Rainer Seuring

Eringus, der Drache vom Kinzigtal


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zuvor. „Lass uns zu Eringus zurück gehen. Vielleicht kann er mir helfen.“

      „Es tut mir leid, Magda. Wirklich. Aber fliegen bringt eine andere Sicht als gehen. Vielleicht hätte ich fliegen sollen. Dann hätte ich es bestimmt wieder gefunden, vielleicht.“

      „Sei es, wie es ist. Wo geht es zu Eringus?“

      „Oh!“ Auch Jade hat den Weg verloren. „Ich hab nicht aufgepasst. Das ist mir ja noch nie passiert. Einen Moment, bitte.“ Sie konzentriert sich auf den immer noch schlafenden Drachen. „Er schnarcht sogar im Traum. Das ist leicht. Jetzt erst einmal wieder zurück. Umdrehen und los.“

      Magda kämpft sich ihren Weg durch den Wald, denn Jades Gedankenorientierung kennt nur den geraden Weg und nimmt keine Rücksicht auf umgestürzte Bäume und Unterholz. Ab und zu flüchtet ein Eichhörnchen von ihnen aufgeschreckt. Ein Eichelhäher schimpft über die Ruhestörung. Eine Amsel schilt mit ihnen aus Angst, ihrer Brut könne etwas geschehen.

      „Bleib mal stehen.“, sagt Jade. „Ich höre etwas.“

      Augenblicklich steht Magda still und rührt sich nicht. Sie lauscht in den Wald. Da ist nichts Besonderes zu hören.

      „Die Bienen. Dort!“ Jades feines Gehör hat die kleinen Brummer wahrgenommen, obwohl Magda nicht gerade wenig Lärm bei ihrem Marsch durch den Wald gemacht hat. Sie hat jetzt auch gelernt, Magda gegenüber mit ihren Anweisungen genauer zu sein. „Rechts oben, in der Buche. Der zweite Ast von unten auf der linken Seite. Da ist der Stock. Kannst du ihn sehen?“

      Angestrengt versucht Magda den richtigen Baum zu finden. „Eine Buche. Aha!“

      Jade beginnt zu steuern. „Dreh dich ein wenig nach rechts, reicht, gerade aus, etwa dreißig Schritte.“

      Hier muss man nun zugeben, dass wahrscheinlich kaum ein Mensch dies hätte finden können. Es handelte sich um eine ganze Buchengruppe und der gesuchte Baum war mitten drin. Der fragliche Ast wurde zudem noch von davor stehenden Bäumen stark verdeckt. Vom Bienenstock war kaum ein Zipfel richtig zu erkennen. Magda stolpert in die angegebene Richtung, bis sie auch die Bienen sehen und hören kann. Jetzt kann sie ohne weitere Anweisung ihrem Frühstück näher kommen. Doch schon zeigt sich das nächste Problem. Wie kommt man an den Honig? Der Stock hängt hoch über ihr. Suchend blickt Magda sich um, ob sich nicht ein abgebrochener Ast fände. Aber genau hier lag nichts und auf der angrenzenden Wiese gleich gar nichts, was man hätte benutzen können. Immer so! Wenn man was braucht, ist es nicht da.

      „Was treibt ihr denn dort drüben?“ Eringus ist inzwischen erwacht und hat die zwei am Rand der Lichtung erblickt.

      „Magda hat Hunger.“, lautet Jades Antwort. „Irgendwas muss das Kind doch auch essen. Sie ist kein Drache und das Ungeborene in ihrem Bauch auch nicht. Hier drüben ist ein Bienenstock. Sie möchte gerne Honig.“

      „Au ja, bitte. Hilfst du mir?“ ruft Magda.

      „Wer etwas essen will, sollte dafür auch arbeiten. Ist das nicht eine Regel, bei euch Menschen?“, fragt Eringus zurück. „Wie, denkst du, kommst du jetzt an den Honig?“

      „Lass mich überlegen. Wenn ich einen langen Ast finde, kann ich ihn herunter schlagen.“

      „Gut, dann ist er unten. Und dann?“

      „Oh, ich vergas, dann sind die Bienen ja ganz aufgeregt und fliegen ganz wild. Vielleicht werde ich gestochen. Das ist nicht angenehm. Mh. Wenn ich es fertig bringe, kann ich ein Feuer unter dem Bienenstock machen und die Bienen …“

      „Schon gut, ich helfe dir.“ Die Vorstellung, dass schon wieder Feuer in seinem Wald gelegt wird, gefällt Eringus natürlich nicht. „Zu deinem Glück ist es nur ein kleiner Bienenstock. Ich richte also keinen allzu großen Schaden an. Warte.“ Er blickt starr auf den Stock und Magda glaubt, ein feines Singen zu vernehmen. So ein feiner Ton von solch einem mächtigen Wesen? Unglaublich. Noch unglaublicher ist der Erfolg. Alle Bienen fliegen aus dem Nest und sammeln sich zwei Äste weiter darüber. Nun öffnet Eringus ganz vorsichtig mit einer seiner Krallen den Stock und entnimmt ein Stück daraus. Das reicht er Magda. „Hier, das muss reichen. Die kleinen Bienen werden genug Arbeit haben, den Schaden wieder zu richten.“

      Gierig macht sich Magda über die Waben her. Ihre Finger sind schnell ganz klebrig und auch ihr Mund bekommt eine interessante Färbung rund herum.

