Rainer Seuring

Eringus, der Drache vom Kinzigtal


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sein. Gold und Edelstein gehören nicht zu Eringus bevorzugten Dingen. Also kurz gesagt: Die Höhle ist leer.

      „Such dir ein Eckchen, wo du schlafen möchtest. Eventuell werde ich heute vor der Höhle ruhen, mal sehen. Ich habe viel nachzudenken.“

      Magda sieht sich um. „Hier wohnst du?“

      „Ja, wenn ich im Dorf bin, dann schon.“

      „Hier stinkt es ja gar nicht.“

      Überrascht fährt Eringus Kopf herum. Er ist erschüttert über diese Einfalt. „Magda,“, beginnt er gezwungen geduldig, „ich bin kein Tier und das hier ist kein Saustall.“ Er wendet sich ab und geht vor die Höhle. Irgendwo im Hintergrund hört man Jades Kichern.

      Lehrzeit

      Früh am Morgen wird Magda wach. Sie hat in der Höhle eine Mulde genutzt, darin Gras gesammelt und sich zur Ruhe gebettet. Die Nacht hat ihr gut getan und auch ihrem Kind, wie sie zu spüren glaubt. Auch die Sonne ist gerade aufgestanden, wie es scheint. Der große Baum in der Dorfmitte wirft noch einen langen Schatten nach Westen. Unten sieht sie die kleinen Menschen auf ihren Bänken fröhlich beim Frühstück sitzen und hört ihr Lachen und murmelnd die Gespräche, die sie führen. Dann vernimmt sie deutlicher die Stimme von Linda Malve, die offensichtlich wieder die Aufgaben neu verteilt. Kaum hat sie geendet klatscht sie in die Hände und alles geht auf die Felder oder durch die Hecke, um dem Tagwerk nachzugehen.

      „Kann ich auch etwas zu essen haben?“, fragt Magda.

      Eringus hebt den Kopf und blickt sie an. „Eine gute Frage, Mädchen. Eine sehr gute Frage.“

      Magda nimmt das als Lob und freut sich: „Gell, ich bin nicht so dumm?“

      „Nein, das bist du nicht.“ Was hätte der Drache auch sonst antworten sollen. Innerlich allerdings schüttelt er verzweifelt den Kopf. Das wird nie was, denkt er sich. Laut aber sagt er: „Darüber mache ich mir schon die ganze Nacht Gedanken. Sicher können dir die Halblinge für eine kurze Zeit Essen geben. Doch solltest du dafür auch etwas tun, um es dir zu verdienen. Nur frage ich mich, was? Im Dorf selbst kannst du nicht viel helfen. Du passt nicht in die Häuser. Das Vieh hüten bringt zu viel Unruhe. Die Tier sind keine Großen gewohnt. Sie würden scheuen, aus den Weiden ausbrechen und über die Felder fliehen. Auf den Feldern kannst du nicht helfen, weil du nicht mit den kleinen Hacken und Schaufeln arbeiten kannst. Mit deiner Kraft machst du das zarte Handwerkszeug kaputt. Eben diese Kraft kann man hier aber auch nicht nutzen. Vielleicht später bei der Ernte, wenn es gilt, Strohballen oder so in die Scheunen zu bringen. Ich werde also wohl mit Linda reden, damit du vor der Hecke bei den Waldarbeiten hilfst. Traust du dir das zu?“

      „Sicher, Eringus. Ich bin es gewohnt, schwer auf dem Feld zu arbeiten. Sehr viel anders wird die Waldarbeit wohl auch nicht sein. Und wenn ich schon so viel stärker bin, als die Halben, werde ich sicher mehr leisten können als sie.“ Magda fühlt sich selbstsicher und überlegen. Sie nimmt die Halben nicht für voll.

      „Hier gibt es aber kein Werkzeug oder ähnliches für dich. Du wirst alles mit bloßer Hand tun müssen; das ist dir klar?“

      „Klar!“

      „Gut. Dann geh hinunter zu Linda und frag nach Essen und auch nach Arbeit. Dazu brauchst du mich doch nicht. Dann kann ich weiter nachdenken. Linda wird sich freuen, dass du dich an der Gemeinschaft beteiligen willst. Ach ja, bevor ich es vergesse: Du kennst noch die Worte, um das Dorf wieder betreten zu können?“

      Getreulich wiederholt Magda die beiden Sprüche, die Dank Eringus eindringlichem Vortrag in ihrem Kopf hängen geblieben sind. Dann geht sie zum Dorf.

      „Jade?“, fragt Eringus einfach so ins Leere. Auch wenn er die Traumfee sehen kann, wenn sie in seiner Nähe schwebt, macht er sich nicht die Mühe, nach ihr zu suchen. Entweder ist sie da oder nicht. Jetzt ist sie da.

      „Ist schon klar. Ich werde mich ganz unauffällig in ihrer Nähe aufhalten und schauen, dass ihr nichts passiert. Bin ich dann ein Schutzengel?“ Lachend folgt sie Magda, während Eringus den beiden nach sieht.

