Karl Michael Görlitz

Sandburgen & Luftschlösser - Band 1


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0190er Nummern. Wie hat er das nur geschafft? Mir hätte die Telekom längst den Saft abgeklemmt, wortwörtlich.

      Um vier Liegenschaften dreht es sich. Drei davon sind noch da. Das ehemalige Elternhaus, den Getreidehandel mit Hof, Speichern und Ställen hat er klammheimlich doch veräußert, der Fiskus ist begeistert. Übrig bleiben Großvaters Grundstück, mit kleinem Bauernhof und den Garagen, auf welchem sich außer einer großen Freifläche auch noch Gärten der zerstrittenen Großeltern befanden. Circa zwölftausend Quadratmeter reines Bauland.

      Dann kommt noch ein winziges, nur ein paar hundert Quadratmeter, das gar nicht mehr genau auszumachen war. Ich weiß, wo es sich versteckt. Popigs Privatbunker war darauf angelegt, ich habe selbst oft genug darin gesessen.

      Danach ist noch das Land, welches mit dem Geld meines leiblichen Vaters erworben wurde, im Angebot. Gut zwanzigtausend Quadratmeter. Eine LPG mit Gewächshäusern wurde nach unserer Flucht dort installiert. Mittlerweile ist von der LPG kaum noch etwas zu sehen. Diebe haben die Stahlkonstruktionen säuberlich abmontiert, da der Bruder es versäumt hat, einen Zaun um das Gewerbegebiet zu ziehen.

      Der Anwalt, der Peters Rechtspflegschaft übernommen

      hat, empfiehlt dringend, die Erbschaft abzulehnen:

      »Sie handeln sich lediglich einen Haufen Ärger ein«, sagt er.

      Peters letzte Freundin nickt bestätigend:

      »Wie oft waren wir in Coswig, kein Interessent hatte sich gezeigt.« Sie wird ihr Testament nicht vorlegen, keinesfalls.

      Bleibt nur noch die Dame mit ihrem Sohn, deren An sprüche nun wieder gültig sind. Sie muss sich das noch überlegen. Ich auch, obwohl ich ebenfalls der Meinung des Anwalts zuneige.

      Das schöne große Grundstück, das von Anfang an mir gehören sollte, da es vom Geld meines gefallenen Vaters gekauft worden war! So viel Quadratmeter und nicht mal ein Plätzchen für ein Wochenendgärtchen! Denn von Berlin aus, wo ich wohne, ist unsere Geburtsstadt leicht zu erreichen.

      Unrecht Gut tut selten gut, schießt mir wider Willen durch den Kopf. Ich wäre anders mit dem Ererbten umgegangen. Deshalb brauche ich auch noch ein wenig Bedenkzeit. Außerdem ist da auch noch die Schwester, die ein Wörtlein mitzureden hat. Sie will mit Peters Ableben nichts zu tun haben, zu tief sitzt der Hass auf den Bruder. Aber erben will sie schon. So hat sie mir großzügig die Formalitäten überlassen. Anschließend trennen wir uns.

      Ich übernachte bei meiner Stiefmutter männlicherseits. Da ich nicht schlafen kann, baue ich mir um Mitternacht ein Pfeifchen mit Zauberkraut und kriege prompt einen Weinkrampf. Zum ersten Mal in meinem Leben weine ich über den kleinen Jungen, der ich war, der bei der fremden Familie alles, aber auch alles, immer besonders gut machen wollte und so gescheitert ist.

      Ich heule auf. In den letzten Tagen war ich zum ersten Mal wieder fast glücklich gewesen, im Zug zurück nach Düsseldorf war das verschwunden. Ich hatte neugierig den mitgeschleppten Ordner durchblättert. Als erstes sprang mir das Anschreiben eines Rechtsanwalts aus Wesel ins Auge, eines Schulfreundes von Peter, der übrigens auch einst mein Schulfreund war.

      Die Ansprüche von Jutta und mir seien seiner Ansicht nach völlig gerechtfertigt, der Rest des Schreibens be stand aus dezenten Hinweisen, wie Peter die Klagefrist, die wir vielleicht nicht einhalten würden, für sich nutzen könnte.

      Der Bruder hat uns betrogen und er hatte auch schon seine Mutter betrogen. Der Hass ist wieder da. In meiner ersten Wut denke ich sogar daran, Peters Anwalt, der den Fall schließlich am besten kennt und dessen Forderungen ja auch noch bestehen, umzudrehen, ihn für Jutta und mich einzusetzen und das ganze Erbe anzufordern.

      Wieder schluchze ich und ziehe trotzig den Rotz durch die Nase hoch. Mit diesem Hass lässt sich schlecht leben. Wenigstens als Genugtuung will ich was für all die Demütigungen, die mir zugefügt wurden. Vom Stiefvater und seinem eingeborenen Prinzregenten.

