Dr. Phil. Monika Eichenauer

Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3


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heilen zu wollen, verraten. Insofern befinden sich die deutsche Ärzteschaft und mit ihnen die Psychologischen Psychotherapeuten in einem dauerhaften Konflikt – denn egal, was sie tun, sie werden öffentlich die Schuldigen und die Opfer sein: Geben sie ihre Zulassung zurück, werfen sie ihre derzeit gültige Berufsausübungsgrundlage weg. Wollen sie ausschließlich ihrem beruflichen Herzen und der Heilung verpflichtet sein, wissen sie nicht, ob sie noch weiter ihre Existenz sichern können. Stellen sie sich „tot“ und arbeiten so weiter wie bisher, ohne sich an die Zwangsvernetzungen, „Unternehmerstrukturen“ oder Integrierten Versorgungsprojekten (IV-Projekte) anzuschließen, werden sie ausgehungert.

      Zertifikate gehen bundesweit an Ärzte, die sich anpassen: Beispiel Brustzentren. Im Prinzip haben Ärzte lediglich die Wahl, sich in alten Strukturen wie „Praxis um die Ecke“ aushungern, in IV-Projekten ausboten und sich von „Unternehmensstrukturen“ aus Wirtschaft und Krankenkassen aufkaufen, in Netzwerken auslaugen zu lassen oder mit GmbHs aufgrund selbstschuldnerischer Versicherung pleite zu gehen – überall lauern Selbstaufgabe und finanzielle Vernichtung. In keiner dieser Wahlmöglichkeiten sind die Würde des Berufsstandes und des Heilungsprinzips sowie der Hippokratische Eid gewahrt. Alle Strukturen sind auf Macht und Abhängigkeit ausgerichtet.

      Und nun kämpfen selbst die ärztlichen Standesorganisationen ob des bereits eingebüssten Machtverlustes um ihr Überleben. Da wird es natürlich nicht leichter, zu seinen Mitgliedern zu stehen, und die klassische Medizin droht vollends in Machtstrukturen unterzugehen und das ursprüngliche Anliegen der Heilkunst zu Staub werden zu lassen. Mit dem Hippokratischen Eid verbindet sie – trotz anders lautender Statements – im Grunde nichts weiter als ein hochwirksames Lippenbekenntnis zur politischen Nutzung und Besitznahme (Attali 1981). Das ist paradox, folgt aber der klassischen Macht der Gewohntheit, die sich bis heute erhalten hat. Bleibt die klassische Medizin auf ihrem ökonomischen Machtkurs, gleicht sie sich den Bestrebungen der Gesundheitswirtschaft an, um irgendwann ihre gestutzten Flügel wieder in voller Spannbreite entfalten zu können? Gibt sie Macht auf, um sie dann vielleicht doch wiederzuerlangen, so wie sie das Heilungsprinzip zu Gunsten der Wissenschaft aufgab, um Macht zu erlangen, um die Heilung nun wieder als letzten Rettungsanker einzusetzen? Diesmal dürfte es eine Illusion sein – damals allerdings, 1720, war es ein Machtkampf:

      „Während der Pest in Aix im Jahre 1720 fordern die Hospitalärzte 1200 livres pro Monat. Das Parlament verweigert ihnen das geforderte Honorar und empört sich gegen diese ‚Unmenschlichkeit ohne Beispiel’, es zwingt die Ärzte unter Androhung der Amtsenthebung, die Kranken zum alten Preis zu behandeln.“ (Attali, 1981, S.127)

      Das konnten die Ärzte im Laufe der Jahrhunderte ändern – insbesondere mit dem Ausbau der Standesorganisationen in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs. Ob sie zu dieser Stärke wieder zurückkehren, ist mehr als fraglich, weil sich inzwischen Berufe aus dem Wirtschaftsbereich an die Spitze gestellt haben und die staatliche Kontrolle bereits installiert ist. Dennoch ist unbestritten, dass die klassische Medizin unter dem Dach der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der regionalen KVen in Deutschland als König über allen anderen Behandlern thront - und thronen will. Dafür ist sie bereit, der Gesundheitswirtschaft Unterstützung zu gewähren, auch wenn es sich dabei nur um ein ärztliches Gewohnheitsrecht, eine leere Hülle handelt. Aber immerhin ist es noch ein Unterschied, ob man noch eine Illusion hat, auf die man sich grundsätzlich berufen kann, oder ob Medizin nur noch ökonomisch ist und ausschließlich Profite erwirtschaften will. Dabei wahren die ärztlichen Standesorganisationen nicht mehr die Interessen ihrer ärztlichen Mitglieder. Die aber erwachen allmählich - in der Reflexion ihrer Berufsidentität - aus ihrem erzwungenen „Zertifikatsempfänger- und Ausführerbewusstsein“ und beginnen, sich zu wehren. Wenn Behandlungen und Methoden nicht der Heilung und Gesundung von Patienten dienen und Behandler wie Produkte den ökonomischen Interessen frönen müssen, um zu überleben, dann ist spätestens an ein Siegel der Heilung zu denken und politisch notwendig ausschließlich von Behandlern umzusetzen, die sich diesbezüglich neu der Heilung verpflichten. Hier müssen die Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzte selbst ran, um eine neue Ordnung in der Kultur und in Bezug auf den Menschen herzustellen. Denn niemand sonst wird es je tun. Das zumindest sind meine Erfahrung und die Erfahrung der Ärzteschaft der letzten zehn Jahre. Die Frage des „Wie“ bewegt zahlreiche Gemüter. Zumal weder mit Unterstützung durch die Politik der Parteien noch durch die der ärztlichen Standesorganisationen und schon gar nicht durch die der Wirtschaft zu rechnen ist. Die neuen Rechtsmöglichkeiten für Ärzte bieten tatsächlich eine bisher einmalige Gelegenheit, Ordnung zu schaffen und Berufsinhalte zu wahren bzw. im Hinblick auf die Heilung von Menschen neu zu formulieren. Eine solche Möglichkeit habe ich rechtlich mittels einer GmbH geschaffen, in der alle Behandler in Deutschland Mitglied werden können, um das Heilungsprinzip zu wahren, gemeinsam Unabhängigkeit zu erlangen und um in diesem Sinne politisch tätig zu werden. Ich vermute, dass die Politiker nicht ernsthaft mit der Möglichkeit gerechnet haben, Behandler könnten sich gemeinschaftlich auf rechtliche Beine stellen. Behandler aller Gattungen würden so nebenbei zum Lehrer für Politiker und Ökonomen der Wirtschaft. Dann kann neu verhandelt werden.

