Rainer Seuring

Eringus, der Drache vom Kinzigtal


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schnell danach greifen. Sie legt sich einfach ins Gras zum schlafen, damit sie nicht den weiten Weg von der Höhle her machen muss.

      * * * * *

      Geduldig hat Jade Magdas Treiben beobachtet und eilt nun, Eringus Bericht zu erstatten. Als sie endete umspielt ein leichtes Lächeln seinen Mund, was diesmal auch gar nicht gefährlich aussieht.

      * * * * *

      Der Wille, früh auf den Beinen zu sein, lässt Magda unruhig schlafen. Dauernd wird sie wach und stellt enttäuscht fest, dass es immer noch dunkel ist. Endlich dämmert es und Magda will sich gerade auf den Weg machen, vor der Hecke die anderen Löcher zu verschließen, als sie die Bescherung sieht: Einige der Löcher haben keinen Stein mehr darauf. Dort, wo die Steine in die Löcher gerutscht waren, haben die Kaninchen neue Gänge gegraben, um an dem Hindernis vorbei zu kommen. Tiefe Enttäuschung steigt in Magda hoch und sie ist den Tränen nahe. Soviel Mühe mit den schweren Steinen und alles umsonst. Sie hat gestern zu langsam gearbeitet. Sicher sitzen diese Mistviecher vor der Hecke und knabbern fröhlich am Löwenzahn. Dazu fällt ihr im Moment des Gedankens eine neue Idee ein. Kaninchen – Löwenzahn fressen – mit Futter anlocken – mit Stock erschlagen – genau.

      Sofort rennt sie los und sucht zuerst nach einem dicken langen Stock. Den findet sie vor der Hecke, die sie inzwischen problemlos passieren kann, alles reine Übungssache. Natürlich sind die Kaninchen bei ihrem Erscheinen sofort wieder in ihrem Bau verschwunden. Egal, ihr kommt wieder raus, denkt sich Magda, und dann gibt’s auf die Ohren. Dann pflückt sie noch schnell eine größere Menge Löwenzahn und legt diesen vor eines der Kaninchenlöcher. In Reichweite des Stockes setzt sie sich gegenüber dem Löwenzahn auf der anderen Seite des Loches nieder und wartet geduldig.

      Ihre Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, denn natürlich können die Kaninchen sie immer noch riechen. Und so steht die Sonne schon recht hoch, als dann doch endlich an dem bewachten Loch eine neugierige kleine Schnauze vorsichtig heraus schaut. Ganz langsam greift Magda nach dem Knüppel, den sie nach einiger Zeit neben sich gelegt hatte. Er ist recht schwer. Das Kaninchen dreht die Ohren, schnuppert, und hoppelt ein wenig heraus. Magda bringt es fertig, ganz langsam die Arme mit dem Stock hinter dem Rücken zu erheben, um das Tierchen nicht zu verscheuchen. Lauernd blickt das Kaninchen zu Magda, Magda lauert zurück. Dann spannt sie ihren Körper, um ganz schnell und mit voller Wucht das Tier zu treffen. Sie schlägt zu.

      Und vorbei. So schnell ist sie nicht, stellt sie, heute schon zum zweiten Mal, enttäuscht fest. Wie ihr Magen ihr klar macht, muss sie sich etwas Besseres einfallen lassen. Just in diesem Moment strebt ein Halbling an ihr vorbei zur Hecke. „Was machst du hier, Große?“

      „Ich versuche, Kaninchen zu jagen.“ In Magdas Stimme schwingt Traurigkeit mit.

      „Schade, dass ich dir nicht helfen kann. Von der Jagd verstehe ich nichts. Ich bin ein Fischer, wir arbeiten mit Netzen, nicht mit Keulen.“, sprach´s und geht seines Weges. Dabei hängt ihm ein Netz für die Fische auf dem mit Lederdecke geschützten Rücken, das bei jedem Schritt hin und her baumelt. Magda blickt versonnen hinterdrein.

      In Jade keimen so langsam Bedenken, dass Magda dieses Problem wohl lösen würde. Von ihrem Beobachtungsplatz in der Hecke hat sie alles verfolgt und die oft lange Leere in den Gedanken der jungen Frau bewundert. Dass man so lange nicht denken kann …

      Umso überraschter ist sie von dem leuchtenden Gedankenblitz, der Magda nun förmlich vom Boden hoch reißt und zum Dorf rennen lässt. „Linda!“, ruft Magda, kaum dass sie den Dorfrand erreicht hat, weiß man doch nicht, wo die Dorfmeisterin steckt. „Linda, ich meine Frau Malve!“

      Diesmal blickt Linda Malve aus der Mühle heraus. „Ich bin hier! Was gibt es!“

      Magda biegt in der Dorfmitte rechts ab und eilt zur Mühle am Dorfgraben hin. Etwas außer Atem sagt sie: „Ich brauche Netze, Frau Malve. Mindestens sechs.“

      „Wozu brauchst du Netze? Willst du nun doch zu den Fischern?“

      „Nein, mit den Netzen will ich Kaninchen fangen. Zum Erschlagen sind sie zu schnell für mich. Aber wenn ich die mit dem Netz fange, können die mir nicht mehr weg rennen.“

      „Na gut, versuch es. Geh rüber, auf die andere Dorfseite. Das Haus am nächsten zum Bach, dort sind die Sachen verwahrt, die die Fischer brauchen. Frag, was man dir geben kann.“ Damit geht Linda wieder zurück in die Mühle. Aus dem Dunkel heraus blickt sie Magda hinterher und lächelt. Sie macht sich, denkt sie.

