Karl Michael Görlitz

Sandburgen & Luftschlösser - Band 1


Скачать книгу

wenn Champagner-Ruth sich die Ehre in ihrer Geburtsstadt gab und ihre Tochter jedesmal halb ruiniert zurückließ, weil diese ihr unbedingt westlichen Standard bieten wollte und nichts Gnade fand vor dem kritischen Blick der hohen Frau, Herrscherin der Herzen, deren Untertanen nach Liebe lechzten, die sie nicht mehr fand, seit der Geliebte in Russland fiel. Verhärtetes Herz, vergeblich von Zweitmann und Zweitwagen umworben, mit Zweitfrisur und dritten Zähnen.

      Und ich sitze jetzt hier und zerbreche mir den Kopf, wie ich die Bestattung bezahlen soll, denn ich bin vollkommen pleite, wie schon so oft. Es geht mir mächtig gegen die Ehre, dass seine Ehemaligen die Kosten übernehmen wollen, auf der anderen Seite haben sie sicher ein Testament von seiner Hand mit erfreulichen Aussichten.

      Und vor seiner letzten Freundin hatte mich Jutta ausdrücklich gewarnt. Diese weilte mit Peter einige Jahre zuvor bei der Schwester für einige Tage zu Besuch. Jutta kennt die Frau. Eine Erbschleicherin, wie sie im Buch steht, die den Bruder Peter nur aus finanziellen Gründen attraktiv fand. Ja, wahrlich, attraktiv hatte der Bruder bei unserem letzten Treffen wirklich nicht mehr gewirkt.

      »Du kannst dir nicht vorstellen, wie verlottert der ausgesehen hat mit seiner Sozialarbeiterin, die ihn obendrein

      als Fall betreut hat, vorwiegend bei mir im Ehebett.« Jutta ist schlau.

      Was für eine vertrackte Geschichte, eigentlich sollte man sie aufschreiben. Jutta schreibt fürs Theater, Peter schrieb für die Zeitung, nur ich bin aus der Art geschlagen als Art-Direktor im Werbewesen. Ich gehöre eher der bildenden Kunst an und gelegentlich male ich Bilder, um meine leeren Wände zu füllen. Streng nach Bedarf und möglichst zur Farbe des Raumes passend, aber trotzdem ziemlich gut. Wirklich berufen fühle ich mich dazu allerdings nicht, eher schon zur Architektur und ganz besonders zur Gestaltung von Innenräumen. Vielleicht haut mich deshalb die Theatralik dieses Zimmers so in den Sessel. Trotzdem bin ich sicher, dass das ärmliche Bild nicht ganz stimmt, genau so wenig wie das schlossartige Ambiente bei mir.

      Ich weiß genau, dass Peter über eine geheime Geldquelle verfügte, genau so sicher, wie ich weiß, dass hinter meiner reichen Fassade gerade mal wieder die Not zu Hause ist.

      Die ungleichen Brüder. Ist das nicht was für einen Roman? Auch sonst gäbe es noch allerlei Zutaten dazu. Sex und ein bisschen Crime, ein Unfall, der verdächtig nach Gewalteinwirkung riecht, Studentenrevolte, Schwulenbefreiung und Psychogrusel mit Rollentausch und Persönlichkeitsspaltung. Mit fatalen Situationen und komischen Nebenrollen.

      Jedenfalls - was hätte ein Shakespeare aus dem Stoff gemacht -, soll ich mich trauen? Bei mir geriete das Ganze höchstenfalls zum Comic. Das wäre schon eine seltsame Umkehrung unserer beider Berufe. Peter malte neuerdings. Vincent riefen ihn die Kneipenkumpel, wenn er farbverschmiert einlief, obwohl er beide Ohren noch besaß.

      Verwirrt beende ich den Gedankengang, irgendwie stehe ich immer noch unter Schock. Ich muss mich sputen, gleich bin ich mit der Erbschleicherin verabredet. Ich packe den Ordner in die Tüte zu Peters Totenschein. Mein Blick fällt auf einige Bilder, die an der Wand lehnen. Seine Bilder. Seine Bilder, die ihm Anlass waren, die letzte Therapie abzubrechen. Ich blättere flüchtig durch seine Bilder. Nichts Besonderes, wie es scheint. Dazwischen aber einige übermalte Fotos. Köpfe in der Mitte des Bildes, übermalt und überkritzelt. Köpfe, die aus leeren Augenhöhlen blicklos in eine Zukunft starren, von der er wusste, das sie ohne ihn stattfinden wird. Mich fröstelt.

      Noch einmal lasse ich meinen Blick kreisen. Tatsächlich, wie aus einem Film. Allerbitterste Armut. Nur der nagelneue Fernseher und die beeindruckende Stereoanlage stören das Bild ein wenig, sie verraten mir, dass hier auch Geld gewesen sein muss. Wahrscheinlich wieder am Fiskus vorbei gemogelt. Von unserem Sozialisten, dessen größte Sorge es war, Mutters letztes Geld vor dem Finanzamt zu retten. Ich muss hier weg.

