Janine Zachariae

Das magische Armband


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nicht. Die Wimperntusche verschmiert sonst. Du kannst mit mir reden.«

      »Danke.« Ich umarmte sie und wir schlüpften, mit dem zweiten Klingeln, in den Klassenraum. Herr Traum wirkte irritiert.

      »Guten Morgen«, begrüßte er uns und begann seinen Unterricht.

      »Ich habe eure Arbeiten über ›Bridget Jones‹ benotet. Einige von euch haben nur den Film gesehen. Ich verteile jetzt die Arbeiten und ihr werdet, wenn ich euch aufrufe, euren Aufsatz laut vorlesen.« Er verteilte alles wieder und als er bei Marie ankam, wusste er, was geschah - ich hab das Klicken förmlich gehört. Er schaute mir tief in die Augen und ich zuckte mit den Schultern. Er rief jeden Schüler einzeln auf.

      »Die Frau hat mehr Sex, als Bill Clinton«, las einer laut vor. Ich musste schmunzeln. »Sie soll sich für den gutaussehenden Mann entscheiden. Ist doch egal, ob der fremd geht. Würde wahrscheinlich jeder Mann irgendwann«, endete ein Schüler seinen Aufsatz.

      »Maja?« Ich drehte meine Blätter um und musste lächeln, als ich die 1 sah. »Als ich die ersten Kapitel von ›Bridget Jones‹ las, ahnte ich noch nicht, welche Auswirkungen es haben sollte. Ich kannte den Film noch nicht, muss ich gestehen, und konnte mir selbst vorstellen, wie die Figuren aussehen sollten. Dabei stellte ich mir Miss Jones gewiss nicht als zu dick vor. Sie war natürlich nicht das, was man ein Model nennen würde. Aber das spielte keine Rolle. Es ging eher darum, wie sie sich selbst sah und wahrnahm. Und wie sie glaubte, andere würden sie sehen. Besonders dieser durchaus attraktive Mann, der auch ihr Chef ist, sollte sie wahrnehmen. Während des Lesens stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass ich wie Bridget Jones war. Und genau darum geht es. Wir wollen alle einem Ideal hinterherlaufen. Während einige von uns ihre Unvollkommenheit als Ganzes betrachten und stolz sind, nicht so zu sein, wie der Durchschnitt, sind die meisten doch wie Bridget. Es ist ihnen wichtiger, was andere über sie denken, als das, was wirklich zählt. Sie brauchen die Bestätigung. Die Anerkennung. Sei es im Beruf, in der Schule, in der Liebe oder bei der Familie. Sie streben nach etwas, was sie vielleicht nicht haben können. Oder was sie auf Dauer unglücklich macht. Auch ich war wie sie. Ich wollte, dass man mich mag. Was war schon verkehrt daran? Nichts. Denn ich wollte, dass man mich so mag, wie ich nun einmal bin. Mit all meinen Fehlern. Aber eigentlich ist das kaum möglich. Ich verstellte mich. Hatte Freunde, die keine waren. Eines Tages, nachdem ich dieses Buch gelesen hatte, brachte ich mein wahres Ich wieder zum Vorschein. Jemand, der verrückt genug ist, um so zu sein, wie er will. Bridget Jones ist neurotisch, zu sehr auf ihre Freunde angewiesen - die ihr allesamt scheußliche Ratschläge geben und sie ist die Unpünktlichkeit in Person. Die meisten Frauen wollen eher einen Daniel Cleaver, als einen Mark Darcy. Die Jungs eher eine Heidi Klum«, allgemeines verneinen und ich korrigierte mich: »Wäre euch der Vergleich mit Nina Dobrev, also Elena aus ›Vampire Diaries‹, als eine Bridget Jones, lieber?« Allgemeine Zustimmung. »Wer sich aber mehr mit der Person ›Darcy‹ oder ›Jones‹ beschäftigt, stellt leicht fest: Das, was im ersten Moment scheint, ist nicht immer das, was zählt. Der Kern ist das, was von Dauer hält. (Auch wenn Bridget schon sehr speziell ist). Allerdings muss ich an dieser Stelle anmerken: Mark Darcy ist einem Ideal entsprungen. Doch das ist eine andere Geschichte.« Ich stockte und sah auf. »Äh ja, ich wurde da aus dem Unterricht geholt.«

      »Wolltest du noch was hinzufügen?«

      »Ja, wenn ich darf?«

      »Sicher.«

      »Wenn man jemanden liebt, dann spielt das Aussehen kaum eine Rolle. Wir werden natürlich angezogen, von der Macht dessen, was wir sehen. Vom Ideal. Doch manche Menschen sehen jemanden und erkennen sofort ihr Inneres. Wenn ihr das nächste Mal jemanden kennen lernt, blickt in dessen Augen und ihr spürt, ob es wahr ist oder nicht.«

      »Und was?«

      »Die Gefühle, die durch dessen Aussehen, ausgelöst wurden.«

      »Danke, Maja.«

      »Was hat sie bekommen?«, wollte jemand wissen. Ich wusste nicht genau wer.