      „Jetzt aber los.“, mahnt Eringus. „Die Bienen werden nicht mehr lange warten und dann wird dein kleines Schleckermäulchen sicher ein beliebtes Angriffsziel für die Stacheln werden.“ Er wendet sich um und geht los und weil Magda immer noch stehen bleibt, ruft er: „Achtung, die Bienen kommen!“

      Jetzt beginnt Magda zu rennen. Sie bleibt erst stehen, als sie neben Eringus steht. Sie blickt sich um und sieht, dass die Bienen immer noch über ihrem Nest fliegen und keine Anstalten machen, die Räuber zu verfolgen.

      „Das war gemein.“ Sie leckt sich die Finger und schmatzt. „Ich komm ja schon mit.“

      Auch Jade war eben erst einmal aus dem vermeintlichen Angriffsweg der Bienen geflogen. Sie traut keinem Stachelträger oder wer auch immer pieksen kann. Jetzt aber grinst sie schon wieder. Sie kennt Eringus Scherze.

      „Los jetzt,“, bestimmt der Drache, „wir haben noch ein Stück Weg vor uns. Unterwegs solltest du aber ein Bad nehmen, Magda.“

      „Baden? Warum? Ich hab nur die Kleider, die ich am Leib trage. Soll ich nass oder nackt weiter laufen?“

      „Ich fürchte, das muss wohl so sein. Du bist mit Honig verschmiert. Gesicht, Hände und Gewand, einfach alles an dir ist voll davon. Sind es keine Bienen, so ziehst du andere Tiere an, die Gefallen an Süßem finden. Da hast die Wahl, entweder nass und unbehelligt oder umschwirrt von Stechfliegen und anderen Plagegeistern der feuchten Gebiete. Ich denke, du wirst dich richtig entscheiden.“ Bei diesen Worten hat Eringus keinen Schritt langsamer gemacht. Er ist schon bemüht, so zu gehen, dass Magda ihm folgen kann, doch jetzt muss die kleine Frau sich sputen, hinterher zu kommen.

      Als sie endlich wieder ziemlich dicht an Eringus heran ist, ruft sie: „Du bist zu schnell, Eringus. Ich komme ja kaum mit. Haben wir es so eilig?“

      „Nicht wirklich eilig, auch wenn wir Zeit brauchen werden, bis du ins Wasser kommst. Doch ich bin mir sicher, du wirst mich bald überholen.“ Eringus lächelt schelmisch, sagt aber nicht, wo es hinein gehen wird. Sehr zügig für Magdas kurze Beine nimmt er seinen Weg. Zielstrebig geht er voraus und Magda folgt. Zumindest wählt er den Pfad so, dass sie sich nicht über Hindernisse kämpfen muss. Zunehmend aber bekommt sie Begleitung von Schnaken und Libellen und anderem fliegenden Volk. Angelockt vom süßen Honig und dem Duft, den sie verströmt, wird der Schwarm um Magda immer größer. Im gleichen Maße beginnt Magda, sich der gierigen Flieger zu erwehren. Alle wollen von dem Honig, den Magda mit sich herum trägt.

      Als auch noch Bienen oder Wespen sich dazu gesellen, wird es Magda zu viel. „Ist es noch weit, bis zum nächsten Bach?“

      „Nur noch wenige Schritte. Da vorne …“, kann Eringus noch beginnen. Dann ist Magda auch schon an ihm vorbei und springt in das kleine Wasser, das kaum ihre Hüften erreicht, als sie drin sitzt. Wie wild wäscht sie sich das Gesicht, vornehmlich den Mund, und Hände. In ihrer Not versucht sie, unter zu tauchen, was ihr aber nur mäßig gelingt. Heftig rubbelt sie jeden Fleck aus ihrer Tunika, gleich ob Honig oder sonstigen Ursprungs. Letztendlich haben ihre Bemühungen Erfolg; die Plagegeister verschwinden. Triefend nass, aber zufrieden, strahlt sie Eringus aus dem Bach an. „Punraz sei Dank. Jetzt ist mir wohler.“

      Amüsiert sieht Eringus sie an. „Ach, dafür hast du einen Gott gebraucht? Hat er dich gewaschen oder warst du es selbst?“ Eringus macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen den Götterglauben. „Ich sah keinen anderen außer dir hier.“

      Fragend blickt Magda ihn an, bis sie begreift, worauf er sich bezieht. „Du weißt schon, wie ich das meine. Das sagt man doch so.“

      „Ja ja, einfach