Hans Günter Hess

Das Tor der sieben Sünden


Скачать книгу

Denn das Singen bildete bisher die einzige Brücke zwischen ihm und ihr.

      In der Küche entwichen der Ofenröhre verführerische Gerüche. Fabien saß noch bei einem zweiten Glas Essigwasser und wartete auf seinen Lohn.

      „Der Propst Pineau besucht uns nachher, für den wird das Festmahl angerichtet. Wenn du morgen kommst, hebe ich dir etwas auf“,

      verriet sie ihm hinter vorgehaltener Hand. Er, der selten genug die Gaumenfreuden eines Bratens erlebte, versprach sein Erscheinen. Der Duft und die Aussicht auf ein Stück des Fleisches ließen ihn plötzlich alles vergessen, sogar Vivien und ihre Aufforderung, sich mit ihm zu treffen. Erst spät kehrte er nach Hause zurück und schob den Karren wie immer neben den Ziegenstall. Der Kuchen hatte seinen größten Hunger gestillt, deshalb überließ er seinen Anteil am Abendbrot den Geschwistern, die ihm freudig dankten. Vom Bett aus sah er später den Vollmond und der war Anlass für mehrere gleichzeitig ablaufende Ereignisse:

      Im Haus des Patre erschien gegen Abend sein Amtsbruder und Vorgesetzter, der Propst Jean Marie Pineau. Er kam immer dann, wenn der Erdenbegleiter mit ganzer Helligkeit leuchtete.

      Die Hure Madeleine traf zu gleicher Zeit an anderer Stelle Vorbereitungen für die kommende Nacht.

      Fabien lag lange schlaflos auf seinem Strohsack. Der Bratenduft in seiner Nase war gewichen, es roch wieder ärmlich wie eh und je. Er marterte sein Gehirn mit der Frage, wie man am besten Vivien eine Nachricht zukommen lassen könnte.

      Sarly, der bei Vollmond nie schlafen konnte, lag Ellbogen gestützt auf dem Schwellbalken der Luke und stierte in die schemenhafte Helle der Nacht. Wiederholt streifte sein Blick die Fenster von Charlottes Zimmer. Nur einmal sah er im flackernden Licht einer Kerze ihren huschenden Schatten, sonst lag das Haus im friedlichen Dunkel der Bäume. Clochard schnarchte in seiner Ecke an der Hauswand. Er, der ungekrönte Herr des Reviers brauchte keine Gegner oder Rivalen zu fürchten, die waren entweder vor ihm geflüchtet oder er hatte sie bereits gnadenlos vernichtet.

      Sarly empfand Stolz, dass er ausgerechnet zu ihm gehörte, war er doch in vielen Eigenschaften so wie er. Seine Gedanken beschränkten sich aber nicht nur auf den Hund, der kam gut und gerne ohne ihn klar. Auch um sein tägliches Brot machte er sich keinen Kopf. Für den nächsten Tag hatte er genug, und wenn er mal nichts hatte, schob er Kohldampf, anders kannte er’s nicht. Seine Überlegungen wanderten weiter zu den Sternen mit der Frage, ob denn dort auch Menschen lebten, und wenn, ob sie sich genau so verhielten wie hierzulande. Fledermäuse huschten lautlos vorüber, ein Käuzchen schrie irgendwo. Er mochte diese Stimmung. Es handelte sich um die Geräusche und Bewegungen der Natur, die er liebte, denen er sich verbunden fühlte, ganz im Gegensatz zum Geknatter und Gestank von Dubois’ Petroleumkutsche. Der war, Gott sei Dank, mit diesem scheußlichen Gefährt auf Geschäftsreise. Und das fand er gut. Morgen früh würde er sich beim Baden Charlotte in seiner ganzen Mannespracht präsentieren. Sie würde ihn beobachten und bewundern, das spürte er schon länger. Aber offenbarte sie sich ihm auch? Sarly witterte förmlich, dass dieser Augenblick nicht mehr fern sein konnte.

      Eine Bewegung, weit weg, in der Nähe von Madeleines Haus, fesselte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Allerdings konnte er nicht ausmachen, was sich dort tat. Zunächst tippte er auf ein Tier, doch das lief nicht so schwerfällig, und Bären gab es in dieser Gegend nicht. Es musste ein Mensch sein. Die Hure hatte ihm nichts von einem Liebhaber erzählt. Unruhig verfolgte er das seltsame Wesen. Es verschwand, tauchte auf und irgendwann schluckte es die Nacht. Sarly packte die Angst. Sollte vielleicht einer Madeleine abgemurkst haben? Er sprang aus der Luke, steckte sein Messer in den Gürtel und schlich zu ihrer Kate. Kein Laut drang heraus. Doch sie hatte ihn längst an seinem schleichenden Gang erkannt.

