Aber um Gemütlichkeit geht es beim Bäumepflanzen leider nicht einmal im Traum. Deshalb schwangen wir unsere müden Knochen vom Waldboden hoch und legten los. Entladen, Bäume greifen und ab. Zu dieser Zeit wusste ich bereits ganz genau, wie man effizient pflanzt. Ich hatte meine eigene Technik und alle Bewegungsabläufe verinnerlicht. Doch auch bei mir galt zu Beginn der Pflanzsaison das Motto: Aller Anfang ist schwer.
Wie hatte ich mir das Pflanzen eigentlich vorgestellt, also die tatsächliche Praxis? Mit ein paar Bäumchen in den Wald ziehen und diese dann einfach dorthin pflanzen, wo ein bisschen Mutterboden hervorblitzt? Ehrlich gesagt, im Vorfeld hatte ich mir darüber gar keine Gedanken gemacht. Ich wollte mich überraschen lassen. Und überrascht wurde ich. Es war mir nicht bewusst, auf wie viele Feinheiten man zu achten hat, damit aus den Bäumen auch das wird, was der Arbeitgeber sich vorstellt. Wie sich herausstellte, war ich Mitglied einer sehr angesehenen Pflanztruppe, die ihren Job äußerst genau nahm und deshalb auch das volle Vertrauen der Brotgeber genoss. Die Jungs und Mädels, allen voran Audrey, hatten einen Ruf zu verlieren - einen guten. Audrey war es gewohnt, dass ihre Leute Qualität abliefern. Das galt für die alten Profis wie für die Rookies. Also durchliefen wir die harte Schule der Pflanzanfänger, paukten das Baumeinmaleins und erlernten die hohe Kunst des Tree Plantings.
»Technik! Auf die Technik kommt es an«, meinte Audrey, »nicht so sehr auf die Kraft. Auf die Pflanztechnik, die Effizienz der Bewegungen.«
Bevor wir uns jedoch effizient in einem flüssigen Bewegungsablauf von Punkt zu Punkt bewegen konnten, gab es noch ganz andere Details zu verinnerlichen. Doch am besten immer schön der Reihe nach.
Zur allgemeinen Ausrüstung eines Pflanzers gehören:
• alte Klamotten, bei denen es nichts ausmacht, wenn sie nach zwei Tagen kaputt sind
• dünne Arbeitshandschuhe, die ebenfalls einem hohen Verschleiß unterliegen
• Caulk Boots, das sind wasserdichte Spezialstiefel mit Keramik- oder Stahlspitzen unter der Sohle
• ein Pflanzspaten
• und ein gepolsterter Hüftgürtel mit drei großen Ledersäcken für die Bäume.
Dazu kommen noch mehrere Rollen blaues oder rotes Flagging Tape, sprich Markierungsband, und ein sogenanntes Plot Cord. Eine Uhr ist ebenfalls von Vorteil, damit man weiß, wann Feierabend ist, und nicht im Wald vergessen wird. Die Bäume befinden sich in Pappkartons. Ein Karton enthält bis zu 360 Bäume, die in 20er-, 15er- oder 10er-Bündel verpackt sind. Mit denen stopft man sich im wahrsten Sinne des Wortes die Taschen voll. Dann wird der zirka 25 Kilogramm schwere Hüftgürtel ruckartig nach oben gehievt und umgeschnallt. So fest es nur geht, damit ihn das Gewicht der Bäume nicht über den Allerwertesten zieht und alles in den Kniekehlen hängt. Einmal tief durchatmen, den Spaten schnappen und los. Aber halt! Etwas zu trinken und eine Extrarolle Flagging Tape nicht vergessen.
Die Einteilung des Blocks in meist quadratische Pflanzabschnitte ist relativ einfach und logisch. Man kommt auf dem Block an. Alle versammeln sich. Der Vorarbeiter erklärt, was wie wohin gepflanzt werden soll. Der erste Pflanzer bekommt seine Pappkisten mit genügend Baummaterial für den Tag und fängt an zu pflanzen, indem er mit den Bäumen zunächst eine gerade Linie zieht, die, dank des in kurzen Abständen an Ästen und Stöcken anzubringenden Markierungsbandes, für alle gut sichtbar sein sollte. Dies nennt man `Cutting a line´. Der zweite Pflanzer beginnt dann ein paar hundert Meter jenseits der gezogenen Linie mit seiner Arbeit und cuttet ebenfalls a line. Der Dritte zieht weiter entfernt auch eine Linie und immer so weiter. Erreicht man das Ende seines Stückes, sei es ein Bach, der Waldrand oder wiederum eine bereits markierte Linie, geht man weiter nach rechts beziehungsweise links, immer in Richtung des ersten Pflanzers. Trifft man dann auf dessen Markierungslinie, geht es wieder zurück in Richtung der eigenen gezogenen Linie. So stampft man immer hin und her zwischen den Linien und füllt das Stück langsam von hinten nach vorne mit Bäumen auf. Bis es voll ist, was je nach Größe schon mal mehrere Tage dauern kann. Wer sich noch das allererste Computertennisspiel mit den zwei weißen Balken ins Gedächtnis rufen kann, bekommt eine ungefähre Idee, wie es funktioniert. Man bewegt sich wie der Tennisball von einer Seite zur anderen. Nach jeweils ungefähr drei Schritten wird dabei ein Baum gepflanzt. Dies versucht man, wie schon erwähnt, mit Effizienz zu tun. Auf keinen Fall hinknien, das