Ed Belser

Die Frauen von Schloss Blackhill


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haben, dachte er kurz, doch er ließ sich nicht ablenken.

      Die Zuhörer sahen ihm gespannt zu. William schien wie blicklos, nach innen konzentriert, distanziert, fast arrogant in seiner selbstsicheren Körperhaltung. Die Melodiepfeife hielt er weit vom Körper, der kleine Finger seiner unteren Hand wirbelte wie eine schwirrende Mücke; er spielte nicht, es spielte in ihm. Die Variationen wurden komplexer, sechs, sieben einzelne Explosionen, fast eine Melodie für sich vor den Noten des Grundthemas, und die letzten brachen heraus wie eine finale Manifestation. Und gleich darauf fand er wieder die Ruhe in der einfachen Darstellung des Grundthemas. William spürte, dass es ihm gelungen war, seine Zuhörer zu fesseln, er sah es an ihrer Körperhaltung: gespannt und aufmerksam.

      John starrte mit wehmütigem Blick ins Leere, der Butler hatte seine Hand vor dem Gesicht, John junior hatte die Augen geschlossen.

      Ich werde sie nun daraus erlösen, dachte William und wiederholte die erste Melodie, die er am Anfang gespielt hatte, das einfache Liebeslied, dachte dabei an Mary, und er sah, wie sie sich entspannten und ihre Gesichter entrückt zu lächeln schienen. Er ließ den letzten Ton lange verklingen und verneigte sich vor John. Einen Moment war es völlig still.

      Dann vernahm er ein Räuspern von John Fraser. „Ich danke dir, William. Du wirst von mir hören. Gute Nacht!“ Und er war entlassen.

      William ging zurück in die Unterkunft. Die ganze Anspannung der letzten Stunden war von ihm gewichen. Er fuhr sich über den Nacken, der sich frei und warm anfühlte.

      Von hinten kam ihm John junior nachgesprungen. „Mein Geschenk hat dir Glück gebracht!“

      „Ja, John, du hast recht. Jetzt gehen wir schlafen.“

      John blieb stehen und rief ihm noch nach: „Die obersten Töne waren zu hoch!“

      William schaute zurück und nickte ihm zustimmend zu. „Gute Nacht, John, schlaf gut!“

      Die anderen Kandidaten waren bereits abgereist. Roderick hatte die Ellbogen auf dem Tisch und schaute ihn gespannt an. „Wie ist es dir ergangen?“

      William verstaute sein Instrument und gesellte sich zu ihm an den Tisch. „Ich bin recht zufrieden. Meine obersten Töne waren etwas zu hoch.“ Roderick war ein Hüne, gut aussehend, glatt rasiert. „Ich habe dich spielen hören, Roderick.“

      „Nenn mich Rod!“

      „Ich war beeindruckt, du beherrscht unsere klassische Musik. Da kann ich von dir lernen.“

      „Danke, William. Der Butler hat uns ein Krüglein mit Whisky hingestellt. Der weiß, was sich gehört! Nimmst du auch einen?“

      8

      Frühmorgens holte sie der Butler ab. Seine Miene war undurchdringlich und sie wagten nicht, ihn zu befragen. Rod wurde zuerst zu John Fraser geführt, William hatte im Vorraum zu warten. Es war ihm mulmig zumute und zur Ablenkung studierte er die Gemälde mit den Dudelsackspielern. Eines zeigte einen stolzen John Fraser und William musterte die rechte Hand auf dem Bild. Sie war kraftvoll und sehr gepflegt. Er schaute seine eigenen Hände an. Sie waren immer noch rau und rissig, trotz der Bearbeitung mit dem Bimsstein. Es dauerte und dauerte und je länger William warten musste, desto mehr schwand seine Hoffnung. Vor einigen Tagen habe ich noch den Kuhstall ausgemistet, und jetzt sitze ich hier. Schickt er mich zurück, oder stehe ich an einem Wendepunkt meines Lebens?, fragte er sich.

      Dann öffnete sich plötzlich die Tür. Rod trat heraus, gefolgt von John Fraser. William las ihre Gesichter: Rod schien sehr zufrieden und lächelte ihm zu, als er sich an ihm vorbei zum Ausgang wandte.

      John forderte William auf, ihm zu folgen, zeigte auf einen Stuhl und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Sein Gesicht war ernst. Da war noch ein anderer Mann, den John als den Schlossverwalter vorstellte. Beide wechselten halblaut einige Worte. Williams Blick fiel auf ein großes Gemälde hinter dem Stuhl von John. Es zeigte eine Gruppe von drei Personen, links saß eine junge Frau mit einem Knaben auf ihrem Schoss. Gegenüber ein Mann in prächtiger Uniform, seine rechte Hand auf der Schulter der Frau. William erkannte ihn als den jungen Fraser.

