Christoph Weisser

Den Himmel vor Augen


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sieht ein neues Horn auf dessen Stirn entstehen. Froh trägt es seinen Fund nach Hause und schenkt es seinem Angebeteten.

       6.Januar

      Wie will man im Kostüm von Drei Königen

       Vor dem Christkind nichts beschönigen?!

      "Werbespott"

       Ich bin ein Eisbär mit glimmendem Fell. Ich bin so eisbärig, dass ich brenne. Wo ich hingehe, wächst die Antarktis, schwellen die Gletscher, frieren die Weltmeere, erstarren die Feuer, werden Ätiopier zu Eskimos. Aber ich lass mich nicht aufhalten von den Wüsten, den Tropen, feuerspeienden Bergen und dämpfenden Quellen auf dem blauen Planeten. Bis ich mit meiner mit Lichterketten verzierten Kühlbox zur dir in den Stall zu deiner Krippe gelange. Mit all den Fiscolinos meines Herzens für dich, zahnloses Baby, zur Nachspeise.

       7.Januar

      Mancher fürchtet sich um seine Seele

       Er fürchtet, dass sie ihm gänzlich fehle

      "Waisenkind"

       Auf der Schattentheaterbühne geht ein Kind durch die beängstigenden, unheimlich gespenstischen Silhouetten eines Waldes. Der Wind bläst fürchterlich. Da nimmt das Kind den einzigen leuchtenden Farbfleck im Bild in die Hand - seine Seele - und beginnt summend zu beten. Und allmählich gehen Farbfilter über den Scherenschnitt. Das Bühnenbild füllt sich immer dichter mit dem angenehmen Ambiente einer geborgenen, grossen Gegenwart.

       8.Januar

      Meine Reue macht dich schön

       Lass mich dich stets neu wiedersehn

      "Voll der Gnade"

       "Lass mich malen, was ich nicht wieder gutmachen kann", sagte Alfred zu Claire. Und er portraitierte sie, ganz anders, nämlich unter aller Aufmachung, mit Pinsel auf Leinen als Madonna mit Kind, beziehungsweise als Madonna als Kind.

       9.Januar

      Du bist auch als Künstlerin derart gescheit

       Wie machst du, dass es in den Bildern richtig schneit? "Mittlerin" Plötzlich hielt sie anstelle einer inneren Leere eine Glaskugel in der Hand, einen durchsichtigen, kristallenen Globus, wie wenn die Welt ihr gehörte. Gleichzeitig fiel wie eine dritte Wand zu ihr herunter und darauf begann sich ihre Stadt zu bauen. Sie schwang sich in eine Strasse und wurde mitgenommen auf eine Tour, in der sich eine Fülle von Leben bildete, wie wenn sie unbesehen immer daran teilgenommen hätte. Sie fand sich mitten drin und schnelle Bahnen verbanden sie mit Menschen, von denen sie nur geahnt hatte, ihnen ein wenig nahe zu sein. Dann aber erkannte sie auf einmal die Mutter Gottes still neben sich im Zimmer und die Kugel verschwand für immer.

       10.Januar

      Es ist herrlich, wie du tönst

       Und mein Innenohr verwöhnst

      „Byzantinischer Chor“

       Jederzeit kann er mit der Auferstehung in Berührung treten, indem er lauschend die Augen schliesst und sich mitten in einem Männerchor der byzantinischen Kirche zu stehen wähnt, der mit seinen durchdringenden Stimmen in ihm weite Bahnen von Licht nach allen Seiten hin öffnet.

       11.Januar

      Keiner spricht meinen Namen aus wie du

       Es kommt mir vor als sprächest du Zulu

       „Taufe“

      Auf dem Boden eines Bettes bildet sich flussaufwärts eine Bildschrift mit farbigen Steinen, die meinen vollständigen Namen schreiben.

       12.Januar

      Der Mensch will die Natur, als wäre sie eine Raubtier, zähmen

       Mit Methoden, für die würde sich sogar das Raubtier schämen

      „Unweit“

       Vor meiner Tür schläft ein sibirischer Tiger und ich weiss, es ist mein verzauberter Mann.

       13.Januar

      Ich war traurig und betrachte die Natur

       Da fand ich eine heisse Tränenspur

      „Die Seele“

       Ich bin mürbe und zerfahren. Da schaltet Gott das Licht seiner Augen an in mir, und alles ist schön und hell, edel und froh.

       14.Januar

      All meine Probleme hab ich hübsch verdrängt

       Nächste Operation: Jetzt werden sie versengt

       „Totems“

       Im erschöpften Zustand lege ich mich in einen gepolsterten Sarg und sehe mittels einer Deckelprojektion, wie sich ein Puma, ein Pferd, ein Bär, ein Löwe, ein Gladiator oder ein Athlet zu mir in den Sarg legen. So schlafe ich ein und erwache nach kurzer Zeit vollkommen erholt.

       15.Januar

      Würdest du mich nicht von dir aus immer wieder überraschen

       Ich glaube, ich wäre versucht, dich auf irgend eine Art zu „haschen“!

       "Art Line"

       Eine Spezialproduktereihe von ungezuckertem Nature Jogurt offenbarte beim Auslöffeln inwendig ein Einzelbild aus der Kunstserie einer jungen Malerin. Viele waren derart angetan von der Entdeckung, dass sie sich diszipliniert zur Diät entschlossen.

       16.Januar

      Fast entzweiten wir uns drüber, denn du sahst darin nur Hohn

       Ich filmte dein Klavierspiel: Gestochen scharfe Bilder, aber ohne Ton.

       „Heilende Schrift“

       Ich konzentriere mich mit geschlossenen Augen auf das Kronenchakra in der Mitte der Kopfoberseite, und es strömt goldenes Licht ein wie eine Farbinjektion in ein Reagenzglas. Die Farbe macht die Körperräume durchscheinend und verleiht ihnen einen ordnenden Glanz. Gleichzeitig füllt sie sie mit einer königlichen Zierschrift, die sich an den halbdurchlässigen Innenwänden festsetzt.

       17.Januar

      Ich besichtige nur aus einem Grund gerne Kirchen

       Du machst da immer so ein erstaunenswürdiges Gesicht, mein Dearchen

      „Animationen“

      Die heiligen Sujets der Fresken einer Kapelle werden lebendig und durchdringen mich. Nun spüre ich Gottes Nähe unmittelbarer in allem Zwischenmenschlichen.

       18.Januar

      Erst in dem Moment, wo es zerrinnt

       Stellen wir endlich fest: es war Pfeffermint

       „Weg“

       Bei einer Erkältung wähne ich mich im Tropengebiet voller Heilpflanzen und stärkenden Essenzen in der Luft.

       19.Januar

      Manchmal fährt gegen mich

       Weil ich dich liebe, ein spitz‘ger Stich

      "Entzündbare Augen"

       Meine Blicke waren so geladen, dass ich – um meine Umgebung zu schonen - mit ihnen in die einsame Bergwelt zog. Hier richtete ich sie auf Felsen, welche aufbrachen,