V. A. Swamp

Andrea – Liebe ist nicht heilbar.


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woher sie kommen. Gibt es eigentlich auch schwarze Sinti und Roma? Irgendwie überfordert mich das Gerede über die zeitgemäßen neuen Begrifflichkeiten. Und das Geschwätz von Alice Schwarzer, definitiv keine gut aussehende Afro-Amerikanerin, oder anderen Gender-Expertinnen und –Experten, das war aber jetzt politisch korrekt ausgedrückt, nicht wahr?, ödet mich an. Schwulenehe, Lesbenehe - wahrscheinlich sind auch diese Begriffe politisch inkorrekt. Da schreiben die Zeitungen bei der Lesbe von „ihrer Frau“ und bei dem Schwulen von „seinem Mann“. Wäre nicht Lebenspartnerin beziehungsweise Lebenspartner die ehrlichere Bezeichnung? Meinetwegen auch Lebenspartnerin oder Lebenspartner mit Versorgungsanspruch, denn darum geht es doch wohl letztendlich, oder? Was mich außerdem nervt? Die großzügige Verwendung von Possessivpronomen: meine Frau, mein Mann, meine Freundin, mein Freund… Rita hat sich immer dagegen gewehrt, verbal zu meinem Besitz erklärt zu werden. Ich habe mir deshalb abgewöhnt, Possessivpronomen im Zusammenhang mit anderen Menschen zu verwenden.

      Die Musik ist etwas seltsam. Auch meine ich zusätzlich zum Schlagzeug weiteres Getrommel zu hören. Da entdecke ich etwas außerhalb meines normalen Blickwinkels rechts von der Bühne noch einen Musiker, der vor einer bemerkenswert großen Anzahl von großen und kleinen Trommeln sitzt und diese mit großem Elan bearbeitet. Der reißt allerdings mit seiner Trommelei nicht das übrige musikalische Gestammel raus und ich will diese Gruppe schon gedanklich abhaken. Aber mit dem zweiten Stück steigern sie sich überraschenderweise und dann geht es ordentlich rock- und rollmäßig zur Sache. Vielleicht war es doch nicht verkehrt, heute Abend hierher zu kommen? Die Musiker werden mit jedem Stück besser und am Ende ihres Auftritts bekommen sie ehrlichen und ernst gemeinten Applaus. Ich bestelle mir noch ein Bier und hoffe, dass die zweite Musikergruppe es ebenfalls bringt. Es ist jetzt irgendetwas nach 22 Uhr und die Kneipe füllt sich immer mehr. Ich muss mir eine Strategie ausdenken, damit ich meinen Platz auch nach dem Gang zur Toilette behalten kann. Das Beste wird sein, wenn ich die blonde Kellnerin darauf anspreche. Ich schnappe sie mir, als sie das nächste Mal von ihrer Serviertätigkeit zurückkommt. Sie grinst mich freundlich an, nachdem ich ihr von meinem Problem erzählt habe. Sie meint, das sei kein Problem, verschwindet hinter dem Tresen und kommt mit einem „Reserviert-Schild“ zurück. Das soll ich einfach auf meinen Barhocker stellen. Ich nehme mir vor, die Schlussrechnung bei ihr zu bezahlen und mich für die Freundlichkeit mit einem angemessenen Trinkgeld zu bedanken.

      Die nächste Musikertruppe hat inzwischen ihre Instrumente auf die Bühne getragen. Als sie dann endlich loslegt, sehe ich zwei Gitarrenspieler, einen Akkordeonspieler und eine Sängerin. Eine merkwürdige Zusammenstellung, die eher an ein Pfadfinderkonzert als an eine Rock-and-Roll-Kneipe erinnert. Die Sängerin und die beiden Gitarrenspieler haben ganz hübsche Stimmen, aber das haben die Leute im Kirchenchor wohl auch. Die von der ersten Band aufgebaute Superstimmung ist jedenfalls schlagartig weg. Ich bestelle mir mein drittes Bier und jetzt muss ich an den Toilettengang denken. Ich platziere das „Reserviert-Schild“ auf meinem Barhocker und schlängel mich durch die im Gang stehenden Gäste zur Toilette. Beim Pinkeln lese ich die oberhalb der Pissoirs angebrachten Programmankündigungen und nehme mir vor, am kommenden Samstag noch einmal in diese Kneipe zu gehen, da dort eine Band die Hits von SMOKIE intonieren wird. SMOKIE fand ich schon damals, als die noch „en vogue“ waren, rattenscharf. Als ich von der Toilette komme, habe ich keine Chance, zu meinem Platz zurückzukehren. Im Gang stehen dicht an dicht gedrängt die Gäste und beobachten das Geschehen auf der Bühne. Meinen Platz könnte ich jetzt nur mit Brachialgewalt erreichen. Das will ich nicht.

