Rainer Seuring

Eringus, der Drache vom Kinzigtal


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atmete ganz tief durch und antwortete stoßartig: „Ja.“

      Langsam öffnet Eringus sein linkes Auge und blickt durch die Blätter eines kleinen Bäumchens. Magdas Augen wollen anscheinend die gleiche Größe wie das Drachenauge erreichen. Als Sie nun immer noch nicht zu schreien anfängt, dreht Eringus ein wenig seinen Kopf und blickt auch mit dem zweiten Auge zu Magda. Stocksteif steht sie da. Unfähig, sich zu rühren.

      „Es scheint zu klappen, Jade.“ brummte Eringus und erhebt sich zu voller Größe. In gleicher Geschwindigkeit hebt sich auch Magdas Blick und Kopf, bis dieser im Nacken liegt. Dann kippt sie mit einem Seufzer rücklings um.

      „Oder auch nicht!“ piepst Jade. „Solltest du nicht warten? Hatten wir nicht ausgemacht, dass ich dich langsam vorstelle? Du Trampel!“, schimpft Jade und schwebt herab auf Magdas Brust. „Du hast Glück, ihr Herz schlägt noch. Zumindest das hat keinen Schaden genommen. Ich hoffe für dich, dass auch ihr Verstand heil geblieben ist.“

      Langsam kommt Eringus zwischen den Bäumen hervor. Dabei bewegt er sich so bedacht, dass auch nicht ein Blatt vom Baum fällt. Er weiß, wie sehr seine kleinen Freunde alle Pflanzen lieben. Gerade als er den halben Schritt näher kommt, öffnet Magda wieder die Augen. Ihr Blick, noch leicht verschwommen, trifft auf Eringus, welcher nun versucht, eine menschliche Reaktion nachzuahmen; er grinst.

      Natürlich sieht das bei einem Drachen absolut nicht freundlich aus. Im Gegenteil: Wer die Reihen gewaltiger Drachenzähne in diesem riesigen Maul erblickt, denkt mit Sicherheit nicht an ein freundliches Lächeln. Magda, die ihren Kopf leicht hebt, um nach der Ohnmacht besser sehen zu können, stöhnt nur tief und sinkt wieder in die schützende geistige Umnachtung zurück.

      „Ich glaub´s doch nicht. Jetzt reißt du auch noch dein Maul auf. Das kann doch nie was werden.“ Jade ist sehr ungehalten und dreht Eringus empört den Rücken zu. Um das zu sehen, müsste man allerdings den scharfen Blick eines Drachen haben. Zu Magda gewandt flötet Jade: „Magda, wach auf. Es ist alles gut. Er macht dir doch nichts. Magda!“

      „Jetzt reg dich nicht so auf. Ich kriege das schon hin.“, brummt Eringus zurück. Er senkt seinen Kopf ganz dicht zu Magda hinab. In seinem zartesten Brummen flüstert er: „Magda. Ich fresse dich nicht. Du kannst die Augen aufmachen.“ Dabei öffnet er ganz leicht sein Maul und kitzelt mit den Spitzen seiner gespaltenen Zunge ganz sanft Magdas Gesicht.

      Ist es nun das Kitzeln mit der Zunge oder die damit verbundene Feuchte im Gesicht, gleichwohl schlägt Magda die Augen wieder auf. Mühsam richtet sie sich auf und sitzt benommen auf dem moosigen Waldboden. In gleichem Abstand schwebt immer noch Eringus´ Maul vor ihr. Nahezu in einer Bewegung hebt Magda zuerst den Blick, dann den Kopf und dann ihre kleine Faust. Sie holt aus und schlägt mit aller Kraft ihres kleinen Körpers mit flacher Hand Eringus auf die Nase. So, als wolle sie jemandem eine Ohrfeige verpassen. Erschreckt von ihrer eigenen Reaktion wirft sich Magda auf den Bauch. „Verzeiht mir großer Wodanaz.“

      Danach herrscht Stille. Man meint, der Wald und all seine Bewohner, der Wind, die Sonne, der Bach, alles hielte den Atem an. Eringus hebt schnell seinen Kopf und blickt mit staunenden Augen auf Magda herab. Dann gluckst es in ihm. Und es gluckst immer doller, bis es schließlich aus ihm heraus bricht. Eringus lacht. Er lacht so schallend, dass die Bäume sich schütteln und ein einsamer Wanderer in der Ferne erstaunt in den blauen Himmel blickt und sich wunderte, wo da wohl ein Gewitter versteckt sei. „Du hast recht, Jade, sie ist ein Recke.“

      * * * * *

      Es hat zwar noch einige Zeit gedauert, doch ganz langsam hat sich Magda daran gewöhnt, diesen Koloss neben sich als verständiges und, für sie, ungefährliches Wesen zu sehen. Nachdem sich Eringus von seinem Lachanfall erholt hat, macht er aber sofort eines klar: „Ich bin kein Tier!“ Seine weitschweifigen Ausführungen und Abgrenzungen zu Tieren bezüglich Instinkt, Verstand, Intelligenz, Sprache und so weiter hat Magda mit unverständigem Blick über sich ergehen lassen. Mit dem Resümee: Drachen sind keine Tiere kann sie etwas anfangen. Eringus, der sich dabei so richtig in Fahrt geredet hat, merkt erst am Ende, dass seine Feststellungen und Darlegungen bei Magda völlig ins Leere gehen. Sie kann ihn nicht verstehen.

