Ed Belser

Die Frauen von Schloss Blackhill


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sie von den Soldaten benutzt wurde, zum Schlafen und zum Essen. William sah beim Eintreten, dass er nicht der Erste war; er zählte sechs Anwesende, die ihn neugierig musterten. Sie saßen alle an einem Tisch. Er nickte ihnen zur Begrüßung zu.

      Einer rief: „Willkommen im Kreise der Auserwählten!“

      William suchte sich ein freies Bett.

      „Setz dich zu uns! Hier gibt es Essen und Trinken.“

      Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich an den Tisch. Die Männer hatten ziemlich rote Hälse und Wangen, ihre Haut hatte sich an das Wegschaben des Bartes noch nicht gewöhnt. Nur einer hockte mit einem dichten roten Vollbart da.

      Es war eine gespannte Atmosphäre am Tisch, denn keiner mochte sich irgendeine Blöße geben. William aß etwas und entfernte sich dann.

      „Ich muss noch meinen Bart loswerden.“

      In Wirklichkeit wollte er allein sein.

      Er brauchte Zeit, um zu verstehen, was auf ihn zukommen könnte und wie er sich darauf einstellen sollte. Außerdem wollte er nach seinem Instrument sehen. Er war sich bewusst, dass er es in den letzten Wochen etwas vernachlässigt hatte. Der schafslederne Blasebalg verlor etwas Luft, die Bordunpfeifen lotterten leicht und das Rohrblatt der Melodiepfeife war auch nicht mehr das, was es sein sollte.

      Am frühen Morgen stand William zeitig am Brunnen und schabte sich den Bart vom Gesicht. Der Sohn des Clan-Pipers setzte sich in einiger Entfernung auf den Boden und schaute ihm zu.

      „Wie heißt du?“, rief ihm William zu.

      „Wie Vater“, gab er mit heller Knabenstimme zurück, „John ist mein Name. Die anderen sind schon rasiert, nur der Rotbart nicht.“

      William spürte, wie seine Haut brannte. „Sag mir, wo man sich in Ruhe einspielen kann.“

      „Du müsstest wegreiten, damit dich niemand stört. Dann bist du nicht da, wenn man dich ruft. Geh hinter irgendeine Hauswand.“

      Hier und da erschallten die Dudelsäcke der anderen. Jeder spielte seine eigenen Melodien, womit ein Wirrwarr an Tönen die Luft erfüllte.

      Gegen Mittag tauchte ein Diener auf, ging zu jedem Einzelnen, und teilte jedem mit, dass sie bei John zum Mittagessen eingeladen seien. Sie sollten sich rechtzeitig in seinem Haus einfinden.

      Die Kandidaten hatten am großen Tisch Platz genommen, der rote Vollbart war schon nicht mehr dabei. Es gab Wasser, Wein und Whisky, Lammfleisch, Hühnerbeine und Haferkuchen. John Fraser, der Clan-Piper, thronte oben an der Tafel, flankiert von zwei Dienern und seinem Butler, der ihm auch sein Essen zerteilte.

      Nach dem Essen schob John Fraser seinen Stuhl zurück und erhob sein Glas. „Ich trinke auf das Wohl unseres Clan-Chiefs, Alan MacLennoch.“

      Die Kandidaten schnellten hoch.

      „Er führt sein Reich so erfolgreich wie seine Vorfahren. Wir sind seine ergebenen Untertanen. Wir besiegen unsere Feinde. Lang möge er leben!“ Dann entließ er die Pfeifer. „Haltet euch bereit, man wird euch rufen.“

      Er entfernte sich zusammen mit seinem Butler. Sie gingen zurück in Johns Räumlichkeiten. John sank in einen Sessel, schaute zum Butler auf und meinte: „Womit habe ich das bloß verdient? Am liebsten würde ich alle nach Hause schicken, aber einen brauchen wir. Welchen?“

      Der Butler räusperte sich. „Keiner kann euch ersetzen, Sir. Wir warten auf euren Sohn.“ Er nahm einen Zettel zur Hand, auf dem er notiert hatte, wer wo beim Mahl gesessen hatte. „Zwei waren nach einer halben Stunde betrunken, zwei haben gefressen wie die Schweine — ihre Väter haben wohl noch die Schafspfeife gepfiffen. Es bleiben zwei, die nur Wasser, vielleicht etwas Wein tranken, mit Messer und Gabel umgehen konnten und nicht nur vor sich hingeschwiegen haben. Der eine saß unten links, sein Name ist Roderick, der andere, William, rechts von euch.“

      John überlegte einen Moment, dann nickte er bestätigend. „Wir lassen ihnen keine Ruhe. Geh zu ihnen. Sie können sich hier im oberen Raum der Reihe nach einspielen und ihr Instrument stimmen. Sag ihnen, sie hätten eine Viertelstunde dafür. Dann will ich sie hier hören. Mein Sohn soll dabei sein.“

      Der Butler ging zur Unterkunft der Kandidaten. Einige lehnten an der Hauswand und sonnten sich. Seine beide Favoriten, William und Roderick, saßen am Tisch und diskutierten. Die übrigen dösten auf ihren Betten.