      Weichen müssen gestellt werden, da die Neuauflage der ewig alten medizinischen und gesellschaftspolitischen Muster keine Besserung versprechen. Weder für Patienten noch für Behandler. Diese müssen in ihrer Berufsausübung zum Menschen stehen, statt der Ideologie der Gesundheitswirtschaft zu folgen.

      Menschen müssen emotional in der Aufarbeitung ihrer Geschichte wie gesellschaftspolitischer aktueller Problemlagen unterstützt werden und im Krankheitsfalle selbstverständlich die bestmögliche „Medizin“ bekommen - im umfassenden Sinne: sozialpolitisch, psychoökonomisch, psychotherapeutisch, naturheilend oder klassisch medizinisch.

      Chronifizierungen sind nicht mittels weiterer Strukturen, die Chronifizierungen begünstigen, auszumerzen. Gesellschaftspolitische Konflikte erhalten die Chance, aufgearbeitet zu werden statt der Vergessenheit zum Opfer zu fallen. Voraussetzung dafür sind gleiche Werte für alle Menschen und deren verbindliche Einhaltung. Natürlich sind das große Worte, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Wertediskussionen und der Angleichung der Wirtschaftsleute auf humanistischere „Werte“ im Business siehe zum Beispiel Bill Gates mit seinem Vorschlag eines „kreativen Wettbewerbs“ und Ausbildungsgrundlagen privater International-Business Universitäten. (Band 1). Die letzten Jahre haben allerdings bewiesen: Das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war, ist eingetreten. Das heißt: Wenn das Heilungsprinzip nicht verbindlich gesellschaftlich für den Berufsstand der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten vereinbart wird, wird es vollends untergehen.

      „Heilung“ und „Heilungsprinzip“ müssen primär schlicht und ergreifend von Ökonomie und eigener Vorteilsnahme unabhängig und in dem Sinne definiert werden. Es ist also zu den Wurzeln der Medizin zurückzukehren: Die ursprünglichen Mediziner, die Mönche, arbeiteten ohne finanzielle Gegenleistung. Die Meinung, dass der Heiler seinen Dienst am Menschen im Grunde gefühlt ohne Geld verrichten sollte, hat sich bis heute gehalten. Die Heiler, die unabhängig von der KV arbeiten und über bestimmte Fähigkeiten oder Mittel verfügen, werden gesellschaftlich nach wie vor als Scharlatane betrachtet und ihre Methoden als schädlich hingestellt. Ohne mir nun ein Urteil über diese Vorgänge zu bilden, sei dennoch gesagt, dass der alte Grundsatz „Wer heilt hat Recht“ noch immer Gültigkeit besitzt. Aber festzustellen ist, dass die KVen immer noch sagen, „was heilt“ und was nicht. Sie haben, im Sinne der geschichtlichen Darstellung von Attali immer noch die „Druckerlaubnis“ – auch im übertragenen Sinne: Sie sagen, was heilt – schade nur, das Heilung so nicht funktioniert. Heilung war nur die Maske vor dem, was eigentlich beabsichtigt war: Macht und Geld für sich selbst und für die Mitglieder zu erhalten. Wobei, wie gesagt, die Ärzte nun auch auf Geld verzichten müssen. Fazit: Wenn es tatsächlich mal heilende Fähigkeiten gab, fielen sie ideologischen Vorteilsnahmen durch die klassische Medizin zum Opfer.

      Die klassische Medizin grenzte sich ab, um ihren eigenen Berufsstand zu stärken – das heißt aber nicht, dass sie das Recht und Grundlagen erlangte, Heilung zu definieren. Zumal sie sich damit nicht wissenschaftlich beschäftigte, sondern durch Diffamierung und Okkupation von Methoden, die sie nicht entwickelt hatte, Vorteile verschaffte: Alles, was ihr Berufsfeld nicht beinhaltete, war Scharlatanerie und wurde