      Mit einem Räuspern zog John die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „William, du hast sehr gut gespielt und deine Ausstrahlung ist stark. Ich könnte dir noch einiges beibringen. Auch auf anderen Gebieten hast du noch Lücken.“

      Williams Hoffnung sank.

      „Wir werden das Amt des Clan-Pipers zweiteilen. Ich werde Alan MacLennoch vorschlagen, dass Roderick das Amt des Truppenpfeifers übernimmt. Roderick wäre einverstanden.“ Dann schaute er William in die Augen. „Und du wirst vorgeschlagen als Clan-Piper.“ John lächelte und erhob sich. Er ging auf William zu und streckte ihm seine linke Hand entgegen.

      William schoss aus dem Stuhl hoch und merkte, wie es ihm kalt den Rücken hinablief, unwillkürlich wollte er ihm seine rechte Hand entgegenstrecken, stutzte und schlug mit seiner Linken ein.

      „Ich gratuliere dir!“, sagte John beinahe feierlich. „Aber bedenke, der Entscheid liegt bei MacLennoch.“

      Sie setzten sich wieder.

      „MacLennoch wünscht, dass du das Amt so bald als möglich übernimmst. Er will dich während deiner Arbeit kennenlernen und entscheiden, wenn die Zeit reif ist. Außerdem will er dich heute Nachmittag sehen. Nimm dein Instrument mit.“

      Dann meldete sich der Schlossverwalter zu Wort: „Wir haben vernommen, dass du verheiratet bist. Du wirst deine Frau holen. Wie heißt sie übrigens?“

      „Mary.“

      „Mary und du werden das obere Stockwerk dieses Hauses beziehen. Habt ihr Kinder?“

      „Nein.“

      „Mary wird in diesem Haus nach dem Rechten sehen, auch hier unten. Sie wird eine Köchin haben und weitere Bedienstete.“

      John ergänzte: „Vielleicht mögen sich Mary und mein Junior. Er hat schon lange keine Mutter mehr.“ Dann fuhr er fort: „Mein Butler wird euch die Sitten und Gebräuche auf diesem Schloss beibringen. Deine Bauernhände werden bald nicht mehr als solche erkennbar sein.“ Seine Stimme wechselte plötzlich zur Weichheit. „Übrigens — das langsame Lied, das du gespielt hast. Ein Liebeslied? Hat mir sehr gefallen. Hat es einen Namen?“

      William schaut überrascht auf und entspannte sich. „Das Lied? Ja, ein Liebeslied. Traurig, eigentlich. Verlorene Liebe.“ Er suchte nach dem richtigen Wort, um eine Antwort zu geben.

      John Fraser gab ihm eine Hilfe. „Wir haben alle eine Liebe verloren. Oder wir wissen, dass wir die nächste auch verlieren könnten.“

      William suchte seine Gedanken zusammen. „Ich habe meine gefunden. Ich werde sie nie verlieren.“ Seine Stimme klang sicher. „Hoffe ich.“ Er schaute John vertrauensvoll in die Augen. „Es heißt The Old Rustic Bridge by the Mill. Es war eine Bettlerin aus Irland, die es mir vorgesungen hat. Weiß nicht, woher sie es hatte. Der Batzen, den ich ihr gab, war zu wenig.“

      William erfuhr weiter, dass sein Haus und sein Hof in Blair Mhor verpachtet würden, es werde jedoch sein eigen bleiben. Auch könnte Marys Vater weiter dort arbeiten. Morgen würden ihm Pferde und ein Wagen bereitgestellt, um Mary und seine Habseligkeiten abzuholen.

      John verabschiedete William. „Wir sehen uns später.“

      Der Schlossverwalter begleitete ihn zurück in den Vorraum, wo Roderick wartete. „Der Butler wird Ihre Sachen aus der Unterkunft holen, der obere Stock ist bezugsbereit. Heute Nachmittag werden Sie abgeholt und Alan MacLennoch vorgestellt. Nachher gibt es ein Nachtessen mit John. Morgen werden Sie Ihre Frau holen. Gute Reise!“

      Roderick schien überglücklich und gar nicht enttäuscht. „Ich gratuliere dir herzlich, William! Weißt du, ich bin froh, dass du Clan-Piper wirst. Das Höfische würde mir nicht so recht liegen. Ich fühle mich wohler bei den Soldaten, ja, ich werde sogar Offizier.“

      Beide warteten auf das Aufgebot für ihre Vorstellung