Dr. Phil. Monika Eichenauer

Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3


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Psychologinnen an der University of Surrey. Belinda Board und Katarina Fritzon befragten und testeten 39 hochrangige britische Manager und verglichen anschließend ihre Persönlichkeitsprofile mit denen von Verbrechern und Psychiatriepatienten. Die Manager neigten demnach mehr als die Vergleichsgruppe zu oberflächlichem Charme, Selbstbezogenheit, Unaufrichtigkeit und Manipulation. Bei der Neigung zu grandioser Selbstdarstellung, zum Ausnutzen anderer und dem Mangel an Mitgefühl zogen beide Gruppen gleich. Board und Fritzon folgerten: Während Kriminelle ‚erfolglose Psychopathen’ sind, könnten die Geschäftsleute, die sie untersuchten, ‚erfolgreiche Psychopathen’ genannt werden.“ (s.o.: http://.netzwerkit.de/faq)

      Oder, wie Howard Scott es ausdrückt:

      „Ein Krimineller ist jemand mit räuberischen Instinkten,

      der nicht genügend Kapital hat um eine Firma aufzumachen."

      Doch die gesellschaftliche Basis, die es ermöglicht, dass diese Wirtschaftsmenschen, Bosse und Manager so wirken können, wie sie wirken, bleibt damit nach wie vor im Dunklen. Zudem muss es einen starken Grund geben, der Menschen so werden und handeln lässt. Allgemein gesprochen ist es das wirtschaftliche System, in dem es sich ausschließlich um Geld dreht. Es ist die Möglichkeit, sich diese Welt zu Untertan zu machen. Der Schatten dieser wirtschaftlich erfolgreichen Männer soll nicht nur das Elend und die Zerstörung verbergen, sondern gleichzeitig werden jene, die nicht über so viel Einfluss, Macht und Kapital verfügen, als „gut“ und „richtig“ beurteilt und damit vom Psycho-pathieurteil generell freigesprochen. Dass dies nicht die ganze Realität ist und sein kann, muss wohl nicht besonders betont werden. Es gibt unzählige „Grausamkeitsarbeiter“ (Mitscherlich) und „Befehlsempfänger“ (Pilgrim/Miller), die ihre Verantwortung an die Vorgesetzten und diese an den Gesetzgeber und diese an Politiker und diese dann letztendlich der Wirtschaft und diese dann an das System und deren Notwendigkeiten abgeben. Ein System der Verantwortungslosigkeit: Niemand hat Verantwortung. Verantwortung ist anonymisiert und ins gesellschaftliche Nirwana verbannt.

      Wie aber sind wir, dass wir uns unterordnen und fügen, und nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen – oder zumindest nicht in dem Maße, wie es gesellschaftlich dringend notwendig wäre. Was ist das Mittel, um Millionen Menschen zu lähmen und zu entmündigen? Was muss so geschützt werden, dass alle vor Schreck erstarren, wenn es darum geht, schlicht und einfach eine aufrichtige Meinung zu sagen, oder mitzuteilen, was gefühlt wird, oder wie sie leben und was sie erleben? Müssten in solchen kritischen gesellschaftspolitischen Lagen wie der rigorosen Einteilung in Oben und Unten nicht die besten Köpfe Einfluss nehmen und Begrenzungen für unverantwortliche wirtschaftliche Entscheidungen, die als Nebenwirkung Natur und Menschen in vielfachen Formen schaden und zerstören, schaffen können? Insbesondere fehlen Begrenzungen bezüglich DAX 30 Unternehmen und Aufkäufen von Firmen, Städten, Ländereien und Wäldern im großen Stil. Begrenzungen, die nicht mittels des Flügelschlag eines Schmetterlings eines einzelnen Managers die gesamte Weltwirtschaft von einem auf den anderen Augenblick ins Wanken bringen können, wie der folgenden Mitteilung zu entnehmen ist: Finanzinvestoren, die ganze Firmen kaufen – Private Equity (Arne Storn: Kaufrausch auf Kredit. In: DIE ZEIT, S. 27, 21.06.2007). Wenn wir alle so abhängig von dieser Dimension des „Oben“ sind, drängt sich die Frage nach Demokratie in ihrem ursprünglichen Sinne auf. Denn natürlich übernehmen Menschen Verantwortung – für ihre Kinder, Ehepartner, Eltern. Sie übernehmen Verantwortung für ihr eigenes Leben, setzen ihren Arbeitsplatz nicht aufs Spiel, weil sie ihre Mieten und Steuern bezahlen müssen. Sie übernehmen Verantwortung für ihre Existenz, deren Basis allerdings immer schmaler wird. Sie legen sich krumm und arbeiten sich krank.