dauert zu lange. In der einen Hand hält man den Spaten, mit der anderen greift man nach hinten und zieht einen Baum aus der Tasche. Der Spaten wird mit gezielten Stößen zwei-, dreimal leicht schräg in die Erde gerammt, bis das Spatenblatt tief genug im Boden steckt. Jetzt wird der Spaten zum Körper gezogen, wodurch ein perfektes Loch für den kleinen Wurzelballen entstehen sollte. Dieser wird dann, von den Fingern umhüllt, in jenes Loch befördert, das durch eine geschickte Drehbewegung des Spatenblattes nahezu gleichzeitig wieder verschlossen wird. Während des gesamten Vorganges hält der erfahrene Pflanzer bereits Ausschau nach der nächsten guten Einpflanzmöglichkeit, um keine Zeit durch zielloses Suchen zu verlieren. Sobald das Loch versiegelt ist und der Baum perfekt steht, geht man drei zügige, vorzugsweise möglichst kraftsparende Schritte zum anvisierten Punkt, wobei die Pflanzhand schon wieder nach hinten in die Tasche greift und der Spaten zum Einschlag ausholt. Vorher reißt man jedoch noch schnell etwas Flagging Tape ab und schmeißt es auf die Erde, um den gerade gepflanzten Baum sichtbar zu markieren. Ansonsten ist später kaum auszumachen, wo schon gepflanzt wurde und wo nicht - denn im grünbraunen Tarnkleid des Waldbodens verschwindet so ein niedliches Baumkind ziemlich leicht aus der optischen Wahrnehmung. So weit, so gut. Während des gesamten Vorgangs sollten alle Bewegungen fließen wie Wasser im Fluss - herum um alle Widerstände. Und das zehn Stunden am Tag. So sieht der Idealfall aus. Doch bei Anfängern kommt von jetzt auf gleich kein fließender Bewegungsablauf zustande. Schon allein deshalb nicht, weil man nach jedem gepflanzten Baum hilflos und umhersuchend dasteht und nicht weiß, wo man das nächste Exemplar hinpflanzen soll. Hat man endlich eine Stelle gefunden, überlegt man trotzdem noch hin und her, ob die auch wirklich gut ist für den Zögling. Denn nicht jeder Baum kann überall hin. Und die Abstände zwischen ihnen müssen ebenfalls stimmen. Es gab vier verschiedene Baumsorten, die ein neues Zuhause suchten. Wir pflanzten Tannen, Kiefern, Fichten und Zedern. Und hier wurde es kompliziert. Jeder Block sollte unterschiedlich bepflanzt werden. Mal mit 50% Kiefern, 30% Tannen, 15% Fichten und 5% Zedern, mal genau umgekehrt und ein anderes Mal wieder völlig anders. Kiefern durften so gut wie überall hin, Tannen dagegen nur auf Hügel oder sonnige Lagen, Fichten und Zedern vermehrt in feuchte Niederungen und an schattige Plätze. Wir sollten uns folglich effizient bewegen, Kopfrechnen können und gleichzeitig die Gegebenheiten des Geländes analysieren. Ich war davon ausgegangen, man schnappt sich die Bäume, stellt das Gehirn ab und marschiert gedankenlos vor sich hin. Weit gefehlt! Und das war noch einmal nicht alles. Die Wurzelballen der Bäume sollten jeweils 3 cm tief eingepflanzt werden, kerzengerade natürlich und nicht etwa krumm wie ein J, bloß weil das Loch nicht tief genug oder der Boden zu steinig war. Hier hieß es fünf Bäume pro Plot, dort vier, da drei pro Plot und so weiter und so fort. Ein Plot bezeichnet einen Kreis mit einem Durchmesser von 6 Metern. Das bedeutet somit, bei einem 5er Plot dürfen immer nur fünf Bäume in diesem Kreis stehen. Ansonsten hat man entweder zu dicht zusammen oder zu weit auseinander gepflanzt. Um dies zu überprüfen, nimmt man sein Plot Cord, eine 3 Meter lange Leine mit Schlaufe, sticht den Spaten irgendwo hin, legt ihm die Schlaufe um, geht einmal mit gespannter Leine ringsumher und zählt dabei die Anzahl der Bäume innerhalb des gelaufenen Kreises.
Klingt alles kompliziert? War es auch, zumindest am Anfang. Doch irgendwann ging durch die ständigen Wiederholungen jedes Detail, jede Bewegung in Fleisch und Blut über.
Kontrolliert wurde unsere Arbeit durch den Checker. Der checkte unregelmäßig, ob die Qualität der Pflanzung stimmte. War dies nicht der Fall, konnte es passieren, dass man alles noch mal neu beackern musste. Dies blieb mir zum Glück erspart, obwohl auch hier und da mal gemeckert wurde, ich solle aufpassen und die Bäume ja tief genug einpflanzen. Hatte ich mich zu Beginn der Saison noch über 500 gepflanzte Bäume pro Tag gefreut, steigerte ich mein Pensum zum Ende hin bis auf 1.300 Bäume täglich. Das war für die erste Saison eine gute Leistung und brachte genügend Geld ein. Ich konnte zufrieden sein. Jeder war selbst für die Zählung der pro Schicht gepflanzten Bäume verantwortlich. Immer wenn ich neuen Nachschub aus meinen Kartons nahm und in die Pflanztaschen packte, schrieb ich in mein Notizbuch, wie viele