Marian Hajduk

Dewil's Dance


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sagten Sie nur, dass Sie ihm sein Manuskript zurückgeben wollten. Nicht dass Sie nach ihm auf der Suche seien. Aber das macht nichts. Im Gegenteil: das ist gut!

      Und … was schreiben Sie so? fragte ich in Ermangelung eines besseren Einfalls.

      Ich schreibe überhauptnichts einfach so, junger Freund. Ich schreibe die Wahrheit.

      Und was ist die Wahrheit?

      Die Wahrheit ist Schönheit.

      Das verstehe ich nicht.

      Nun, das hat Ihr junger Freund anfangs auch gesagt…

      Glauben Sie … ich meine: können Sie mir helfen … ihn zu finden?

      Womöglich. Ich denke, das hängt von Ihnen ab.

      Von mir?

      Ganz recht, von Ihnen. Beziehungsweise von Ihrer Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen.

      Und was ist die richtige Frage?

      Jetzt enttäuschen Sie mich ein wenig, mein Lieber. Für das Erlanguen einer Erkenntnis ist kaum etwas so fundamental wie die autonome Erschließung der richtigen Fragestellung…

      Na gut. Meine Frage ist ganz einfach: ich möchte wissen, wer dieser unbekannte Schriftsteller ist.

      Ausgezeichnet! Dann fragen Sie mich danach!

      Aber Sie sagten doch, Sie wüssten es nicht! Sie können Sich weder an sein Aussehen noch an seinen Namen erinnern…

      Sind das Aussehen und ein Name für Sie ernstlich gleichbedeutend mit der Antwort auf die Frage, wer jemand ist…?

      Ich hielt einen Moment inne und dachte nach.

      Na schön, hob ich nach einer Weile an. Da wir mit Äußerlichkeiten offenbar nicht weiterkommen, möchte ich wissen, worüber Sie Sich unterhalten haben. Was hat der junge Mann gesagt? Hatte es mit seiner Arbeit zu tun?

      Sehen Sie! entgegnete mein Gesprächspartner mit dem Namen Dewil beschwingt. Das ist eine Frage, auf die ich Ihnen eine Antwort geben kann…

       - 3 -

      Dewil nickte dem Barmann zu und dieser servierte zwei blankpolierte Pintgläser mit rostfarbenem Ale, auf denen dünne weiße Schaumkronen schwebten. Dazu zwei zierliche Cognacschwenker aus blitzendem Kristall und eine eckige Glasflasche ohne Etikett, deren kurzer runder Hals von einem dicken, in einen mächtigen Holzknauf eingefassten Korken verschlossen wurde. Die samtige Tinktur leuchtete aus dem Inneren wie flüssiger Bernstein.

      Während uns ein großer goldener Aschenbecher gereicht wurde, öffnete Dewil ein silbernes Etui voll würzig duftender Zigarillos und sortierte alle Utensilien feinsäuberlich auf dem Tresen wie ein Chirurg sein Operationsbesteck.

      Also, es ging um einen Herrn namens … Sie erlauben? sagte Dewil und fingerte in dem Manuskript. Ah ja, hier steht es: Harting. Kennen Sie diesen Gentleman?

      Soweit ich weiß, ist er ein erfolgreicher Gegenwartsautor, entgegnete ich. Von Kriminalromanen. Aber ich würde ihn nicht unbedingt als Schriftsteller bezeichnen…

      Täusche ich mich, mein junger Freund, oder höre ich da so etwas wie Sarkasmus in Ihrer Stimme? Nicht dass wir uns falsch verstehen: Ich halte Sarkasmus für eine Art Universaltugend, die in nahezu jeder Lebenslage angebracht ist. Jedoch sollte er immer mit einer Leichtigkeit vorgetragen werden, die ihn nicht als den solchen erscheinen lässt – damit er uns nicht als Verbitterung ausgelegt werden kann.

      Aber lassen Sie uns nicht allzu weit abschweifen: Wie ist Ihre Meinung zu diesem Harting?

      Offengestanden kann ich seinen Geschichten nicht allzuviel abgewinnen, entgegnete ich: Diese Geschichten sind abgeschlossen von der Außenwelt. Wie ein geometrischer Körper, der nur eine Innenseite besitzt. Mit den Seiten eines solchen Buchs öffnet sich für kurze Zeit ein Kosmos, der sich jedoch selbst verzehrt wie ein Lindwurm, der seinen eigenen Schwanz vertilgt. Eine reduzierte Form von Realität, die nichts als die nackte Handlung konserviert. Es sind Geschichten nur um der Geschichten willen. Ein wahrer Schriftsteller dagegen ist ein Künstler. Er erzählt eine Geschichte nicht um ihrer selbst willen, sondern benutzt sie zur Einbettung seiner Ideen und Fragen. Wie einen Bilderrahmen für ein Gemälde, das aus Gedanken besteht. Geschichten bestehen aus Bildern, ihr Zweck ist das Fortlaufen einer Handlung, die mit dem ersten Buchstaben beginnt und sich im letzten erschöpft. Deswegen sind Geschichten endlich. Literatur besteht aus Gedanken. Und die Gedanken, aus denen sie geboren wird, erschaffen neue Gedanken. Das Buch öffnet sich und sein Inhalt strömt hinaus in die Welt. Die freigelassenen Gedanken verbinden sich mit anderen, die wieder neue Gedanken entstehen lassen, und so pflanzen sie sich in alle Ewigkeit fort. Deswegen ist die Literatur unendlich und unsterblich.