      Menschen und Bürger müssen sich selbst schützen. Das ist ein schwieriges Unterfangen: Denn die Gier der Wirtschaft und des Staates ist unermesslich, menschenverachtend und schamlos. Was ist die Demokratie wert in einer so gefräßigen Welt? Was ist Demokratie wert, wenn die Menschen sich selbst schützen müssen und sich niemand für ihre Grundrechte und Werte eintritt? Wer es dennoch tut, sieht sich flugs geänderten Gesetzen gegenüber – und wieder stehen die Bürger mit leeren Händen dar. Doch der Mut, sich zu wehren, seine Rechte einzuklagen sinkt in dem Maße, wie die Angst wächst: die Angst, alles zu verlieren, zu hungern, kein Dach über den Kopf zu haben, zu sterben. Wo ist die viel gepriesene Demokratie, wenn es ernst wird im Leben von Menschen? Solange die klugen und guten Köpfe in Deutschland sich ausschließlich fachlich und kompliziert äußern, sind sie nicht viel wert für „Unten“ – denn dann versteht sie niemand. Aber für wen sprechen, schreiben und denken sie, wenn nicht für Menschen von „Unten“? Für ihre Fachkollegen müssen sie nicht schreiben oder denken. Für „Oben“ müssen sie auch nicht schreiben. Da können sie sich nur höchstbietend verkaufen. „Wissen“ muss man dort „Oben“ nur, was „Unten“ vor sich geht. Welche Funktion hat die Demokratie in Deutschland also noch? Eine Aufpasserfunktion, um Konflikte nicht eskalieren zu lassen und politisch zu einzudämmen? Der drohende gesellschaftliche Ausschluss, die Stigmatisierung, Hunger und Verarmung, die endgültige Abwertung des Lebens und des Menschen, der mittels Vorschriften in enge sozialpolitische Käfige und existenzielle Lebensbedingungen hineingezwungen wird, zur Ein- und Unterordnung, verurteilt zum Schweigen … Das sind die sozialpolitischen und psychoökonomischen Auswirkungen eines Wirtschaftssystems, das vor allen Dingen, folgt man der Untersuchung Robert Hare’s, psychopathologisch durch noch genauer zu analysierende Züge beschreibbar werden sollte. Der Macht der Wirtschaft und den Kontrollfunktionen der Demokratie steht die Ohnmacht der – abhängigen – Bürger gegenüber. Es müssen menschliche Lösungen gefunden werden, damit alle Menschen leben können. Dafür ist Nähe und Berührung notwendig, die in einem Menschen den anderen Menschen erkennen lassen und auch das „Sich selbst im anderen Menschen erkennen“ gestatten. Verurteilung, Vorurteil und Urteil hingegen vereiteln Erkenntnis, Lösung, Nähe und zerstören menschliches Gattungswesen. Existenzielle Abhängigkeitsstrukturen, wie sie durch die kapitalistische Ökonomie bestehen, blockieren freie Meinungsäußerung, psychische und seelische Entwicklungsmöglichkeiten, erzwingen Unterordnung und bringen massenhaft Krankheiten hervor, die dann von „Unten“ ebenso zu bezahlen sind wie alles andere. Sie entstellen Menschen psychisch, seelisch und körperlich und funktionalisieren sie mittels Fragmentierungen – hervorgerufen durch ständigen Stress, durch Angst und Sorge. Die dunkle Seite einer Ökonomie und Politik, die in völlig anderen Sphären lebt und handelt und das Leben der Bürger und Menschen von „Unten“ gefährdet. Die generelle Botschaft lautet: „Du bist nichts wert.“ Was aber will man „Oben“ eigentlich erreichen, wo will man denn hin? Lohnt sich die Erfüllung des Ziels der Kapitalvermehrung und der Macht, um dafür in Kauf zu nehmen, was Millionen Menschen an Lebensmöglichkeit beschert wird?

      Angemessen erscheint eine Frage, wie Philip Reemtsma sie hinsichtlich des „Grausamkeits-Konzepts“ von Mitscherlich als Lösungsrichtung anbietet:

      „Wann entwickeln Kulturen einen Abscheu gegen Grausamkeiten? Wann werden ihnen einige Grausamkeiten zum Rätsel? Welches Triebschicksal (oder was auch immer) bringt Individuen dazu, auch in grausamkeitslegitimierenden Zeiten sich solcher Taten zu verweigern? Wie wäre es, das ‚Rätsel der Grausamkeit’ analog zur Vorstellung der Deckerinnerung zu einem Deckrätsel zu erklären? Was wäre eigentlich das Beunruhigende an solchen Fragen? Das Letztere kann ich noch nicht bündig beantworten, wenn mir auch scheint, dass weniger die Präsenz des Mörders und Folterers an unserem Abendbrottisch uns irritiert, als der Umstand, dass wir mit ihm dort sitzen – und sitzen bleiben.“ (in: Drews, S. 90)

      Die Frage bleibt also, warum sind wir alle da, wo wir sind, sitzen und verharren so? Grausam ist es, Patienten nicht mit den besten Methoden und der besten Medizin zu behandeln, weil das ökonomische System es nicht will. Es ist es grausam, dass der Erfahrungshorizont von Behandlern hinsichtlich bestimmter Behandlungssettings weiter reicht als jede Statistik es jemals offenbar werden lassen könnte und Ärzten ökonomisch die Hände bindet. Der Behandler wird also statistisch gegen eventuelle Folgen aus Qualitätsstandardbehandlungen mittels ökonomischer Leitlinien aus Reformen ob des „eigenen besseren“ Wissens und Gewissen juristisch abgesichert? Der Arzt ordnet sich also aus eigenem Selbsterhaltungstrieb dem ökonomischen System unter, statt der eigenen inneren Verpflichtung, die an dieser Stelle einmal mit dem Hippokratischen