      „Alles herhören!“, rief der Butler. „Ihr kommt jetzt zum Vorspielen. „Ihr beide“, er zeigte auf William und Roderick, „kommt zum Schluss dran.“ Dann deutete er auf William. „Du als Letzter.“

      Sie holten ihre Instrumente und gingen zurück zum Haus von John Fraser. William wusste, dass er genug Zeit hatte. Er hätte es zwar gerne bald hinter sich gebracht, aber er wusste, dass es ein Vorteil war am Schluss zu spielen, sofern Fraser bis dahin die Geduld noch nicht verloren hatte. William war überrascht, als John junior plötzlich auftauchte.

      „Ich habe etwas für dich.“ Er legte ein gefaltetes Tüchlein auf den Tisch, öffnete es langsam und William sah, dass darin ein Rohrblatt lag. „Es gehörte meinem Vater. Du kannst deine alten Schindeln wegwerfen.“

      „Hey, John, warum tust du das für mich?“

      „Ich will, dass du gewinnst!“, sagte der Junge fröhlich und rannte weg.

      William nahm sein Instrument, entfernte die Melodiepfeife, entnahm ihr das alte Rohrblatt und setzte das neue ein. Dann fügte er das Instrument wieder zusammen. Er legte sich die Bordunpfeifen auf die Schulter, klemmte den Blasebalg unter den Arm, füllte ihn mit Luft und legte seine Finger auf die Melodiepfeife. Schon beim ersten Ton merkte er den Unterschied — voll und kräftig auf den tiefen Tönen, hell, aber fein auf den hohen. Das ganze Instrument vibrierte. Und es tönte sehr laut, viel lauter und aggressiver, als mit seinen alten Schindeln. Die Bordunpfeifen einzustimmen war ein Kinderspiel. Dann gesellte er sich zu den anderen in den ersten Stock des Hauses.

      William hatte noch nie derart viele unterschiedliche Dudelsäcke gesehen. Die meisten hatten, wie sein eigener, zwei Bordunpfeifen, Rodericks Instrument hatte drei davon, und wenn er loslegte, erfüllte ihr sattes Brummen den Raum, was die Melodie üppig unterlegte. Auch tönte jeder Dudelsack unterschiedlich — die einen hoch und grell, die anderen weicher und leiser.

      Das Vorspielen nahm seinen Lauf. John Fraser saß angespannt am Tisch. Die Sessel und Tische waren an die Wand gerückt worden, sodass jeder Pfeifer Raum für seine Vorstellung hatte. Im Hintergrund lehnten John junior und der Butler in ihren Stühlen.

      Die ersten vier waren bald ausgeschieden. Entweder hatte der Whisky ihre Finger gelähmt, oder sie waren zu aufgeregt.

      Nun waren nur noch zwei im Rennen, Roderick und William. Dieser war nun allein im oberen Raum und hörte dem Spiel von Roderick aufmerksam zu. Was er hörte, beeindruckte ihn, und er begann an sich zu zweifeln. Der Vortrag schien kein Ende zu nehmen, wahrscheinlich war John überzeugt von der Darbietung. Dann trat plötzlich eine Pause ein. Warum wurde er so lange nicht gerufen? Er fingerte ungeduldig an seinem Instrument herum.

      Nach einer Weile tauchte der Butler auf. William fasste sich, folgte ihm nach unten und betrat den Raum. John hob kurz seinen Blick, während er mit seiner linken Hand Notizen machte. John junior saß in einer Ecke und schaute William aufmerksam entgegen. William maß den Raum ab, den er zur Verfügung hatte.

      John sagte, ohne ihm einen konkreten Auftrag zu geben: „Spiel los!“

      William blies den Balg auf, schaute kurz in die Augen von John Fraser und begann mit einer einfachen Melodie, lieblich und tragend, aber kurz. Er hielt einen Ton, stimmte die Bordunpfeifen kurz nach, ging in eine Ecke des Raumes, ließ einen raschen irischen Tanz folgen, drehte sich um, und durchmaß mit langsamen Schritten den Raum, um das Grundthema eines klassischen Liedes aufzunehmen — fünf einfache Töne, lauschte auf die Harmonie zwischen Melodiepfeife und Bordunen, hielt im Schritt inne, ließ die Töne tragen und begann die Grundmelodie zu variieren, verzierte sie durch zwei, drei kurze Anspielungen rhythmisch, dann tief brummend, dann hoch, beinahe weinend, drehte sich langsam