      „Du bist wirklich nicht Wodanaz, unser großer Kriegsgott?“ Magda ist anfangs der festen Meinung, Eringus sei die Fleisch gewordene Erscheinung des nordischen Gottes.

      „Nein, bin ich nicht. Es gibt keine Götter.“

      „Das glaub ich dir nicht. Meine Großmutter hat es von ihrer Großmutter und die von; ach keine Ahnung. Sie hat mich gelehrt, welcher Gott wofür gut ist. Es gibt dich und Punraz und Teiwaz und Frijo und Fullo, die hat mich bedacht, obwohl ich noch gar nicht um ein Kind gebeten habe, und …“

      Hier unterbricht sie Eringus mit dem gelangweilten Einwand: „Nochmal: Ich bin kein Gott und es gibt überhaupt keine Götter.“

      „Einen Gott muss es aber geben. Davon hat der Mönch, mit dem ich gekommen bin, gesprochen. Der hat auch einen und er hat sehr überzeugt gewirkt.“, beharrt Magda.

      „Glaub, was du willst.“, erwiderte Eringus missmutig und übersieht Jades Grinsen. „Die Diskussion will ich hier und jetzt nicht weiter führen.“

      „Kannst du mir dann nochmal erklären, wofür du mich brauchst, Eringus?“ Auch das hat er Magda schon erklärt. Doch die einfache junge Frau ohne jegliche Bildung als die, die ihre ebenso unwissende Großmutter ihr geben konnte, ist nicht in der Lage, seinen umfänglichen Erklärungen zu folgen.

      „Muss ich ja wohl, sonst kannst du mir nicht helfen, wenn du nicht verstehst, worum es geht. Also: Ich habe kleine Freunde, die Halben, die sind sehr um die Pflanzen und Bäume bedacht. Ja? Und die leiden immer, wenn die Menschen für Ihre Felder die Wälder und Wiesen niederbrennen. Ja? Und wenn die Menschen dann weiter ziehen, bleiben die Äcker ungeschützt durch Bäume liegen und verwüsten. Das sieht hässlich aus und sie sind dann traurig und haben viel Arbeit, denn sie müssen dann dafür sorgen, dass dort wieder Bäume und Sträucher und Gräser wachsen. Du verstehst; Ja?“ So einfach wie möglich versuchte Eringus das Problem der Halblinge klar zu machen. Sicher wäre es aber besser gewesen, nach jedem Ja nicht einfach zügig weiter zu reden, sondern erst einmal zu prüfen, dass das Gesagte angekommen ist.

      Also kommen jetzt von Magda weitere Nachfragen. „Die Halben sind die kleinen Menschen, die ich im Wald als kleine Teufel angesehen habe und vor denen ich fortgelaufen bin. Richtig?“, fragte Magda nach.

      „Ja.“ Eringus hat seine Mühe, geduldig zu bleiben.

      „Aha! Und warum machen die das?“

      „Was?“

      „Ja, Bäume und Sträucher pflanzen, und so!“

      „Würden Sie das nicht machen, bräuchte die Natur viele Jahre, bis da wieder etwas wachsen würde. In der Zwischenzeit hätten Wind und Regen die gute Erde weggewaschen und –geweht. Dann wäre da nur noch Felsen, auf dem nichts mehr wachsen kann.“

      „Aha! Und die lieben die Pflanzen, sagst du.“

      „Ja, sehr. Und das ist gut so.“

      „Warum?“

      „Die Pflanzen sind die wehrlosesten Geschöpfe der Erde. Jedes bewegliche Lebewesen kann ihnen Leid zufügen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Das bisschen Dornen der Rosen oder das Gift der Maiglöckchen ist kein Schutz vor zertrampeln. Bei Hochwasser können die Blumen nicht flüchten. Jämmerlich vergehen sie, ohne je geblüht zu haben. Feuer kann keine Pflanze entgehen, oder hast du schon mal einen Busch gesehen, der vor dem Feuer weg hüpft? Zwar können die Halben nicht alle Schäden verhindern, aber sie sind äußerst fleißig dabei, diese zu beheben. Zum Wohle auch der Menschen. Und außerdem: Ohne Pflanzen wäre es auf der Erde nicht so schön.“

      „Aha.“ Schweigen.

      Irgendwie geht es in dem Gespräch nicht weiter. Das merkt Eringus ganz deutlich. Hilfesuchend blickt er zu Jade, die mit immer breiterem Grinsen zu hörte. Jetzt zuckt sie nur mit den Schultern. Sie