Ed Belser

Die Frauen von Schloss Blackhill


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      „Ja, und?“

      „Dann pack dein Pferd und komm mit mir. MacLennoch will dich kennenlernen.“

      Er hielt ihm ein Dokument vor die Nase, auf dem das Siegel des Clan-Chiefs prangte.

      William fuhr der Schreck in die Glieder. Ein Aufgebot zum obersten Herrscher konnte nichts Gutes bedeuten. Schon ein Besuch des Verpächters konnte genügen, dass man höhere Zinsen zahlen musste oder gar zum Dienst befohlen wurde.

      „Für wie lange?“, fragte William, der wusste, dass Widerspruch nicht möglich war.

      „Für kurz oder für immer. Du kannst deine Frau dann nachholen. Vergiss den Dudelsack nicht!“

      Mary war inzwischen dazugestoßen. „Was ist los?“

      „MacLennoch will mich sehen. Ich weiß nicht, warum. Hab’ keine Angst, ich habe ja nichts verbrochen. Ich bin in ein paar Tagen wieder zurück.“

      Mary stand die Sorge ins Gesicht geschrieben.

      William packte seine Sachen, sattelte sein Pferd, verabschiedete sich von seiner Frau und ritt mit dem Boten weg.

      „Wie heißt du eigentlich?“

      „Gordon.“

      „Und was machst du bei MacLennoch?“

      „Ich bin Meldereiter. Ich trage tagein, tagaus Botschaften von hier nach dort, Monat für Monat, Jahr für Jahr.“

      Gordon erzählte gerne von seinen Aufgaben, doch der Frage, was MacLennoch von William wolle, wich er aus.

      „Erzähl mir von MacLennoch“, bohrte William weiter.

      „Oh, er ist ein wahrer Gentleman, aber auch ein schlauer Kriegsherr. Seine Botschaften gehen in alle Welt, manchmal bis nach Edinburgh oder sogar nach London. Ich gebe sie an einen anderen Meldereiter weiter, und dieser reicht sie dann dem nächsten, bis sie beim Empfänger sind. Ich darf dir gar nicht sagen, was da jeweils für Namen draufstehen.“

      Wesentlich mehr erfuhr er nicht. Wahrscheinlich kam Gordon auch nur selten in die Nähe von MacLennoch.

      William war an Schloss Summerset zwar schon vorbeigeritten, so nahe man eben kommen konnte, ohne von den Wachen angehalten zu werden, aber jetzt, als sie von den Wachleuten durchgelassen wurden und in den Schlosshof eintraten, war er überwältigt von der Vielzahl und Größe der Gebäude, von den schönen Gärten, den vielen Pferden und Soldaten und dem regen Treiben allerlei Bediensteter, Gärtner und Bauern. An allen Toren und Durchgängen standen Wachposten. Auch die fahrenden Händler, die teils zu Fuß, zu Pferde oder mit ihren Fuhrwerken unterwegs waren, wurden stets durch zwei oder drei Soldaten bewacht.

      6

      Aus der Ferne hörte William die Töne eines Dudelsacks. Unwillkürlich spielte er in Gedanken die Melodien mit und verglich die Intonation mit seiner eigenen. Respekt, Respekt!, musste er für sich denken. Der Kerl versteht sein Handwerk. Gordon schien ihn direkt zur Quelle der Töne zu führen, denn diese wurden immer lauter, bis sie vor dem zweistöckigen Gebäude standen, in dem gespielt wurde. Gordon stieg vom Pferd und ging ins Gebäude. Williams Besorgnis war nicht kleiner geworden.

      Die Töne brachen abrupt ab, und kurz darauf erschien ein Junge an der Tür, der William von unten herauf beäugte. „Wer bist du?“

      William stieg vom Pferd. „Hast du eben gespielt?“

      Der Junge nickte.

      „Gefiel mir sehr gut. Du hast flinke Finger. Die drei obersten Töne sind zu tief. Mein Name ist William.“

      „Bist du der von Blair Mhor?“

      William nickte.

