Rainer Seuring

Eringus, der Drache vom Kinzigtal


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      * * * * *

      Jade hat getreulich alles Eringus berichtet. „Meinst du nicht, man müsse ihr helfen?“

      „Nein, auf keinen Fall.“, lehnt Eringus ab. „Sie entwickelt sich. Sie denkt und handelt selbständig. Sie wird stolz, wie du berichtetest. Linda und ich sind uns einig, dass Magda lernen muss, sich zu behaupten. Nur wer sich selbst vorstehen kann, wird nicht vor anderen kriechen. Wir können niemanden zu den Menschen schicken, der abhängig ist und zu allem ja sagt. Sie muss aus Überzeugung unseren Wunsch vertreten. Nur so kann das Werk gelingen. Du brauchst um Magda keine Angst zu haben. Sie wird nicht verhungern und sie wird ihren Weg gehen. Ich bin mir sicher.“

      * * * * *

      Magda sitzt neben einem großen Kasten, dessen Seiten aus Netzen bestehen. Diesen schiebt sie mit der offenen Unterseite über das einzig verbliebene, unverschlossene Kaninchenloch. Dann schlägt sie mit einem Stock neben den anderen Löchern auf den Boden und macht auch sonst einen Höllenlärm. Aufgeschreckt flüchten die Nager aus dem offenen Loch und fangen sich in den Netzen. Stolz macht sich Magda daran, den Kasten zur Seite zu schieben, damit kein Tier mehr in den Bau zurück huschen kann. Nun will sie die obenliegende Klappe öffnen, um das Erste zu töten.

      „Du willst meine Kinder fressen?“

      Erschrocken dreht sich Magda um und erblickt ein Kaninchen, das größer ist als sie, ganz dicht hinter ihr. Die großen Nagezähne hängen bedrohlich über ihr. Laut schreiend rennt Magda davon. Das große Kaninchen ihr hinterher. Beide schlagen wilde Haken, wobei das große Tier immer näher kommt. Plötzlich fällt Magda ins Bodenlose. Sie ist in das immer noch offene Kaninchenloch gestürzt. Als sie auf dem Grund des Kaninchenbaus landet und nach oben blickt, sieht sie noch ein Auge des Riesennagers. Plötzlich raschelt es hinter ihr und Magda dreht sich um. Sie sieht sich zwanzig kleinen Kaninchen gegenüber. Alle mit einem großen Schlachtermesser bewaffnet. „Hilfe!“, ruft sie.

      Und dann erwacht sie. Welch ein übler Traum. Noch ganz aufgeregt schlägt ihr Herz heftig und es dauert eine Weile, bis sie sich beruhigt hat. Aber die Idee war gut. So könnte es gelingen. Gleich morgen, wenn es wieder hell wird, wird sie zum Sägewerk gehen und sich passendes Holz besorgen. Vielleicht würde man ihr auch gleich so eine Kiste bauen. Sie würde das erste gefangene Kaninchen dafür bieten. Vielleicht ginge man ja auf den Handel ein. Damit legt sich Magda wieder hin und schläft weiter.

      Tatsächlich hat man Magda gerne die Kiste gebaut, die sie sich erbeten hat. Und natürlich hat man dankend das Kaninchen abgelehnt. Für solchen Handel war Linda zuständig. Mit vielen Glückwünschen versehen strebt Magda nun wieder der Kaninchenwiese zu. Schnell hat sie die Netze um das Gestänge geknüpft. Wohl vorbereitet, Magda war schon vor Sonnenaufgang auf den Beinen, fallen nun viele Steine auf und in die Kaninchenlöcher. Magda stört sich nicht an den kopfschüttelnden Halben, die an der Wiese vorbei gehen. Sie schreit und führt sich auf, als würde sie einen Götzentanz aufführen.

      Ob es nun tatsächlich ihr Krach war oder einfach nur der einzige offene Weg aus dem Bau nach draußen, gleichwohl springt ein Kaninchen aus dem Loch und landet in Magdas Kiste. Schnell die Kiste zur Seite, grad wie im Traum, und dann den größten Stein, den sie zuvor finden konnte, darüber. Stolz öffnet Magda den Deckel, greift sich fest das Kaninchen im Genick und blickt es lange an. Dem Drang hinter sich nach dem Riesenkarnickel zu schauen, widersteht sie. Das Kaninchen blickt ängstlich zurück.

      „Mein Onkel hat immer gesagt, alle stehen für die Schuld und Dummheit des Einzelnen. Und dein Kumpel hat mich gestern geärgert und den toten Mann gespielt. Tut mir leid, ich habe Hunger.“

      Ein schnelles Knacken im Genick krönt Magdas Jagderfolg. Nun sitzt sie auf der Wiese, mit dem toten Kaninchen auf dem Schoß und weiß nicht, ob sie sich freuen oder ob sie weinen soll. Die Anspannung der letzten Tage ist von ihr abgefallen. Sie fühlt sich müde, glücklich und traurig. Es ist ein schönes Gefühl, fast wie ein Spiel, zu jagen, doch es ist unbeschreiblich, am Ende den Spielverlierer zu töten, um ihn zu verspeisen. Wohl dem, der ohne Verstand ist, der macht sich darüber keine Gedanken.

