Dr. Phil. Monika Eichenauer

Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3


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Medizin, die heilen will, muss daher den „wissenschaftlichen“ Untersuchungsgegenstand um die gesellschaftlichen Einflüsse erweitern. Während die klassische Medizin den Körper, die Auflistung seiner Einzelteile und deren funktionelles Zusammenspiel auflistet und als „Untersuchungs- und Behandlungsgegenstand“ betrachtet, hat die Psychologische Psychotherapie die Seele und die Psyche von Menschen und in der Folge deren emotionales Erleben als „Untersuchungs- und Behandlungsgegenstand“. Sie spürt Beziehungen nach und zeigt auf, wie Psyche und Seele im Körper und umgekehrt, der Körper auf Psyche und Seele einwirken und wie soziale Gefüge, kulturelle und wirtschaftliche Veränderungen Menschen reflexiv in ihrem Gefühls- und Seelenleben beeinflussen und ggf. Verunmöglichen, so dass Menschen krank werden, sind und – ohne Behandlung – bleiben. So lassen sich die Verhaltensweisen von Menschen aus der Lebens- und Kulturgeschichte individuell emotional rekonstruieren und erklären – und organische Leiden heilen. Aber auch psychotherapeutische Behandlungen können Sozial- und Gesellschaftsstrukturen nur bedingt und wenn, nur langsam politisch in positive Richtung verändern. In den letzten 10 Jahren hat sich kontinuierlich und massiv ein Ungleichgewicht zwischen sozialen Veränderungen, die nachhaltig Leben und emotionales Erleben von Menschen aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen in negative Richtung manifestieren, und einerseits knapper psychotherapeutischen Behandlungsplätzen und andererseits fehlendem Zusammenhangsdenken in den psychotherapeutischen Behandlungsmethoden, aufgrund eines fehlendem politischen Berufseinfluss, entwickelt: Es gibt viel mehr Menschen, die in diesen Krisenzeiten psychotherapeutischer Unterstützung bedürfen, als angeboten werden kann. Dies gilt sowohl für seelische, psychische und körperliche Symptome und Erkrankungen aufgrund der Auswirkungen wirtschaftlicher und kultureller Veränderungen.

      Psychologische Psychotherapie bietet Erklärungen, die Lösungen hervorbringen und damit Änderungen im Erleben und damit im Verhalten von Menschen bewirken. Da Verhalten und Erleben immer in einem gesellschaftlichen Kontext stattfindet, muss die Medizin den Untersuchungsgegenstand „Körper“ in den Rahmen setzen, der ihn erst zum Menschen werden lässt: Soziale und gesellschaftliche Umstände sowie die Form der Beziehungsgestaltung, die Menschen erleb(t)en, stehen dabei im Mittelpunkt. Darin sind gesunde und kranke Einflüsse und Verarbeitungsweisen zu reflektieren. Die Gegenwart zeigt eine völlige Verarmung des Untersuchungsgegenstandes „Körper“ und des Menschen, dem dieser Körper gehört. Der Mensch ist mittels seines Körpers zum ökonomischen Feld für Gewinne mutiert. Diejenigen, die den Körper behandeln, werden gesetzlich dazu gezwungen, gegen ihre Berufung, Menschen helfen und heilen zu wollen, zu verstoßen. Ärzte werden selbst zur käuflichen Ware. Medizin ist ökonomisiert, Heilung ad acta gelegt. So wie Politiker alles ihren ideologischen Interessen und wirtschaftlichen Zielen unterordnet, so soll die Elite im deutschen Gesundheitswesen ihre Patienten behandeln – ungeachtet der Situationen des Einzelnen. Im psychotherapeutischen Fachbereich ist das schlicht unmöglich, zumindest im tiefenpsychologisch-analytischen Bereich.

      Die klassische Medizin und die psychologische Psychotherapie haben gemeinsam eine neue Medizin zu entwickeln, die dem Heilungsprinzip folgt und nicht der kapitalistischen Ökonomie – dabei kann und darf die gesellschaftliche Entwicklung und deren Auswirkung auf Menschen nicht länger außer Acht gelassen werden. Der Kapitalismus hat nach immer neuen und abzugrasenden Tätigkeitsfeldern Ausschau gehalten. Er hat alles käuflich und zu Geld gemacht.

      Insofern ist das Gesundheitswesen als die letzte Bastion zu betrachten, die der allgemeinen Wettbewerbswirtschaft als Investitionsknochen angeboten wurde und wird. Universitäten und damit die Prinzipien der Wissenschaft wie „Objektivität“ und „Unabhängigkeit“ werden verkauft. Unternehmensberater sollen das deutsche Gesundheitswesen „heilen“ … Na, Prost Mahlzeit!

      Ärzte- und Psychotherapeutenschaft befinden sich seit Jahren in existenziellen Krisen, die durch politische Reformen eingeleitet wurden, um in völlig neuer Form zur „Gesundheit“ in der Bevölkerung beizutragen. Von mehr Gesundheit ist jedoch keine Spur. Im Gegenteil. Außerdem wird den Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten systematisch die Schuld für Missstände zugeschoben. Sie werden mittels chronischer Unterfinanzierung in Reformen hineingedrängt, die sie aus ihrem Berufsethos heraus nicht verantworten können. Herauskommt ein völlig neues Bild von „Professionalität“, das mit dem ursprünglichen Berufsbild nicht mehr viel gemein hat.

