V. A. Swamp

Andrea – Liebe ist nicht heilbar.


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die Besseren.«

      Ich habe den Eindruck, dass meine Bewegungen irgendwie roboterhaft und gefühllos sind. Andrea wirft mich total aus der Bahn. Ich werfe nochmals ein kleines Stück Eis in mein Glas und schenke mir Sherry nach. Andreas hat an ihrem Drink nur genippt, und als ich zu ihr mit der Flasche komme, wehrt sie ab. Habe ich mich eigentlich zu den Gran Canaria-Plänen geäußert? Ich hoffe nicht. Im CD-Player liegt eine Van-Morrison-CD. Ich drücke die PLAY Taste und drehe danach den Lautstärkeregler ein wenig herunter. Die CD beginnt mit „Astral Weeks“. „Noch einmal geboren werden, in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit?“ Passt das Lied hierher?

      »Schöne Musik. Gefällt mir,«meint Andrea, »dafür hast Du schon damals ein Händchen gehabt. Komm, setz Dich zu mir. Da drüben kann ich Dich nicht riechen.«

      Ich werde Andrea jetzt sagen, dass ich mich auf die Kleine Weltlaterne gefreut habe und dass ich jetzt gehen möchte. Auch wenn ich das eigentlich nicht will, könnte sie mich ja eventuell begleiten. Dann setze ich mich zu ihr auf das Sofa und sie drückt gleich ihren Körper an meinen. Will ich das? Ich bin sehr unsicher. Am Ende bringe ich sie noch einmal in Atemnot. Andrea streichelt mir übers Haar und dann zieht sie meinen Kopf zu ihr, bis sich unsere Lippen berühren. Ich bin völlig willenlos. Ich fühle wieder ihre Zunge, schmecke ihren Mund, spüre das Kribbeln in meinem Bauch und kann das alles nicht fassen. Als sie mich kurzfristig loslässt, meint sie spöttisch:

       »Du bis verspannt, Großer. Das müssen wir ändern.«

      Sie ergreift meine linke Hand und führt sie zu ihrem Busen, um dann sofort wieder mit ihrer Zunge meinen Mund zu erkunden. Ich fühle mich wie ein siebzehnjähriger Teenager, der soeben von seiner wesentlich älteren Nachbarin verführt wird. Aber Andrea schmeckt gut und sie tut mir gut. Und es ist mir letztlich auch alles egal, was jetzt passiert. Nein egal ist es mir nicht. Ich finde es toll!

      Eine Stunde später ist Andrea verschwunden. Sie ging so schnell, wie sie gekommen ist.

      »Na, bis dann, mein Großer.« Das ist alles, was sie noch rief, bevor sie in den Hausflur entschwand. Wo nimmt dieses späte Mädchen nur diese Energie her? Diesmal hatte sie bei unserem Sex auch keine Atemnot. Im Gegenteil, sie hatte mehr Puste als ich. Ist das normal, was wir hier treiben? Ich habe in der ganzen Zeit, in der sie bei mir war, nicht ein einziges Mal an Rita gedacht und ich komme mir jetzt irgendwie treulos vor. Dabei sollte Andrea so denken, sie hat ihre Wunderkugel jetzt schon zweimal mit mir betrogen. Na ja, sagen wir eineinviertel Mal.

      Musikkneipe „Fender“

      Die folgenden Tage gehen dahin, ohne dass ich etwas von Andrea höre. Finde ich das gut? Ich weiß es nicht. Wenn sie bei mir ist, dann fühlt sich das verdammt gut an. Ist sie fort, dann fühle ich mich irgendwie… ja wie eigentlich? Empfinde ich Schuldgefühle gegenüber ihrem Mann? Nein, ich denke nicht. Ich habe einmal geglaubt, Andrea ziemlich genau einschätzen zu können. Keine Sekunde habe ich mir damals zum Beispiel Gedanken darüber gemacht, dass sie etwas von einem anderen Kerl gewollt hätte. Sie war für mich das Paradebeispiel für ein anhängliches, zuverlässiges und sehr treues Mädchen. Eigenschaften, die ich mir nur bedingt zurechnen konnte. Sehr bedingt! Habe ich damals Andrea falsch eingeschätzt? Ich denke nicht. Aber wie passt ihr heutiges Verhalten in jenes Bild, das ich einst von ihr hatte? Ich versuche möglichst viele Einzelheiten aus unserer Zeit von damals abzurufen, um sie jetzt besser einschätzen zu können. Aber irgendwie vergrößern meine diesbezüglichen Bemühungen das Chaos in meinem Kopf. Ein Verhältnis mit einer sechzig Jahre alten Ex? Das ist schon ziemlich schräg, oder?

