Ed Belser

Die Frauen von Schloss Blackhill


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lasset ihn denn Wundarzt werden. Er ist ja noch jung. Später kann er dann immer noch in den Dienst der Kirche treten. Ich gebe ihm ein Empfehlungsschreiben für die Universität Aberdeen mit.“

      Gregors Problem war gelöst, zwar anders, als er es erwartet hatte, aber der Kirchenadministrator hatte einen Ausweg gefunden.

      4

      Lucas packte seine Sachen und verabschiedete sich von Gregor, der ihm außer seinem Segen nichts mit auf den Weg gab. Er machte kurz beim Fleischer halt, den er an der Schlachtbank traf.

      „Ich gehe fort. Ich habe viel von dir gelernt. Vielen Dank für alles.“

      Der Fleischer reinigte seine Hände an einem Tuch. „Du wärst ein guter Metzger geworden. Hast aber mehr im Sinn, oder?“

      „Ja, ich gehe an die Universität. Ich werde Wundarzt.“

      „Hat dir der Pfarrer das geraten?“

      „Nein, der Kirchenadministrator.“

      Der Fleischer zögerte, bevor er sagte: „Ich kannte deine Mutter. Lucia war eine gute Frau. Du siehst aus wie sie. Weißt du, wer dein Vater ist?“

      „Wer es auch ist, er hat mich verleugnet. Er soll in der Hölle schmoren. Da nützen ihm auch seine Beziehungen nichts.“

      Der Fleischer half ihm, sein Pferd aufzuzäumen. „Warte!“ Er ging zurück ins Haus.

      Lucas saß bereits im Sattel, als der Fleischer zurückkam. „Hier ist dein Lohn.“ Er drückte ihm einige Geldstücke in die Hand und verstaute eine Wegzehrung in der Satteltasche. „Machs gut!“ Ihre Blicke begegneten sich.

      „Ich werde die Zeit bei dir nie vergessen.“ Lucas nickte ihm zu und ritt los.

      Er folgte dem Weg des Flusses. Bald hatte er die Hügel hinter sich. Er nahm sich vor, nie mehr dorthin zurückzukehren, wo er geboren worden war.

      Sein Pferd trug ihn bis an die Küste. Es hatte seinen Dienst getan. Im nächsten Ort tauschte er es zusammen mit seinen Münzen gegen ein neues ein.

      Wenig später erreicht er Aberdeen, suchte für sich und sein Pferd eine Unterkunft und schrieb sich an der Universität ein. Das Empfehlungsschreiben des Kirchenadministrators, lautend auf Lucas Creamore, machte Eindruck.

      Er vermied seinen Vornamen und nannte sich Creamore. Doch bald wurde aus dem melodiösen Namen ein einfaches Cremor, das den Leuten besser von den Lippen ging.

      Er meldete sich bei einem Fechtmeister an. Seinen ersten Säbel hatte er einem Soldaten abgekauft, und bevor er seine Lektionen besuchte, übte er im Wald für sich allein. Er hieb Äste ab, immer dickere, und stach in morsche Stämme. Hier holte er sich die Kraft. Sein Säbel war ihm bald vertraut. Er sah in ihm nichts anderes, als ein weiteres Messer in seiner Sammlung — das größte allerdings, das er aber genauso gut führen wollte, wie das kleinste. Der Fechtlehrer brachte ihm bei, seine Kraft richtig einzusetzen.

      Nach einiger Zeit focht er mit der gleichen Perfektion, die er auch beim Studieren anwandte. Neben der Chirurgie galt sein besonderes Interesse der Chemie und dort der Destillation verschiedener Essenzen. Bald hatte er ein Rezept für ein Duftwasser entdeckt, dem reiche Aromen von Rosen und Kräutern entströmten. Er nannte es Crea Amore, und es erfreute sich bei den Damen steigender Beliebtheit. Die Düfte der Kräuter kaschierten die ungewaschenen Stellen und jene der Blumen veredelten Hals und Arme.

      Cremors Wissenshunger war ungestillt und er fand in der Bibliothek der Universität stets neue Nahrung. Geradezu besessen war er jedoch vom Sezieren. Dafür standen Tierkadaver zur Verfügung, allerdings nur eine streng begrenzte Anzahl. Was er als Kind und später beim Fleischer im Umgang mit seinen Messern gelernt hatte, hob ihn weit über das Niveau der anderen Studenten, teilweise sogar über das der Professoren hinaus. Diese beschränkten sich in ihrer Tätigkeit auf die Erforschung der Anatomie und der Krankheiten des Leibes; ihr Wissen gaben sie bei Vorlesungen weiter. Chirurgisches Arbeiten war unter ihrer Würde und zudem risikoreich, und so schützten sie ihren Ruf, indem sie dieses Gebiet den Barbieren und vor allem den Chirurgen oder Wundärzten überließen, die für Aderlass, Verletzungen, Knochenbrüche, Tumore, Geschwüre und ausgerenkte Gelenke zuständig waren.