      Das haben Sie schön gesagt! Wenn ich mich nicht irre, war Ihr Freund da ganz ähnlicher Ansicht… Und obwohl Ihr Temperament in dieser Hinsicht gänzlich nachvollziehbar erscheint, kann ich Ihnen nur zur Gelassenheit raten: Die Weltgeschichte hat bisher sehr treffsicher darüber entschieden, welche Teile der Literatur wir heute als Kunst bezeichnen und welche nicht. Aber wie sehen Sie das? Was ist Ihre Meinung zu unseren renommierten Gegenwartsautoren?

      Ich bewundere ihren Stil und die Komplexität ihrer Gedanken, entgegnete ich. Aber müssen sie deswegen nurnoch von sich selbst reden? Es scheint mir, als wäre mittlerweile jeder zweite Roman aus ihrer Feder eine Metapher auf das Dasein als Schriftsteller. Die Gegenwartsliteratur dreht sich zunehmend um sich selbst. Und es besteht aus meiner Sicht die Gefahr, dass bald niemand mehr ihre Werke versteht, der nicht selbst Autor ist. Bis die Riege der großen Autoren sich neutralisiert hat, weil das Publikum nur noch aus Produzenten besteht. Als würden Filme ausschließlich von Schauspielern gesehen. Bis jeder einzelne von ihnen nur noch das Buch liest, das er selbst gerade geschrieben hat. Und wie Sherlock Holmes, der mit jedem Verbrecher einen Teil seiner eigenen Existenz auslöscht, nivelliert eine Zunft sich selbst.

      Bravo! entgegnete Dewil. Genau darum ging es Ihrem Freund auch. Um die eine, die alles entscheidende – die richtige Frage: Was muss geschehen, damit dieser Sherlock Holmes sich nicht selbst abstrahiert?

      Dazu gibt es hier eine weitere Notiz, sagte ich und deutete triumphierend wie ein großer Entdecker in die Unterlagen:

       - 4 -

      Sherlock! Sherlock! ich höre nurnoch den Namen Sherlock, in meinem Gehirn dröhnt, hämmert, detoniert der Name Sherlock, pulsiert dort wie ein Quasar, in jeder Richtung sehe ich Sherlock, er sitzt in einem Winkel des Raums an einem Tischchen über Notizen gebeugt, während seine langen knorrigen Finger wie Spinnenbeine die Zeilen entlangtänzeln. Ich entdecke seine große hagere Gestalt bald an diese, bald an jene der raupenartigen Backsteinsäulen gelehnt, grübelnd, fragend, suchend nach der entscheidenden Spur, nach der Antwort auf die eine, alles entscheidende Frage. Bäuchlings liegt er auf den Tresen gekrümmt, streicht mit dem Finger die Unterkanten der Blenden und Schubladen entlang auf der Suche nach irgendwas, tastet mit der Lupe vor seinem gereizten Auge jeden Winkel, jede Fläche, jeden Schmutzrest und jedes Staubkorn ab, bis er in mich hineingekrochen ist und ich, besessen von der Idee um eine Antwort, über den Fußboden robbe, unter dem Teppich hindurch, die Wände und Decken entlang, jeden Gegenstand hochhebe, jede Flasche, jeden Kerzenleuchter, jedes Streichholzbriefchen, bis meine Finger vom Schmutz kleben und meine Zunge das staubige Holz des Parkettbodens und die verdaute, muffige Süße wein-, bier- und schnapsgetränkter Servietten schmeckt.

      Sherlock hat Angst. Panik! Er spürt, wie ein einziger, völlig unvermittelt, unvorbereitet über ihn hereingebrochener, für unmöglich gehaltener, ungeheuerlicher Gedanke seine gesamte Existenz infrage stellt. Als hätte er in einem Wimpernschlag damit begonnen, die Uhr seines Lebens ticken zu hören, als hätte er plötzlich vernommen, wie ihm die Stunde schlägt…

      Wie ein Entdecker, der auf einen neuen Kontinent stößt und begreift, dass seine ganze Welt, das, was er selbst und all seine Mitmenschen alle Generationen vor ihm für das Alles