Es erstaunte ihn nicht, denn er kannte den Grund für den Kakteenanbau. Es ging im Grunde nicht um die Kakteen, sondern um einen Schädling, der auf den Pflanzen lebte und sich von deren Saft ernährte: die Cochenille-Laus. Früher wurde aus den getrockneten Larven der rote Farbstoff Karminsäure gewonnen, der sehr begehrt war und den Besitzern der Kakteenfelder zu einem gewissen Wohlstand verholfen hatte. Denn mit der so gewonnenen Farbe wurde nicht nur Stoff gefärbt, sondern sie diente auch zum Färben von Limonaden, Süßwaren und Aperitifs.

      Winner erinnerte sich an eine Episode, die er vor Jahren in Deutschland erlebt hatte. Er war mit einem Kollegen und einer Kollegin nach dem Dienst auf einen Drink in eine Bar gegangen. Die Kollegin bestellte einen Longdrink: Campari mit O-Saft. Winners Kollege konnte sich einer Bemerkung nicht enthalten und sagte zu ihr: „Weißt du eigentlich, dass die rote Farbe im Campari aus Läuseblut hergestellt wird?“ Die Kollegin ließ den Drink stehen und trank stattdessen ein Bier. Dann setzte der Kollege noch einen drauf und sagte: „Übrigens, auch Lippenstifte und Nagellacke werden damit gefärbt.“ Die Kollegin zahlte und ging. „Gummibärchen übrigens auch!“, hatte er ihr noch nachgerufen. Aber das war natürlich nur ein Scherz.

      Als die Industrie die Anilinfarben entdeckte, geriet die Farbe der Cochenille-Laus in Vergessenheit und die Kakteenfelder verwilderten. Aber die alten Frauen auf Lanzarote benutzen die Farbe heute noch zum Färben von Schafwolle und anderen Stoffen.

      Winner sah in den Kakteenfelder zwei Personen arbeiten. Sie waren so dick angezogen, dass man nur an den Hüten erkennen konnte, dass es sich um einen Mann und um eine Frau handelte; denn die Männer trugen traditionell schwarze Stoffhüte mit breiten Krempen, die Frauen dagegen große Strohhüte.

      Die „Verkleidung“ hatte einen triftigen Grund: Sie sollte vor den langen und spitzen Stacheln der Kakteen schützen. Denn die zwei ernteten gerade Cochenille-Läuse. Dazu benutzten sie zwei Geräte: Das eine sah aus wie ein großer Löffel mit einem überdimensional langen Stiel und das andere ähnelte eher einer Handschaufel. Mit dem Löffel wurden die Läuse von den Blättern abgekratzt und mit der Schaufel aufgefangen. Eine mühsame Arbeit dachte Winner, während er den beiden zusah. Aber offensichtlich kannten sie noch die Methode, wie man die beliebte rote Farbe herstellte.

      Als Winner sich umdrehte staunte er nicht schlecht: Auf der Höhe des gegenüberliegenden Aschekegels stand eine mächtige Ruine. Die Morgensonne beleuchtete die Ostfront eines Turmes wie mit einem riesigen Scheinwerfer. Früher, als das Gebäude noch intakt war, muss es eine prächtige Burg gewesen sein, dachte er. Allein der Turm muss so hoch gewesen sein, dass man von dort aus nicht nur weit auf das Meer hatte blicken können, sondern wahrscheinlich auch andererseits fasst über die halbe Insel. Und es gab noch ein paar Mauerreste, aus denen man schließen konnte, dass es neben und hinter dem Turm noch einige Gebäude gegeben haben muss. Aber aus der Ferne sah man keine Türöffnungen; nur ein paar leere dunkle Fensterhöhlen.

      Winner beschloss sich die Ruine von Nahem anzusehen. Er stellte sein Fahrrad hinter einen der typischen Lavasteinwälle, von denen die Kakteenfelder eingegrenzt wurden, so dass es von der Straße aus nicht gleich zu sehen war. Dann suchte er einen Weg um nach oben zu gelangen. Aber hier gab es keinen richtigen Weg. Lediglich am Hang des Aschekegels fand er zwischen den wildwachsenden Sukkulenten und Steinbrechgewächsen eine Art Trampelpfad, der wohl eher so etwas wie ein Wildwechsel war, den die wildlebenden Kaninchen hier angelegt hatten. Als er schon einige