      Derweil eilt Magda zum Fischerhaus. Die Tür ist zu. Den Namen desjenigen, der hier wohnt, kennt sie nicht. Magda traut sich und klopft ganz zart an die Tür. „Jemand zu Hause?“

      „Oh! Guten Tag, große junge Frau. Was wünschst du?“, fragt der kleine alte Mann und lächelt sie freundlich an.

      „Verzeiht!“, sagt Magda. „Frau Malve schickt mich. Ich brauche große Netze; bestimmt sechs Stück.“

      „Das tut mir aber leid. Die Fischer sind mit allen Netzen am Fluss. Zurzeit habe ich nur die kaputten hier, die ich flicken will.“

      „Dann gebt mir doch bitte davon. Ich werde sie sowieso zusammen knüpfen müssen. Da kann ich sie auch gleich reparieren.“ Magda ist besessen von ihrer Idee und hat es eilig. Was für Fische fangen die Halben eigentlich mit solch kleinen Netzen? Eine Forelle passt da aber nicht hinein, stellt Magda fest. Kaum hat sie die Netze und Flickzeug in Händen, flitzt sie schon wieder zu den Kaninchen. Diese hatten inzwischen ihre Abwesenheit genutzt und ein kleines Mahl innerhalb der Hecke genossen. Mit Magdas Erscheinen sind sie sofort wieder im Bau verschwunden. Jetzt gilt es, den neuen Plan umzusetzen. Magda besieht sich die Schäden der kleinen Fischernetze und beginnt mit der Reparatur. Eine ganz schlimme Fummelarbeit, denn die Stricke, die die Halblinge verwenden sind für Magda feine Fäden. Trotzdem sind die Netze an sich sehr haltbar. Schließlich hat sie es geschafft und hält nun ein Netz in der Hand, das die benötigte Größe besitzt. Mit Mühe bricht sie sich dann heimlich eine lange Weidenrute, hat zum Glück keiner der Halben gesehen, und knüpft die Netze an die Rute, welche ihrerseits im Kreis gebogen an einen stabilen langen Stock gebunden ist.

      Nun durchquert sie die Hecke. Absichtlich ein gutes Stück von den Kaninchenlöchern entfernt, damit die Tierchen nicht gleich wieder verschwunden sind. Dicht an die Hecke gedrückt schleicht sie zum Kaninchenbau, auch dicht an Jade vorbei, die sie aber nicht bemerkt, und kommt so von hinten, damit sie den Fluchtweg in den Bau versperrt. Als die Kaninchen die Gefahr bemerken, rennen sie hakenschlagend los. Magda mit erhobenem Netz hinterher. Sie schlägt zu …

      Und wieder nichts. Das Netz hat das Problem der Geschwindigkeit natürlich nicht behoben. Kaninchen sind fix. Der Schlag ins Leere aber hat eines davon veranlasst, einen Haken zu schlagen. In die falsche Richtung. Aus vollem Lauf rennt es an einen Baum am Waldrand und bleibt liegen.

      „Ach du armes Kerlchen. Was hab ich getan?“ Von der Jagd völlig außer Atem eilt Magda, das Tier aufzuheben. Sie ist erschüttert, dass sie einem Lebewesen Leid zugefügt hat. Sie hebt es auf, nimmt es auf den Arm und streichelt es. Da beginnt das kleine Kerlchen, das nur bewusstlos war, zu zappeln, springt ihr aus den Händen und verschwindet im Wald.

      „Du kleines Miststück! Na warte, wenn ich dich kriege.“ Magda schimpft in Gedanken mit sich selbst. Wenn ich dich kriege. Wie dumm von mir.

      Als Magda mit dem Netz hinter den Kaninchen her jagte, schrie sie laut. Erstaunt war eine Gruppe Halblinge stehen geblieben und hatte dem Treiben verwundert zugesehen. Nachdem die Jagd erfolglos zu Ende war, waren sie laut lachend weiter zum Abendessen gegangen und hinter der Hecke verschwunden.

      Die Aufgabe, selbst für ihr Essen zu sorgen und das Problem mit eigenen Ideen zu lösen, lässt Magda geistig reifen. Und es weckt auch ihren Stolz und ihre Scham. Nein, heute will sie nicht zu Linda betteln gehen, um Essen zu bekommen. Den kleinen Keksfressern wird sie es noch zeigen, beschließt sie trotzig. Hungrig geht nun auch sie wieder in den Schutz hinter der Hecke. Sie lässt sich auf der Wiese nieder. Sehnsüchtig lauscht sie zum Dorf hin, wo die kleinen Leute den Abend und das vollbrachte Tagwerk fröhlich feiern.