      * * * * *

      Unterdessen ist Jade fluchs zu Eringus geeilt, um ihm die freudige Botschaft des Erfolges zu überbringen. Leider gewinnt Eringus aus ihrer Erzählung den Eindruck, Jade habe da wohl doch etwas nachgeholfen; entgegen der Abmachung. Zwar beteuert Jade, es sei Magdas eigene Idee im Traum gewesen und sie habe nur danach für beruhigenden Schlaf gesorgt, doch das überzeugt den Drachen nicht sehr. Empört und zutiefst verletzt ist Jade davon geflogen. Es wird wohl einige Tage dauern, bis sie sich wieder beruhigt hat.

      * * * * *

      Das Kaninchen wird noch einige Male hin und her gewendet, während Magda versucht, sich ihrer Gefühle klar zu werden. Dann enden ihre Überlegungen praktisch: Das ist das Essen. Nun braucht sie noch Kleider. Es bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu jagen. Mit einer Schnur aus dem Flickzeug für die Netze hängt sie ihre Beute an einen Baum auf der Grenze zwischen der Wiese und einem Acker. Sie stellt die Kiste wieder auf das Loch und kontrolliert, dass die anderen Ausgänge nach wie vor verschlossen sind. Dabei klopft sie auch gleich mal mit ihrem Stock auf den Boden, um eventuell dahinter lauernde Nager in die gewünschte Richtung zu treiben. So verbringt sie den Tag mal vor, mal hinter der Hecke und gegen Abend haben sich wirklich noch drei weitere Karnickel erbeuten lassen. Beim Halsumdrehen stellt Magda an sich den Anflug einer Gewohnheit fest. Man stumpft ab.

      Jetzt sinkt die Sonne im Westen und Magda wandert mit den Kaninchen zur Dorfmitte. Sie will Linda ihre Beute zeigen und bereden, wie es nun weiter gehen soll. Kochen hat sie noch nicht recht gelernt. Ihre Arbeitskraft auf dem Feld und beim Vieh hüten war wichtiger gewesen, für den Onkel. Doch schon als sie den Fuß auf die Brücke setzt, brandet ihr großer Jubel von den Bänken her zu.

      „Hurra! Bravo! Hoch die junge Jägerin!“, und was alles gerufen wird. Überrascht bleibt Magda stehen.

      Eine strahlend lächelnde Linda kommt ihr entgegen. „Ich gratuliere, Magda. Mit so schnellem Erfolg habe ich nicht gerechnet. Komm, bück dich herab und lass dich drücken.“ Und kaum, dass sich Magda hingekniet hat, versucht die Frau des Dorfmeister, mit ihren kleinen kurzen Armen Magdas Hals zu umfassen. Es misslingt leicht, weswegen sie sich mit einem möglichst heftigen Schulterklopfen begnügt. Natürlich will auch Adalbert Eichenlaub dem nicht nachstehen und klopft seinerseits ganz heftigst auf die andere Schulter.

      „Lass uns deinen Erfolg feiern, Magda.“, spricht er. „Hier neben uns am Baum ist Platz für dich.“ Und laut und unbestimmt in die Runde der kleinen Menschen ruft er: „Bringt Magda etwas zu trinken und bereitet die Kaninchen zum Braten vor. Heute ist ein Festtag und unsere große Freundin soll diesen Tag nie vergessen.“

      Dafür bekommt er allerdings einen ordentlichen Rippenstoß von seiner Frau. Ist dies doch eigentlich ihre Sache, solches zu verkünden. Doch das breite Lächeln über alle Pausbacken Lindas zeigt, dass es diesmal nicht so ernst zu nehmen ist.

      Was folgt, ist die erste Feier Magdas bei den Halblingen und tatsächlich hat sie diesen Tag auch nie vergessen.

      Obwohl Midsommar erst vierzehn Tage vorbei ist dunkelt es schon, als Magda zu Eringus Höhle steigt. „Ich möchte dir auch gratulieren, Menschenkind Magda. Du hast die Prüfung bestanden. Sicher willst du dich jetzt ein wenig ausruhen, nach der Anstrengung.“

      „Ich danke dir, Eringus und ganz im Gegenteil. Ich habe Gefallen gefunden am Lernen. Auch wenn ich dir eigentlich böse sein müsste, weil du mich so allein gelassen hast. Es macht Spaß Neues kennen zu lernen. Ich habe mich auch schon mit Linda besprochen, ich darf sie jetzt Linda nennen“, bekundet Magda voll stolz, „und bereits morgen werde ich bei den Fischern helfen und lernen. Und dann beim Kochen, Schneidern und alles was es gibt. Man muss viel können, um zu leben. Und bei den Bauern werde ich dann bestimmt auch verstehen wie das funktioniert, mit dieser Wirtschaft auf drei Feldern. Du kannst das nicht so gut erklären. Gute Nacht!“ Damit geht sie in die Höhle, kuschelt sich in ihre Grasmulde und schläft mehr als zufrieden ein.

      Zurück bleibt ein erstaunter Drache, der im Geiste