      „Mein Vater will dich sehen.“

      „Wer ist dein Vater?“

      „Mein Vater heißt John und ist der Clan-Piper von MacLennoch“, erklärte der Junge stolz. „Und wegen der drei Töne: Du hast recht. Ich habe zu lange gespielt. Nicht mehr der volle Druck ... und schon fallen sie.“

      Gordon kam zurück. „Du kannst hineingehen, er erwartet dich.“

      William trat durch die Tür, kam in einen Vorraum und schaute sich staunend um. Die Möbel waren erlesen, am Boden lagen Teppiche mit exotischen Mustern, und die Wände waren geschmückt mit Ölgemälden, auf denen Dudelsackspieler in prächtigen Uniformen dargestellt waren. Auf einem Tisch lag ein Dudelsack mit Pfeife und Bordunen aus schwarzem Holz, gefasst mit Silber und reichen Verzierungen. William spürte sein Herz klopfen.

      „Komm herein!“, ertönte eine tiefe Stimme.

      William folgte der Aufforderung und betrat einen noch größeren Raum, ähnlich eingerichtet wie der Vorraum, mit Sesseln, Tischen und einem großen Schreibtisch in der Mitte, hinter dem sich ein Mann erhoben hatte, der ähnlich groß gewachsen war wie er.

      „Du bist also William. Ich bin John Fraser. Ich kann dir leider nicht die Hand reichen.“

      William bemerkte, dass der rechte Ärmel von Frasers Jacke in der Mitte zugenäht war. Er nahm die Mütze vom Kopf und verneigte sich.

      „Ein Werk von MacAreaghs Gesellen. Ich hatte mich zu weit vorgewagt.“ John hatte einen bitteren Ton in der Stimme. „Nimm Platz!“ Er schob mit der linken Hand einen Sessel herbei und setzte sich ebenfalls. „Ich werde dir erklären, worum es geht. Ich bin der Clan-Piper der MacLennochs, das heißt, ich war es bis vor Kurzem. Kennst du die Rolle eines Clan-Pipers?“

      „Nicht genau.“ Williams Gedanken drehten sich im Kreise.

      „Ich gehöre zum engsten Kreis um Alan MacLennoch. Ich begleite ihn zu allen Anlässen im Schloss und spiele mein Instrument. Wenn er ins Gefecht zieht, bin ich stets dabei. Ich gebe Signale für Angriff und Rückzug und ermuntere die Soldaten. Zum Rückzug musste ich allerdings noch nie blasen ... “ John schwieg einen Moment, weil er bemerkte, dass er seine Rolle so erklärte, als ob er sie noch innehätte. Dann fuhr er fort: „Der Clan-Piper ist sehr wichtig und man stellt höchste Ansprüche an ihn bezüglich Musik, Disziplin und Mut. Alan erwartet perfektes Auftreten, auch nach dem Spielen. Mein Vater war schon Clan-Piper und mein Sohn hätte mein Nachfolger werden sollen, doch er ist noch viel zu jung dafür.“

      William spürte wieder sein Herz klopfen und fragte sich, was er damit zu tun haben könnte.

      „Alan und ich haben es verpasst, andere Nachfolger vorzubereiten.“ William merkte, wie er sich anspannte. Sein Genick zitterte leicht.

      „Es ist meine Aufgabe, Alan einen Vorschlag zu machen, wer die Zeit überbrücken könnte, bis mein Sohn alt genug ist, meine Nachfolge anzutreten.“

      William zog seine Schultern herunter, um das Zittern im Genick loszuwerden.

      „Du könntest dafür infrage kommen.“

      William brauchte eine Weile, bis er begriffen hatte, was John ihm eröffnete. Er atmete tief durch. „Welche Ehre für mich, ich werde ... “

      John fiel im ins Wort: „Da sind noch einige andere Kandidaten. Wir werden alle prüfen, nicht nur im Dudelsackspiel. Ich werde Alan den Besten vorschlagen.“ Er erhob sich: „Ich wünsche dir viel Glück! Man wird dir helfen, dein Pferd zu versorgen und dir zeigen, wo du übernachten und wo du dich jeweils einspielen kannst. Morgen geht es los.“ Er begleitete William zur Tür. „Übrigens, schneide deinen Bart ab. Alan duldet keine Bartträger um sich herum.“

      William nickte gehorsam.

      „Und ich dulde keine unreinen Töne. Lass dir einen Bimsstein geben und bring deine Hände in Form.“

      Ein Diener erwartete ihn und führte ihn und sein Pferd zu einem Stall. „Ich werde es nachher versorgen. Zuerst zeige ich dir deine Unterkunft.“ Er nahm das kleine Gepäck vom Pferd und William folgte ihm, die Ledertasche mit seinem Instrument in der Hand.