      Ich denke an Rita. Als ich sie kennenlernte, war sie ein Knaller. Lange, dunkelbraune Haare. Große braune Augen. Sehr sinnliche Lippen. Sehr lange, schlanke Beine und wunderschöne Hände. Was will man mehr? Ich werde plötzlich sehr traurig und ich verkneife mir, die Fotobücher mit den alten Bildern rauszuholen. Dann würde bei mir das „heulende Elend“ ausbrechen und das will ich nicht. Wie war der Sex mit Rita im Vergleich zu dem Sex mit Andrea? Sind solche Vergleiche überhaupt zulässig, vor allem dann, wenn der Sex mit Rita schon so lange zurückliegt? Sex ist etwas sehr Flüchtiges. Wenn Du ihn hast, dann fühlt es sich unglaublich gut an. Nein unbeschreiblich gut! Und danach? Man kann nichts von dem Gefühl konservieren. Oder ist das vielleicht nur bei mir so? Habe ich Sehnsucht nach Andrea? Ich weiß es nicht. Irgendwie fehlt sie mir und sie hat irgendetwas in mir freigekratzt, was ich nach Ritas Tod schon aufgegeben hatte. So ein Blödsinn. Andrea ist verheiratet und ich habe mich inzwischen mit meinem Witwer-Dasein angefreundet. Ich komme doch gut zurecht, oder? Jedenfalls habe ich mich darauf eingestellt, keine neue Liebe zu suchen, bis ich mich selbst in Rauch und Asche auflöse! Allerdings muss ich zugeben, dass die Sache mit Andrea bei mir eine seltsame Unruhe auslöst. Ein Gefühl, welches ich einerseits liebe und andererseits nicht akzeptieren will. Ich nehme mir nunmehr vor, alles zu tun, um mich wieder zu erden. Genau das ist es. Ich muss wieder festen Boden unter meinen Füßen spüren.

      Ich krame hastig ein paar Sachen zusammen, die man braucht, wenn man die Wohnung verlässt: Portemonnaie, Wohnungsschlüssel, iPhone und Tempotücher. Damit ist man für alle Eventualitäten gerüstet. Ich brauche dringend Tapetenwechsel und vor allem will ich ein paar junge Typen sehen, das neutralisiert ein bisschen mein eigenes Alter. Ich entschließe mich in das „Fender“ zu gehen. Das Fender ist eine Musikkneipe. Sie haben dort manchmal sehr brauchbare Bands. Zwar haben die heute am Montag kein festes Programm. Ich meine, Programm haben die schon, aber kein Festgelegtes. Heute darf jeder auf die Bühne, der Musik machen kann. Na ja, das mit dem „jeder“ ist auch nicht so ernst zu nehmen. Sie werden schon eine Vorauswahl treffen, damit nicht irgendwelche Spinner und Möchtegernmusiker auf den Nerven ihrer Gäste rumtrampeln.

      Leider beginnt die Musik immer erst stark nach einundzwanzig Uhr. Und jetzt ist es erst kurz nach zwanzig Uhr. Da fällt mir ein, dass ich heute außer Frühstück noch nichts zu mir genommen habe. Ich bin ohnehin im Essen sehr nachlässig. Auf dem Weg zum Fender mache ich einen Stopp bei einem „Döner-Laden“. Ich kenne den Laden schon sehr lange und ich weiß, dass sowohl die Zutaten als auch die Sauberkeit des Imbisses in Ordnung sind. Der Türke hinter dem Tresen begrüßt mich wie einen alten Bekannten. Ich kann mich gar nicht an den Typ erinnern. Ist das nun beginnende Demenz oder hat das Personal gewechselt? Wollen wir hoffen, dass es keine Demenz ist. Ich bestelle Döner mit extra scharfer Soße und nehme mir aus dem Kühlschrank eine große Flasche Bier. Fällt das schon unter den Begriff „vorglühen“? Wahrscheinlich eher nicht, das macht man wohl eher mit harten Sachen, oder?

      Das Fender ist bereits gut gefüllt, lediglich ein paar Barhocker sind noch frei. Ich und vor allem meine Wirbelsäule hassen es, stundenlang auf diesen lehnelosen Folterstühlen zu sitzen. Im engeren Sinne sind es nicht einmal Stühle, oder? Da entdecke ich in einer Ecke die Möglichkeit, einen Barhocker und die Kneipenwand so miteinander zu verbinden, dass mein Rücken mir das danken kann. Ein ordentlicher Platz, zumal ich von hier aus auch die Bühne gut überblicken kann. Außerdem habe ich genügend Abstand zu den Riesen-Lautsprechern, die um die Bühne herumplatziert sind. Das ist gut für meine Gehörnerven. Ich bestelle mir ein GUINESS. Leider kriegen die das hier mit der Kühlung nicht so richtig hin. Oder ist es Absicht, weil schlecht gekühltes Bier schneller getrunken wird, damit es nicht schal wird? Na wie auch immer, ein paar Grad kühler würde mir das GUINESS wesentlich besser schmecken. Ich schaue mir die anderen Gäste an, aber niemand kann meine Augen so richtig erfreuen. Der einzige Lichtblick in dieser schummrigen Kneipe ist eine der Serviererinnen. Ich stehe zwar nicht auf blond, aber diese langen blonden Haare passen perfekt zu ihrem schwarzen Outfit. Eigentlich besteht das Mädchen nur aus schwarzen hautengen Leggins und einem knallengen schwarzen Pullover. Eine wirklich süße Figur, die da pausenlos mit Getränken und Essen an mir vorbeischießt. Das Mädchen scheint über dem Boden zu schweben. Das heißt, sie berührt beim Flitzen durch die Kneipe nur mit den Spitzen ihrer Sportschuhe den Boden.

      Ich nehme das iPhone aus der Brusttasche meines Hemdes und spiele ein bisschen damit. Spielen ist vielleicht der falsche Begriff. Ich zappe durch die Nachrichten-APPS. Ich finde nichts wirklich Interessantes oder Neues. Irgendwann beginnt endlich die Musik. Die erste Gruppe, die sich auf der Bühne zusammengefunden hat, besteht aus zwei hipgekleideten