      Die Musik wird nicht besser, aber das scheint die Mehrzahl der Besucher nicht zu stören. Vielleicht finden sie aber auch echten Gefallen an diesen Klampfen-Heinis. Links neben dem Gang, etwas erhöht, befindet sich die Galerie, auf der eine merkwürdige Ansammlung von unterschiedlichen Tischen, Stühlen und auch einigen Sofas platziert sind. Ich frage mich, aus welchen Sperrmüllsammlungen das Zeug wohl stammen mag. Die dort sitzenden Gäste sind in dem Halbdunkel nur schwer auszumachen. Während der Bühnenshows wird nur die Bühne angestrahlt, während in den übrigen Teilen der Kneipe das Licht abgedunkelt wird. Im hintersten Eck der Galerie kann ich ein Pärchen ausmachen. Sie scheinen nur mit sich selbst beschäftigt zu sein. Das Musikprogramm scheint sie nicht zu interessieren. Irgendetwas diskutieren sie und sie streichelt ihm ab und zu über das Gesicht. Warum schaue ich überhaupt dorthin? Es gibt doch wohl in dieser Kneipe eine Menge Interessanteres zu sehen, oder? Aber irgendwie kommt mir die Frau bekannt vor. Einen kurzen Augenblick zeigt sie ihr Profil, um sich dann sofort wieder ihrem Partner zuzuwenden. Für einen Moment denke ich, dass da drüben Andrea sitzt. Das kann aber aus zwei Gründen nicht sein. Erstens ist das Fender nicht die Art von Lokalen, die Andrea schätzt, und zweitens würde sie sich niemals in der Öffentlichkeit so benehmen. Ich werde dauernd angerempelt von Typen, denen ich den Weg zur Toilette versperre. Es ist überhaupt nicht spaßig, hier herumzustehen, während einige Meter weiter mein Barhocker auf mich wartet.

      Die Frau und der Typ sind weiterhin intensiv mit sich selbst beschäftigt. Ich bete zu Gott oder wem auch immer, dass diese Klampfenheinis endlich Schluss machen mögen, damit ich mich zu meinem Platz vorkämpfen kann. Nach drei weiteren Stücken und gefühlt eine halbe Ewigkeit ist der Spuk vorbei und das Licht wird wieder eingeschaltet. Jetzt wird der Gang vor mir wieder halbwegs passierbar. Ich schlängel mich zu meinem Platz zurück, nicht ohne vorher noch einmal das Pärchen in der Ecke zu mustern. Da dreht die Frau ihren Kopf, so als suche sie irgendwen. Jetzt sehe ich es ganz deutlich. Es ist tatsächlich Andrea!

      Ich weiß nicht, ob ich jetzt zu ihr hingehen soll oder ob ich nicht besser ohne viel Aufhebens zu machen zu meinem Platz zurückkehren sollte. Ich entscheide mich für die zweite Variante. Auf „meinem Platz“ sitzt ein Ungetüm: kahl rasierter Schädel, Hände wie Schaufeln, ehemals weißes T-Shirt in XXXXL über einem Oberkörper, der große Ähnlichkeit mit dem eines Rhinozeros hat. Das „Reserviert-Schild“ und mein Bier sind verschwunden. Ich wende mich an die blonde Serviererin und frage nach meinem verschwundenen Bier. Sie hat nichts gesehen, will aber ihre Kollegin fragen. Die ist allerdings gerade irgendwo unterwegs und es dauert mindestens 15 Minuten, bis die zurück ist. Natürlich weiß sie auch von nichts. Ich bestelle mir ein weiteres Bier und bezahle die vier Bier. Das Extra-Trinkgeld für die Blonde vergesse ich.

      Ich werde mich jetzt zu Andrea durchkämpfen. Zu groß ist meine Neugier und das Verlangen herauszufinden, mit wem sie da sitzt. Es ist definitiv nicht ihr Mann. Und außerdem: Was habe ich zu verlieren? Ich muss dazu nicht einmal besonders mutig sein, sage ich mir. Als ich den hinteren Teil der Galerie endlich erreiche, sind Andrea und ihr Gschmusi weg. Deshalb hat sie sich wohl vorhin Hilfe suchend umgedreht. Sie wollte bezahlen. Scheiße, ich hätte das gerne aufgeklärt. Was wollte ich aufklären? Ich weiß es nicht.

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