      Ärzte- und Psychotherapeutenschaft sind, ebenso wie Patienten zu Behandlungsempfängern, vollends zu untergeordneten Befehlsausführern von Politik und Ökonomie degradiert. Hier kollidieren die tägliche Berufspraxis und das an Heilung orientierte Berufsethos. Der ökonomische Himmel auf Erden soll mittels der Behandler aufgespannt werden. All die Veränderungen des deutschen Gesundheitswesens finden unter den Vorzeichen des globalen Kapitalismus statt. Der Kapitalismus produziert seinen glorreichen Glanz auf Kosten tiefster Dunkelheit für die Mehrheit der Menschen auf der Welt. Dem erschreckenden Zuwachs an Elend, Not, Armut und Verarmung steht eine rasant steigende Zahl von Billiardären gegenüber. Ein solches Szenario ist nicht mehr allein durch „ökonomische Gesetzmäßigkeiten“ und „wirtschaftliche Notwendigkeiten“ zu erklären, zumal selbst „Oben“ immer wieder Lichter aufblitzen, die ernsthaft an Schadensbegrenzungen interessiert sind.

      Was aber ist an Menschen „natürlich“ und „menschlich“, die wirtschaftlich-kapitalistisch, wettbewerbs- wie produktorientiert erfolgreich handeln? Ob sie freiwillig um neue Lösungen ringen, um zu ersinnen, wie Menschen erst gar nicht in Notsituationen geraten müss(t)en und ihnen demgemäß auch die psychischen und seelischen Qualen erspart bleiben könn(t)en, ist zu bezweifeln. Sie reagieren weniger auf Arme, Kranke und Tote, denn auf Kursschwankungen und Finanzkrisen der Banken. Weder kapitalistische Kern- noch Polschmelze bringen sie zur Einsicht, freiwillig ihre Motive des Handelns zu überprüfen. Diese Zusammenhänge gelten in Deutschland wie überall auf der Welt und unterscheiden sich lediglich in Graden. Für die „Befehlsempfängernatur“, mit der Menschen es vor sich selbst begründen, anderen Menschen Schmerz zuzufügen, bietet Alice Miller eine Erklärung an, die bis heute zum Nachdenken anregt:

      „Wenn die Züchtigung des Kindes als ein Liebesbeweis ausgegeben wird, führt das zu einer Verwirrung, die später ihre Früchte trägt. Wenn sich diese Kinder auf der politischen Ebene betätigen, setzen sie das einst an ihnen begonnene Zerstörungswerk fort und tarnen dies ebenfalls mit ihrer Rolle als Heilbringer, wie es einst ihre Eltern taten. Sowohl Stalin als auch Hitler wollten angeblich nur Gutes. Das Morden war ja nur ein notwendiges Mittel zum guten Zweck. Diese Ideologie haben sie von beiden Eltern vermittelt bekommen. Wäre dies nicht so, wäre ein Elternteil als helfender Zeuge aufgetreten und hätte das Kind vor Brutalität und Lieblosigkeit des anderen geschützt, diese Kinder wären später nicht zu Verbrechern geworden.“ (Der geheime Schlüssel, 1996).

      Morden muss man nicht selbst. Menschen fallen auch von allein bei zu hohen Schadstoffbelastungen tot um oder bekommen einige Jahre später Krebs. Die Risiken an Mensch und Leben stoßen in der Wirtschaft auf wenig Interesse, entsprechend dürftig ist der Schutz. Man weiß es zwar, man spricht auch mal darüber … Doch hat man darüber gesprochen, bleibt alles, wie es war.

      Natürlich gibt es kritische Pressemitteilungen und auch Demonstrationen, wobei die Demonstranten im Handumdrehen als die „Bösen“ ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Die könnten ja etwas Furchtbares tun. 92 Millionen Euro wurden 2007 allein für den Schutz der Politiker auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm ausgegeben … Verändert sich deshalb etwas? Das Ergebnis: In 50 Jahren sind die Schadstoffe vielleicht auf die Hälfte reduziert.

      Die Frage, wie viel Geld, wie viel Millionen, für den Schutz des menschlichen Wesens und für die Seele ausgegeben werden ist leicht beantwortet: Kein Cent wird investiert.

      Investitionen richten sich darauf, wie man den Umstand, dass Menschen krank werden und körperlich und psychisch Unterstützung brauchen Gewinn bringend nutzen kann: Aus sozialer Misere, Leid und Krankheit wird im Rahmen der Globalisierung pünktlich ein Geschäft gemacht. Dafür war es notwendig, die Ärzteschaft im Berufsrecht zu beschneiden, zu kontrollieren und zu budgetieren, weil davon auszugehen war, dass sie sonst ihrem alten Berufsethos folgend, zum einen Menschen „gleich“ (lukrativ) behandelt hätten und zum anderen in die eigene Tasche gearbeitet