      Bald schon wurde Cremor von den Professoren beauftragt, ihre Ausführungen im Hörsaal zu begleiten. Er sezierte nun Menschenleichen vor den Augen der Studenten und tat dies in perfekter Abstimmung mit den Erklärungen des referierenden Professors. Für Cremor war dies die beste Ausbildung, denn er konnte seine handwerklichen Fähigkeiten mit dem theoretischen Wissen der Dozenten ergänzen. Ihr Kommentar und seine Handfertigkeit verbanden sich auf ideale Weise. Für die Professoren wurde er mit der Zeit unentbehrlich, da ihre Vorlesungen regen Zuspruch fanden, wenn Cremor dabei sezierte.

      Es waren theatralische Inszenierungen: Der Seziertisch in der Mitte der Bühne mit Cremor als Hauptakteur, die Leiche als Statist, der Professor als Regisseur und in den aufsteigenden Sitzreihen die Studenten als gebannte Zuschauer. Cremor machte sich rar, und damit stiegen sein Wert und sein Nutzen. Bald hatte er erreicht, was er wollte: Er wurde offiziell zum Chirurgieassistenten ernannt, und bevor er sein Studium auch nur annähernd beendet hatte, bezog er ein Gehalt.

      Seine erste Anschaffung war ein medizinischer Koffer mit allen Geräten, die ein Chirurg benötigte: Amputationssäge, verschiedene Messer, Skalpelle, Zangen, Pinzetten, Spreizer, Aderklemmen, Hämmerchen, Haken, Nadeln — alles aus feinstem Stahl mit Elfenbein- oder Silbergriffen und das Ganze in einem Lederkoffer mit Abteilungen und Fächern für jedes Instrument.

      Er hatte jetzt genügend Geld, um seine Ausrüstung zu vervollkommnen. Sattel und Satteltaschen verschlangen einen ordentlichen Batzen, doch zwei Pistolen sowie ein neuer Säbel mit Lederzeug hatten es ihm ebenfalls angetan, und natürlich benötigte er neue Stiefel, Strümpfe, Hosen, weiße Leinenhemden und ein schickes Barett.

      Inzwischen war Cremor zu einem jungen Mann herangewachsen. Er war nicht sehr groß, aber flink und behände. Seine schwarzen Haare fielen auf, seine Zähne schimmerten weiß, und seine dunklen Augen entflammten manches Mädchenherz. Bald dufteten etliche der jungen Damen intensiv nach Crea Amore.

      Auf seinem Seziertisch lag manchmal ein Opfer eines Fechtduells, dessen Leiche niemand reklamiert hatte. So fand er bald heraus, welche Verletzungen zu einem sofortigen Tod und welche zum Tod durch Verbluten führten.

      Über kurz oder lang häuften sich die Schwierigkeiten, denn seine Kommilitonen waren eifersüchtig auf ihn, angestachelt noch durch die eine oder andere enttäuschte Liebhaberin. Als ihm die erste Herausforderung zu einem Duell überbracht wurde, zog er es vor, Aberdeen Hals über Kopf zu verlassen. Er war sich inzwischen seines Könnens als Fechter bewusst geworden, und er hatte keine Lust, einen aufgebrachten jungen Mann zu erstechen. Außerdem langweilte ihn die tägliche Routine an der Universität mehr und mehr.

      Er schiffte sich samt Pferd nach Frankreich ein und bewarb sich bei der französischen Armee als Feldarzt. Sein Ernennungsschreiben von Aberdeen öffnete ihm die Türen, und er stand schon bald im Solde der Franzosen. Dank der früheren Allianzen zwischen Schottland und Frankreich galt ein gegenseitiges Bürgerrecht, und so hatte Cremor keine Probleme, in die Armee aufgenommen zu werden.

      5

      Cremor wurde der irischen Brigade zugeteilt, in der sich hauptsächlich Iren, aber auch Schotten tummelten. Er bezog eine Militärbaracke, die aus einem Behandlungsraum und einem Schlafsaal für die Kranken bestand. Er behandelte kleine Blessuren, Blasen an den Füßen der Soldaten oder Sonnenstiche, und er langweilte sich. Um seine medizinischen Fähigkeiten zu üben, hätte er sich eine herausfordernde Schlacht oder mindestens ein Scharmützel gewünscht. Aber Frankreich befand sich in einer Phase des Friedens.

      Als Feldarzt hatte er zwar keinen offiziellen Rang, galt aber als einem Hauptmann gleichgestellt, trug die rote Uniform mit gelben Einfassungen und hatte Zugang zur Offiziersmesse. Bald lernte Cremor die übrigen Offiziere kennen. Allen gemeinsam war, dass sie gegen England