      Ich laufe zwei Straßen weiter, hier irgendwo wohnt Brigitte Funke. Seine letzte Freundin, die Sozialarbeiterin, die Erbschleicherin. Ich suche eine Weile, die Hausnummer ist versteckt, aus einem der Eingänge kommt eine Frau. Eine dickliche Frau mit einem runden, offenen Gesicht und leicht basedowschen Augen, in denen eine Ehrlichkeit liegt, die mich alle Vorsicht vergessen lässt. Wir fallen uns spontan in die Arme. Sie ist keine Erbschleicherin. Sie führt mich in eine kleine, akkurat aufgeräumte Wohnung und wir sprechen über den Verstorbenen. Ja, bis vor drei Jahren war sie seine feste Freundin. Sie hatte sich in ihn verliebt, aber als alle Therapieversuche scheiterten und er immer weiter in den Suff abglitt, hatte auch sie das Handtuch geworfen. Doch sie waren Freunde geblieben.

      Seine Wohnung hatte sie in den letzten Jahren nicht mehr betreten. Sie konnte den Dreck nicht mehr aushalten, er musste zuletzt immer bei ihr antraben. Manchmal musste er sogar, bevor er ihre Wohnung betreten durfte, wie ein Kind die Hände ausstrecken. Sie prüfte dann, ob er seine Hände wenigstens auch ordentlich gewaschen hatte. Das musste ihm gefallen haben. Eine Rückführung in unsere glücklichere Kinderzeit. Wir sprechen lange über den Toten, während wir auf die anderen warten: seine Ex-Freundin Heidi mit ihrem Sohn und eine Sylvia, wohl die Herzensfreundin, in deren Haus auf Mallorca Peter öfter Urlaub gemacht hat. Sie erscheint mit ihrer Tochter.

      Wir setzen uns zu einem Kaffee in die Küche. Drei seiner Witwen, die sich zu meinen Richterinnen aufspielen werden. Die ihn selbst nicht ertragen haben, nur wenige Jahre jeweils. Witwe Heidi kommt mit ihrem Sohn Björn und der Freundin.

      Ich kenne Heidi und Björn. Beide hatte ich schon mal aus unserer Wohnung in Berlin hinauskomplimentiert. Peter mutete mir zu, diese seine damals neueste Freundin bei mir zu parken, um selbst in Ruhe zu verschwinden. Die Aussicht, eine Woche zwei völlig fremde Personen beherbergen zu müssen, brachte mich damals ziemlich auf die Palme. Schon nach zwei Tagen sah ich Rot. Die Dame war nicht in der Lage, auch nur eine Tasse wegzuräumen. Da platzte mir der Kragen.

      Heidi sieht ungefähr so aus, wie ich sie in Erinnerung habe, nur etwas älter und moppeliger; sie ist ziemlich klein. Da wirkt man schnell so. Wieder sprechen wir über den Toten, auch das mit der Erbschaft kommt schnell auf den Tisch.

      Heidi ist im Besitz eines Testaments, ihr Sohn Björn ist dort als Haupterbe eingetragen. Brigitte ist im Besitz eines neueren Testaments, mit dem das vorige ungültig wird. Sie will es aber nicht präsentieren, weil zu viele Schulden auf der Erbschaft ruhen. Sie erbt ja die Schulden mit. Die müssen zuerst beglichen werden. Das Geld hat sie nicht.

      Meine Schwester Jutta und ich sind die gesetzlichen Erben. Peter hat dafür gesorgt, das der Streit weitergeht .Björn macht zum ersten Mal den Mund auf zum Thema: Er will das Geld nicht, ihm ist das ganze Hick-Hack zuwider. Er will es spenden. Sofort bin ich für ihn eingenommen. Der Junge ist vernünftig. So ähnlich habe ich mich vorhin auch geäußert, als Brigitte und ich noch allein waren. Keiner will das Erbe. Sylvia meint, es sei doch eigentlich schade, der Fiskus würde alles bekommen.

      Wir sind um sechzehn Uhr mit Peters Rechtspfleger verabredet. Dort werden wir weiter sehen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, die Erbschaft anzutreten, ohne sofort die Schulden begleichen zu müssen, sondern erst beim Verkauf der Grundstücke. Ich erzähle, dass ich mir von den vier Grundstücken eins ausgeguckt hatte. Das Grundstück, auf dem Opa seinerzeit bauen wollte. Das hätte ich gern im Tausch zu den anderen gehabt. Zwei Häuser weiter steht mein Geburtshaus. Ein sentimentaler Grund mehr, mir wenigstens einen Garten auf einem Teilstück zu errichten. Ich hatte in den letzten Jahren oft davon geträumt. Nun wird es wohl ein Traum bleiben.

      Vielleicht weiß mein Rechtsanwalt ja Rat; ich werde ihn in Berlin kontaktieren.

      Später, bei Peters Rechtspfleger, besprechen wir die Wohnungsauflösung, die Kündigung und andere Dinge. Die beiden Damen wollen sich opfern und Ordnung schaffen. Die verwertbaren Teile können sie behalten oder verkaufen. Nicht mal ein Andenken möchte ich, weder Mutters Silberbesteck, geschweige denn die Silberleuchter vom Stiefvater. Nulla!

      Natürlich kommt noch die ganze Erberei zur Sprache. Zwei Testamente und zwei gesetzliche Erben, die außer einer vagen Hoffnung einen Haufen Schulden zu erwarten haben.

      Die Stadt Wesel, die dem Stiefvater damals einen Lastenausgleich zahlte, hat sich auf einem der Grund stücke eintragen lassen.

      Die Stadt Dortmund hat Rechte an einem anderen, um die Sozialhilfe für den mittellosen Künstler