Planting zum Anstrengendsten zählt, was ein Mensch überhaupt tun kann. Schwer bepackt rennt man jeden Tag kilometerweit bergauf und bergab. Die Belastung des Körpers entspricht dabei fast der eines Marathonlaufs. Ökologisch betrachtet sind die Strapazen der Wiederaufforstung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwar kann dadurch der Baumbestand insgesamt stabilisiert werden, dem Verlust der Artenvielfalt in einem Jahrtausende alten Ökosystem hat sie jedoch wenig entgegenzusetzen. Denn trotz verschiedener Schutzabkommen sind große Teile der kanadischen Wälder, der letzten zusammenhängenden Regenwälder außerhalb der Tropen, zur Abholzung freigegeben. Wer mit dem Job als Tree Planter die Welt retten will, der scheitert. So manches Mal hält einen nur der Gedanke ans Geld auf den Beinen. Entweder liebt man diese Arbeit oder man hasst sie. Als ich zum ersten Mal meinen künftigen Arbeitsplatz betrachten durfte, glaubte ich noch an einen schlechten Scherz.
Früh um sechs. Ich saß mit meinen Kollegen im Transporter und sah nachdenklich aus dem Fenster. Es war ein schöner Morgen, sehr kalt, aber gerade deswegen auch schön. Durch die Kälte bot sich mir ein Bild, so bezaubernd, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die Sonne schob sich über die Berge, aus deren Wäldern und Tälern sich weißer Morgennebel erhob. Auf den davor ruhenden Wiesen und Feldern hatten die Bauern bereits ihre Bewässerungsanlagen in Betrieb. Durch die zerstäubten Fontänen des Wassers schossen die ersten Sonnenstrahlen. Unzählige feine regenbogenfarbene Lichtschleier wurden dadurch zum Leben erweckt. Die Grenzen der Felder markierten Laubbäume, die zu dieser Jahreszeit noch keine Blätter trugen. Stattdessen glitzerten sie wie Diamanten. Die Kälte und der feine Wasserstaub der Sprinkler hatten Zweige und Äste mit einer funkelnden Haut aus Eis überzogen. Manche waren komplett vereist, manche nur zur Hälfte. Ein surreal schönes und fragiles Bild. Ich glaubte, zu träumen. Doch das glaubte ich auch, als wir am Block ankamen und ich zum ersten Mal sah, auf was ich mich da eingelassen hatte. Nachdem wir die Hauptstraße verlassen hatten und gute 45 Minuten über abgelegene Waldpisten geholpert waren, hielten wir inmitten einer gigantischen gerodeten Schneise. Wir stiegen aus dem Wagen und bildeten einen Kreis. Audrey erklärte, dass dies unser erster Einsatzort sei.
»Meine Güte, die Holzfäller haben ja hier alles liegen lassen! Wann räumen die denn die ganzen Baumstämme und das Gerümpel weg, damit wir anfangen können? Das sieht ja aus wie nach einem Bombenangriff!«
So wie mir geht es den meisten Frischlingen, wenn sie ungläubig vor dem stehen, was sehr stark an die Hinterlassenschaft einer Naturkatastrophe erinnert, sich aber schnell als genau das Gelände herausstellt, durch welches man sich von nun an Tag für Tag todesmutig kämpfen soll.
»Wie? Das räumt gar keiner weg? Das bleibt alles so liegen? Da bricht man sich doch die Beine!« sagte ich zu Audrey.
Ich übertrieb keineswegs. Vor uns lagen große Baumstämme, kleine Baumstämme, Äste, Zweige, übereinander, untereinander, nebeneinander, hinten, vorne, überall. Eben und glatt war hier rein gar nichts. Mal ging es bergauf, mal ging es bergab, mal steil, mal weniger steil. Da verlor man schon die Lust am Pflanzen, bevor man den ersten kleinen Baum überhaupt in der Hand hielt. Es ist schwer zu beschreiben, welche Bandbreite an unterschiedlichsten Terrains eine Pflanzsaison in Kanada zu bieten hat. So etwas muss man gesehen haben. Und selbst wenn man es gesehen hat, kann man es immer noch nicht glauben. Von sumpfigen Niederungen über extrem steile Hänge bis hin zu felsigen und knochenharten Böden - es ist so gut wie alles dabei. Je schwieriger der Waldboden zu bepflanzen ist, desto höher der Preis, den man pro Baum bekommt. Bei relativ leichten Böden bekamen wir 16 oder 17 Cent pro Baum, bei sehr steinigem Untergrund oder extremen Steigungen konnten schon mal 25 bis 30 Cent herausspringen. Doch es gab auch Stücke, die aufgrund der Masse des gerodeten und liegengelassenen Materials so schwierig zu bepflanzen waren, dass sie einen gehobenen Baumpreis verdient hätten, jedoch nur mit lumpigen 16 Cent vergütet wurden. Da fragten wir uns dann schon, welche Sichtpunkte der jeweiligen Bewertung zu Grunde lagen.
Eine alte Tree-Planter-Weisheit lautet: Es gibt keinen schlechten Untergrund, es gibt nur schlechte Preise.
