Christian Springer

Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper


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      Humbug & Mumpitz – ‚Regietheater‘ in der Oper

      Christian Springer

      published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      Copyright: © Christian Springer 2016

      ISBN 978-3-7418-5673-0

      In memoriam

      Gottfried Cervenka

      Gottfried Cervenka (1947-2015) war ein beliebter Rundfunkmoderator, der mit profundem Fachwissen auf dem Gebiet der Oper und der Gesangskunst über Jahrzehnte im ORF-Radiosender Ö1 Portraits von historischen Sängern, Dirigenten usw. gestaltete.

      INHALT

      Vorwort

      Die Rezeption italienischer Opern im deutschen Sprachraum

      Musikkritik im Italien des 19. Jahrhunderts

      Internationale Kritiker im 19. Jahrhundert

      Der Verdi-Hasser Eduard Hanslick

      Die italienische Oper

      Erste Spielleiter

      Der erste bedeutende Regisseur: Ein Bühnenautor

      Das deutsche ‚Regietheater‘

      Prima la regía, poi l’opera?

      Musikalische Details, so manchem Noten-Analphabeten unbekannt

      Ansätze des Regietheaters in der Oper

      Ein neuer Schlussakt für La traviata

      Le nozze di Figaro à la Strindberg

      Tannhäuser im Puff und im Irrenhaus

      Fidelio vom Regisseur verstümmelt

      Manon Lescaut mehrfach verunglückt

      Falstaff in der städtischen Kanalisation

      Der tauchende Müllabfuhrarbeiter Amonasro

      Münchener Affentheater

      Onegin am Brokeback-Mountain

      Hintersinn in München

      Gildas Opa

      Exkremente, Schlamm und Kotze

      Macbeth-Desaster in Wien

      La Forza Del Destino – unbewältigt und verunstaltet

      Macbeth im Kongo

      Stuhlgang als Kunst – Kunstverständnis und Dummheit

      Clownerien der Kunst-Mafia

      Die Oper ein Traum

      Ahnungslose Intendanten

      Ein brünstiger Prolet namens Scarpia

      Schlechte Übersetzungen

      Il trovatore „Von kaum zu überbietender Unsinnigkeit“

      Parasiten im Theater

      Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben

      Ideologie und Publikum

      Bilderübermaler

      Es gibt nur eine einzige Interpretation eines Kunstwerks

      Klassenkampf

      Die Realität abseits der Ideologie

      Kritik im 20. und 21. Jahrhundert

      Des Kaisers neue Kleider

      O tempora, o Zores!

      Ein renommierter Gegner des Regietheater-Problems und ein Lösungsansatz

      Historisch akkurat

      Oper im Wachkoma

      Verlachtes Regietheater und nutzlose Experimente

      Quellennachweis

      Der Autor

      Anmerkungen

      VORWORT

      Der vorliegende Text zum Thema ‚Regietheater‘ in der Oper ist weder eine musik- oder theaterwissenschaftliche Untersuchung noch eine musiksoziologische Betrachtung. Es handelt sich vielmehr um die einschlägigen Beobachtungen und Gedanken von jemandem, der seit den 1950er Jahren Opernvorstellungen besucht und seit 1981 in musikhistorischen Publikationen versucht, Details über die Arbeit von Librettisten, Komponisten und ihren Interpreten – vorwiegend Sängern und Dirigenten[1] – des 19. Jahrhunderts darzustellen und zu vermitteln. Das Thema „Regie“ kam dabei bis dato nicht zur Sprache, aus einem einfachen Grund: Es rückte erst im 20. Jahrhundert in das Blickfeld des Publikums. Zuvor war Regie nichts anderes als die handwerkliche Umsetzung der Vorgaben der Librettisten und Komponisten der aufgeführten Werke, die im Einklang und in Zusammenarbeit mit diesen erfolgte. Für die Beobachtungen des Autors war dabei wesentlich, dass er im Laufe seiner Karriere als Opernbesucher viele Werke szenisch noch so aufgeführt erlebte, wie es dem dokumentierten Willen ihrer jeweiligen Schöpfer entsprach.

      Es stimmt zufrieden, dass man beispielsweise 2016 an der Wiener Staatsoper seit 1964 eine den Wünschen ihrer Autoren entsprechende Produktion von Puccinis La bohème und seit 1958 eine Inszenierung von Puccinis Tosca sehen kann, die weder die Interpretationswillkür noch die „Einfälle“ und Fehler unqualifizierter, inkompetenter oder wichtigtuerischer Regisseure (worauf diese – auf den ersten Blick möglicherweise rüde wirkenden – Epitheta basieren, wird im Text ersichtlich) aufweist, noch das Werk aktualisiert, dekonstruiert, zertrümmert, ironisiert oder verfremdet, sondern bei der Realisierung der Bühnenbilder, Dekorationen, Einrichtungen, Versatzstücke, Requisiten und Kostüme ebenso wie bei der Personenregie all das berücksichtigt, was von den Autoren vorgegeben und für das Verständnis des mit einem historischen Ereignis untrennbar verknüpften Stücks erforderlich ist.

      Tosca ist nur ein Beispiel für zahllose andere bedeutende Werke der Opernliteratur aller Epochen, die keiner ideologisch motivierten Intellektualisierung oder hintergründigen soziologischen Neudeutung bedürfen, um verstanden zu werden, und die auch nicht ohne Substanzverlust in die Gegenwart transferiert werden können. Die Erfahrung hat gezeigt, dass nicht alles, was ‚Regietheater‘-Regisseure nicht verstehen, auch vom Publikum nicht verstanden wird. Das Gegenteil ist der Fall.

      Wie beim Regieführen heute vielfach vorgegangen wird, zeigen zahlreiche Beispiele aus der Opernpraxis seit Aufkommen des ‚Regietheaters‘, die für ein intelligentes und gebildetes Publikum weder verständlich noch begründbar sind. Die Banalität der behaupteten Gründe für das Zustandekommen solcher Inszenierungen und das Fehlen eines echten Anspruchs solcher zwar kurzlebiger, jedoch trotzdem ärgerlicher Interpretationen wird nur allzu rasch evident, auch wenn das Feuilleton eilfertig vermeintlichen Tiefsinn dahinter ortet. Dass keineswegs alles ‚verstaubt‘, ‚überholt‘ oder ‚reaktionär‘ ist, was sinnvoll und gut ist, beweisen unzählige gegen das Regietheaterunwesen gerichtete Stellungnahmen von Könnern unter Regisseuren (Jonathan Miller, Peter Stein, Franco Zeffirelli), Interpreten (Piotr Beczala, Dietrich Fischer-Dieskau, Riccardo Muti) und Autoren (Daniel Kehlmann, Ephraim Kishon, Georg Kreisler, Botho Strauß,), die sich aus Gründen der beruflichen Kompetenz, der Bildung und nicht zuletzt des gesunden Menschenverstandes von der Regietheatermode weder täuschen noch infizieren lassen. Sie alle kommen hier zu Wort.

      Bevor dies geschieht, empfiehlt sich ein Exkurs zum Wesen der italienischen Oper und zu ihrer Rezeption innerhalb und außerhalb des deutschen Sprachraums. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein meinungsbildender Kritiker des 19. Jahrhunderts wie Eduard Hanslick am Entstehen des Phänomens des deutschen ‚Regietheaters‘ und seiner Methoden entscheidend beteiligt war.

      Die pauschale Verachtung, die Hanslick auf dem Gebiet der Musik ganzen Nationen („Das französische Volk besitzt von Haus aus wenig musikalische Anlage,