      Plötzlich dröhnt eine innere Stimme laut wie ein Glockenschall. Erschrocken blicke ich auf. Die Schwiegermutter nebenan muss den Lärm ja nicht unbedingt mitkriegen.

      »Lass ab«, sagt sie mit Donnerhall, »Lass ab und du wirst frei sein.«

      Hallo! Gehts vielleicht noch etwas gestelzter? Bibelstunde war vorvorgestern.

      Aber die Stimme bleibt und wiederholt ihr tönendes Angebot.

      »Lass ab...«

      »Aber eine Genugtuung will ich schon.«, wage ich es kleinlaut einzulenken.

      »Gut«, sagt die innere Stimme weiter, »du hast deine dumme Genugtuung doch längst, erinnere dich. Der Vater hat zum Schluss seinem eigenen Sohn nicht einmal mehr einen Sitzplatz angeboten. Das ist deine Genugtuung, damit soll es genug sein..«

      »Gut«, flüstere ich erschöpft und merke entzückt, wie der Frieden in mir wieder zurückkehrt. Es soll ein Schlussstrich gezogen werden. Ich bin frei.

      Am nächsten Morgen holt mich Björn vom Bahnhof ab, ich muß noch Blumen besorgen. Rote Nelken für unseren Sozialisten, der sein Geld mit sozial und parteilich geförderter Erwachsenenbildung verdient hat, das er selbstverständlich ebenfalls am Fiskus vorbeischleusen musste. Zu den Nelken gesellen sich dann doch noch rote Rosen und weiße Levkojen. Plötzlich ist mir das zu kaltschnäuzig.

      Die Erbunterlagen habe ich vorhin Björn gegeben. Ich nehme sie nicht mit nach Berlin. Ich verzichte ganz.

      Auf dem Friedhof warten schon Peters Freunde. Erstaunt registriere ich, wie viele gekommen sind - er war beliebt. Ich nicht mehr - meine Freunde sind auf der Strecke geblieben. Ich haste in die Grabkapelle, wo ich mein Gebinde niederlege. Ich will einen anständigen Abschied. Er war mein Bruder.

      An der Trauerfeier mit Mozarts Requiem und Peters Gedichten kann ich nicht teilnehmen. Es wäre Heuchelei. Ich warte draußen.

      Anschließend gehen wir in seine Stammkneipe zu einem kleinen Umtrunk, den Brigitte organisiert hat. Die Leute sind freundlich zu mir. Für sie bin ich nicht so sehr der feindliche Bruder, sie stellen nur die Ähnlichkeit fest. Eine hängt sich bei mir ein und fragt eifrig:

      »Stimmt das, eure Mutter hat geklaut?«

      Es stimmt!

      Manchmal hat unsere Mutter was mitgehen lassen. Kleine, nutzlose Dinge, die ihr aber diebisches Vergnügen bereiteten.

      Peter hat auch geklaut. Mit Vorliebe Lebensmittel.

      Ich werde lockerer. Es sind viele nette Leute – seine Freunde. Irgendwann erscheint Silvia. Sie drückt mir den Text ihrer Rede in die Hand. Ich überfliege ihn, er erscheint mir gut und passend. Nur eins macht mich stutzig! Die bittere Armut, in der Peter gestorben ist. Überdimensionierter Fernseher und sauteure Stereoanlage verraten mir, seine Armut, seine bittere, kann so bitter nicht gewesen sein. In unserer Familie gibt es Schauspieler.

      Ich inszeniere mich, das weiß ich – aber der Bruder? Das La Bohème-Schlussbild drängt sich mir auf. Ja, so hat es auf mich gewirkt. Aber alles ist echt. Er ist tot. Trotzdem! Ich wäre ja auch in meiner Dekoration gestorben. Und seltsam – zwei Schwindsüchtige? Sollte er etwa auch?

      Schnell schiebe ich den Gedanken beiseite und schaue wieder auf Silvias Text. Ein Gedicht von Peter ist mit eingebunden. Ich wische förmlich mit den Augen darüber, ich kann es noch nicht lesen. Doch eine Bemerkung brennt sich mir ein. Er konnte Nähe nicht lange zulassen. Wie bei mir. Diese Ähnlichkeiten! Ich war doch immer das genaue Gegenteil von ihm!

      Hastig falte ich den Zettel zusammen. Hat er etwa in irgendeiner Form an seiner eigenen Legende gestrickt? Ist er als Schriftsteller etwa gut?

      Unsere Schwester schreibt auch, nur ich bin aus der Art geschlagen, ich bin Grafiker.

      Ich wende mich lieber wieder Silvia zu; sie hat mein Manuskript, sie wird mir gleich sagen ob sich das Weitermachen lohnt. Brigitte hat doch auch in einem Anfall von Präkognition laut und äußerst bestimmt gesagt:

      »Ja, du wirst es schreiben.«

      Silvia beginnt mit einer Kurzkritik, in der sie schon die Ausgangssituation