      »Eine 1.«

      »War ja klar. So was gefühlsduseliges.«

      »Nein, sie hat genau erkannt, worum es geht.«

      »Um Unvollkommenheit. Das hätte ich auch erraten können.«

      »Hast du allerdings nicht«, sagte Herr Traum.

      »Ich kann es aber zum zweiten Teil schreiben.«

      »Falls wir eine Arbeit darüber schreiben«, konterte dieser absolut perfekte Lehrer. Ich schmunzelte. Bevor noch jemand etwas sagen konnte, bat er eine andere Schülerin, Marie, ihres vorzulesen:

      »Frau trifft Mann, wird seinetwegen dünn und er betrügt sie. Mann trifft Frau, wird zunächst ignoriert und entpuppt sich später als supertoll. Was ist das Problem von Bridget? Sie hätte direkt mit Mark zusammen kommen sollen und nicht vom Aussehen des Daniels geblendet werden.« Sehr zynisch, stellte ich fest. Sagte aber nichts. Vorerst. In der Pause ging ich zu Marie und wollte mit ihr reden, aber sie blockte ab.

      »Okay, dann rede wenigstens mit unserem Vertrauenslehrer«, schlug ich vor. Sie sah mich an und ich hätte schwören können, dass sie sagen wollte:

      ›Geh du doch zu ihm und flirte noch etwas.‹ Als es wieder klingelte, setzte ich mich auf meinen Platz.

      Ich öffnete mein Notizbuch und fand eine kleine Nachricht darin:

      ›Rede mit ihm und hör auf dein Herz.‹

      »Mir ist zu Ohren gekommen einige von euch wollen noch einmal auf Majas Aufsatz zu sprechen kommen«, begann er direkt die nächste Stunde.

      »Muss das sein?«

      »Ja, weil sie als Einzige darauf kam, was ich erreichen wollte.«

      »Streberin.«

      »Willst du was dazu sagen, Maja?«

      »Ja. Ich bin gerne ein Nerd. Das ist die heutige Bezeichnung, für jemanden wie mich. Früher hätte man mich ›Freak‹ oder ›Streberin‹ genannt. Natürlich bin ich eine Streberin. Aber auf eine gesundeweise. Ich möchte etwas erreichen. Aber ich bevorzuge den Begriff Leseratte oder Nerd.« Herr Traum nickte und ich wusste, im Inneren lachte er. »Aber egal. Mir ging, als ich den Aufsatz schrieb, durch den Kopf, wie sich eine Bridget Jones, also ein Single, in der heutigen Zeit zurechtfände.« Ich blickte mich etwas um und sah viele gerunzelte Stirnfalten auf den Gesichtern der Mitschüler. Manche schienen verwirrt zu sein.

      »Wie meinst du das?«, fragte unser Lehrer und ich sah wieder zu ihm.

      »Nun ja, in Zeiten von Social Media wie Facebook, MySpace, Twitter und all den anderen, würde ja eine Bridget Jones durchdrehen. Sie ist quasi mit ihrem Anrufbeantworter leiert. Und das Telefon klingelt ja auch am laufenden Band. Oje, sie würde wahrscheinlich täglich 20-mal den Status irgendeines Mannes checken, nur um sicherzugehen, dass derjenige tatsächlich noch frei ist. Die Dating Welt hat sich definitiv verändert. Manchmal glaube ich, Personen zwischen 20 und 40 haben es besonders schwer. Natürlich kann ich es selbst nicht beurteilen.«

      »Sprichst wohl aus Erfahrung, wa?«

      »Tatsächlich hab ich auch mal tagelang den Status eines Jungen, an meiner ehemaligen Schule, beobachtet. Oder habe einem Star über Twitter geschrieben, wie toll er sei, etc.« Na ja, es wurde wieder getuschelt und gemurmelt. Aber eigentlich war mir das auch egal. Jeder, wie er es am besten findet. Nachdem die Stunde vorbei war, ging ich zu Herrn Traum.

      »Was ist vorgefallen?«, fragte er ohne Umschweife. »Sie trägt deine Sachen. Schickes ›Green Day‹ Top übrigens.«

      »Reden Sie bitte mit ihr«, bat ich. Er nickte und machte sich ein paar Notizen, warum, wusste ich nicht. »Aber ich wollte Ihnen noch Folgendes zeigen.« Ich reichte ihm mein Notizbuch. »Zwischen den Stunden muss es mir jemand reingeschrieben haben«, erklärte ich. Marie ging an uns vorbei.

      »Kann ich mit dir reden, Marie?«

      »Danke, Maja, fürs Petzen.«

      »Sie hat nicht gepetzt.«