      „Was willst du, Sarly? Lass mich schlafen! Ich habe keine Lust, mit dir zu ranzen“,

      schrie sie, als er an die Tür pochte. Er, bereits sein Messer in der Hand, stellte enttäuscht das Klopfen ein. Ihn reizte es schon lange, einmal einem Lumpen, der Madeleine des Nachts belästigte, einen Denkzettel mit der Messerspitze zu verpassen. Zunächst hockte er sich in der Nähe ins feuchte Gras und dachte nach. Um Madeleine zu beruhigen, tat er so, als ob ihn ihr Wohl nicht interessierte. Doch dann schlich er zum Fenster und raunte:

      „Du kannst ruhig weiter schlafen, ich war nur bei meinen Schlingen, brauche wieder einen fetten Entenbraten. Da dachte ich, jemand wäre bei deinem Haus gewesen.“

      „Scher dich zum Teufel und lass mich endlich schlafen, Sarly! Komm morgen Mittag, wenn du was von mir willst!“,

      fertigte sie ihn endgültig ab. Beleidigt zog er davon. Seine Sorge um Madeleine schien tatsächlich unbegründet. Den Rest der Nacht verbrachte er sitzend neben Clochard.

      Madeleine träumte indes von einem Leben als Dame, sie hatte kurz davor eine gute Summe für ihren Dienst und obendrein ein rotes Tuch aus feinster Seide erhalten.

      Niemand ahnte, auch nicht Sarly, wie Madeleine in den Besitz des kostbaren Tuches gekommen war. Sie wusste sehr wohl, das Geheimnis zu hüten, entsprang ihm doch einiges, was ihren stillen Sehnsüchten Genüge tat. Das ferne Ziel, einmal eine vornehme Dame zu werden, hatte sie Sarly nie verraten, und sie würde es auch nie preisgeben. Er würde schon merken, wenn es soweit war, dann konnte er sich nicht mehr bei ihr für ein paar Happen nach Herzenslust bedienen.

      Der scheinheilige Probst

      Patre Hector Sorel stand wie immer erwartungsvoll vor seinem Haus, wenn sein Amtsbruder und Vorgesetzter, der Propst Jean Marie Pineau zu Besuch kam, um die Geschäfte der Kirche zu prüfen und um ihm seine Aufwartung zu machen. Vorher hatte er Mamsell Berbe angewiesen, den Braten rechtzeitig aus der Röhre zu nehmen und auch den Tisch angemessen mit einem Tuch abzudecken. Der Patre empfing seinen vermeintlichen Freund mit einer Umarmung. Der Propst besuchte ihn öfter als jeden anderen Geistlichen seines Amtsbezirkes. Das schmeichelte ihm. Er nannte ihn deshalb Bruder, was der Propst bei ihm ausnahmsweise duldete.

      Sie tranken zur Begrüßung einen Schluck Wein, dabei beschwerte sich der Propst über die schlechte Straße, die, obwohl noch neu, schon sehr viele Löcher aufweisen würde. Berbes Braten stand bereits angerichtet auf dem Tisch. Die Beiden langten tüchtig zu und leerten dabei fast zwei Flaschen Roten. Der Propst, an solcherart von Genüssen gewöhnt und deshalb sehr trinkfest, stillte reichlich seinen Durst. Der Wein, eine Spende des Großhändlers Dubois, schmeckte und es standen noch einige Flaschen zur Verfügung. Mit jeder neuen hob sich die Stimmung. Beide lobten Gottes Gaben und die Gnade, sich an ihnen laben zu dürfen. Auch diejenigen, die nichts hatten, kamen in ihren Gesprächen vor. Sie würden sündigen, Gott verachten und faul sein. Deshalb stünden ihnen solche Segnungen nicht zu, sollten sie doch sehen, wie sie mit ihrem Leben klar kamen.

      Berbe, die im Hintergrund ehrfürchtig die geistvollen Reden der heiligen Männer verfolgte, sah auch, wie ihr Dienstherr, der Patre, durch den vielen Wein beseelt, einschlief. Vom Propst beauftragt, schaffte sie ihren Herrn ins Bett und richtete für den Gast das Nachtlager. Er selber wollte noch zur Kirche, um zu beten und dem Herrn für den Abend zu danken. So jedenfalls gab er vor. Während Berbe den Patre von seiner Dienstkleidung befreite und sich an seinen männlichen Attributen ergötzte, schritt der Propst, wie es sich für einen frommen Herrn geziemt, demütig zur Kirche. Dort betrat er als solcher durch die nördliche Tür den Altarraum, warf augenblicklich seine Soutane achtlos auf eine Bank, kletterte ächzend über die Stiege hoch zur Empore und verließ das Gotteshaus über die südliche Tür, aber nicht als frommer Mann, sondern als entweihter Lüstling. Kurze Zeit später betrat er Madeleines Haus. Der Propst, der es eigentlich auf einen Messdiener abgesehen hatte, von diesem aber abgewiesen wurde, suchte bei Madeleine willigen Ersatz für seine fleischlichen Gelüste. Die wusste natürlich von seinen Neigungen. Sie hatte sich dementsprechend vorbereitet. Stets entzündete sie in einer Schale Weihrauch, um den Mann Gottes nicht mit ihren Parfüms zu verwirren. Vorher schlüpfte sie zudem immer in eine Tuchhose und verbarg das lange Haar unter einer Ballonmütze.

      Der vorgebliche Gottesdiener wusste, worauf er sich einließ. Er gab ihr vorher das geforderte Geld und kam danach sofort zur Sache. Sie musste sich nach vorn bücken, dann zog er ihr die Hose nur soweit vom Gesäß, bis er die Stelle entblößte, die