Das sagt alles. Letzten Endes ist es reines Glück, für welches Stück man eingeteilt wird. Ein Block ist meistens so riesig, dass er sich über geologisch verschiedene Bodenabschnitte erstreckt. Bei der Festsetzung des Preises werden jedoch nur Teile des gesamten Gebietes kontrolliert. Werden diese als schwierig eingestuft, geschieht selbiges mit dem ganzen Block. Umgekehrt funktioniert es genauso. Wer der Meinung ist, sein Stück wäre unterbewertet und viel schwieriger zu bepflanzen, als es der angesetzte Baumpreis vermuten lässt, kann zum Vorarbeiter gehen und ihm die Situation schildern. Manchmal geschieht es dann tatsächlich und er wird 2 oder 3 Cent nach oben gesetzt. Bei tausend bis zweitausend Bäumen pro Tag macht das schon einen Unterschied.
Rock, einen der Baumpflanzer aus Matts Crew, überraschte die anstrengende Art des Pflanzens in British Columbia ebenso wie mich als Anfänger. Er war es gewohnt, in Quebec viel Geld als Tree Planter zu verdienen.
»In Quebec bekommen wir zwar nur 7 Cent pro Baum, doch dafür schaffe ich dort auch 3.000 Stück in wenigen Stunden. Denn dort ist alles eben und weggeräumt. Außerdem wird die Erde durch vorausfahrende Traktoren gelockert. Man rennt hinter den Maschinen her und braucht noch nicht einmal einen Spaten. Die Bäume werden einfach mit der Hand in den Boden gestopft und fertig. Das geht sauschnell. Aber an die Gegebenheiten hier muss ich mich erst gewöhnen. Ich schaffe überhaupt nichts und muss dazu noch aufpassen, dass ich mir nicht die Knochen breche.«
Quebec hieß also das gelobte Land, in dem die Wurzelballen der nächsten Baumgeneration sich fast von allein in die Erde pflanzten. Warum war ich nicht dort gelandet? Dies zu hinterfragen, brachte nichts. Hier, in der Gegend um Clearwater, fuhr jedenfalls kein Traktor vor uns her und lockerte die Erde auf. Hier ging es mit reiner Mannes- und Frauenkraft in abgeholzte Wälder, in verbrannte Wälder und in niedergeschredderte Wälder, deren Bäume den Großangriff des Borkenkäfers nicht überlebt hatten. Aufgrund der spitzen Baumsplitter, die das Schreddern hinterlassen hatte, mussten wir in diesen Gefilden zusätzlich Schutzbrillen tragen, um uns nicht im Pflanzwahn aus Versehen die Augen auszustechen. In den verbrannten Wäldern war es wiederum Pflicht, einen Schutzhelm aufzusetzen. Die verkohlten Stämme der verbrannten Bäume schwankten wie wacklige Spitzpfosten im Wind. Ich bezweifle zwar, dass der etwas störende Helm viel gebracht hätte, wäre so ein Stamm direkt auf meiner Rübe gelandet, aber Sicherheit geht vor. Unser Einsatz im verkohlten Wald war übrigens kein alltäglicher. Es handelte sich dabei um einen sogenannten Helikopterblock. Das heißt, das Pflanzgebiet lag so weit abseits der Fahrzeugrouten, dass es nur per Hubschrauber erreicht werden konnte. Normalerweise werden nicht nur die Bäume, sondern auch die Pflanzer auf den Block geflogen. Deshalb freute ich mich sehr an jenem Morgen. Wir fuhren über windige Pisten einen Hügel hinauf. Plötzlich konnten wir das typische Schmettern der Rotorblätter eines herannahenden Helikopters in der Ferne vernehmen. Er näherte sich schnell und landete auf einer kleinen Bergkuppe. Diese bildete gleichzeitig das Ende des befahrbaren Forstweges. Wir hielten neben dem Flugobjekt an und stiegen aus. Sofort ging es an die Arbeit. Die Kisten mit den Bäumen mussten in große Transportnetze verpackt werden. Mit Hilfe der altbewährten Menschenkette ging dies recht schnell. Ein zügiger Wind herrschte dort oben, der nicht vom Antrieb des Hubschraubers stammte.
Als es hieß: »Alle wieder ins Auto!«, dachte ich mir schon, dass aus dem Personenflug wohl nichts werden würde. So war es auch. Nur ein Vorarbeiter durfte mitfliegen. Wir hingegen fuhren einmal um den Berg herum bis zu einer mit roten Bändern versehenen Stelle, die den kürzesten Weg zum Block markierte. Den kürzesten Fußweg! Während die Bäume gemütlich am Transportseil durch die Luft schwangen, durfte unsereins mit Sack und Pack und Helm auf dem Kopf mehrere Kilometer durchs Unterholz stiefeln. Na toll! Schöner Helikopterblock! Das hatte sich gelohnt!
Nach dem anstrengenden Fußmarsch dauerte es eine ganze Weile, bis wir unsere Bäume hatten. Jedes Mal, wenn der Hubschrauber über unsere Köpfe flog, stieg die Hoffnung: «Jetzt sind bestimmt endlich wir an der Reihe.«
Doch falsch gedacht! Uns blieb nichts, als zu warten. Es gab vier Abladeplätze und mehrere eingeteilte Pflanzgruppen. Und ich stand mit meiner Gruppe offensichtlich am Ende der Welt, das zuletzt beliefert wurde.
Als sich dann schließlich doch die schwarze Silhouette des Hubschraubers mehr und mehr vom gleißenden Licht der darüberstehenden Sonne absetzte, war die