      Magda zieht es vor, an der Hecke entlang zum Dorf zu gehen, wo der Weg auch für sie breit genug ist. Nun steht sie vor der Brücke. Bedenklich blickt sie auf das wohl zierliche Bauwerk. Natürlich ist die Brücke breit genug, damit fünf Mann nebeneinander darüber gehen können. Allerdings nur für die kleinen Männer gerechnet. Zum Sprung ist der Graben ein wenig zu breit, auch wenn es nur knapp vier Fuß sind. Doch zum nächst gelegenen Haus ist es auch nicht viel weiter. Springt sie falsch, fällt sie vielleicht auf das Haus drauf. Das wäre ein sehr schlechter Anfang. Es bleibt nur der Weg über die Brücke. Vorsichtig setzt Magda einen Fuß darauf und belastet diesen ganz langsam. Dabei lauscht sie, ob eventuell ein verdächtiges Knacken zu hören wäre. Doch die Brücke hält auch ihr Gewicht aus. Die Halben leisten gute Arbeit und Magdas Respekt vor ihnen wächst. Auf ihrem Weg zu den Bänken hat sie Gelegenheit, sich die Häuschen aus der Nähe anzusehen. Diese Bauweise ist ihr neu. Sie kennt nur die Lehmhütten der Bauern und das feste Haus des Grafen. Hier scheint es auch Lehm mit Stroh zu sein, doch den hat man zwischen ein sonderbar verschachteltes Gerüst aus Holzbalken geschmiert. Dadurch bekommt jede Hauswand ein anderes Aussehen. Auch wurde wohl dem Lehm noch irgendetwas bei gemischt, denn es gibt braune, rötliche und auch helle Häuser. Kleine Fensterchen lassen Licht ins Innere, wenn die Läden offen sind. Die Dächer sind gleich. Jedes dick mit Stroh abgedeckt und so weit an den Seiten herunter gezogen, dass es fast den Boden berührt. Nur über Türen und Fenstern wurde in schwungvollem Bogen das Stroh ausgeschnitten. Vorn und hinten ist je eine Tür.

      Nun steht Magda vor den Bänken und hat das nächste Problem. Wo ist Linda zuhause? Die Malve als Blume kennt sie nicht (wobei diese auch im Dorf nicht gepflanzt ist) und ein besonderes Haus, wie es vielleicht einem Dorfmeister zustehen würde, sieht sie auch nicht. „Frau Malve!?“ Etwas anderes als zu rufen, fällt ihr nicht ein. Vermutlich hätte sie auch gar nicht an der Tür klopfen können. Bei einem Häuschen, das nur bis etwa zu den Hüften Magdas reicht, muss man sich ordentlich bücken und es besteht durchaus die Gefahr, dass die Tür eingeschlagen wird. Rufen war einfach das Sicherste.

      „Ja, mein Kind? Was möchtest du?“ Linda steht hinter ihr. Sie war eben in der Bäckerei, damit die Brote für das Abendessen ausreichend und gut vorhanden waren. Die Dorfvorsteherin kümmert sich immer um alles und jeden. Alle Werk- und Arbeitsstätten, wie Schneiderei, Schlachterei, Holz- und Sägewerk oder auch eben die Bäckerei, liegen außerhalb des Dorfes auf der anderen Seite des Grabens. Magda passierte sie auf ihrem Weg zur Brücke.

      Die Frühstücksfladen waren ein wenig hart geraten und zu wenig. Darum hielt Linda es für ihre Aufgabe, mit den Bäckern ein ernstes Wörtchen zu reden. Als sie heraus kam, stand Magda gerade vor dem Übergang. Linda hatte Magda zugesehen, wie sie vorsichtig über die Brücke ging und sich gefreut, dass das große Mädchen doch mit soviel Vorsicht ans Werk ging.

      „Oh, da sind sie ja. Eringus schickt mich. Ich habe Hunger und ich soll nach Arbeit fragen. Er meint, ich könnte bei den Waldarbeiten helfen und mir damit mein Essen verdienen.“

      Linda macht dabei kein sehr glückliches Gesicht. Natürlich hat sie so etwas erwartet. „Kind, wie sollen wir dich satt bekommen? Wie heißt du eigentlich?“

      „Verzeiht, ich bin Magda.“

      „Gut, Magda. Dann zunächst erst einmal einen guten Morgen zu wünschen.“

      Magda wird rot vor Scham, weil sie Linda nicht gegrüßt hat.

      „Tja, mit Essen ist das so eine Sache.“, fährt Linda ungerührt fort. „Wir können leicht uns selbst versorgen. Doch du wirst bestimmt deutlich mehr essen, als vier von uns. Das geht auf die Dauer nicht. Auch wenn du für unser Dorf arbeitest und uns hilfst, wird das Essen dadurch nicht mehr. Was mach ich nur mit dir?“ Hilfe suchend blickt sich Linda um, sieht aber nur Ob, der am Graben sitzt und angelt. „Nein, das geht nicht.“, meinte sie leise zu sich selbst. „Wenn du schon arbeitest, soll deine Arbeit auch