Janine Zachariae

Das magische Armband


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so. Und als Vertrauenslehrer ist es von Vorteil, wenn man die Schüler mehrmals am Tag sieht.«

      »So lange sind Sie noch nicht an der Schule, oder?«

      »Nein, ich kam im zweiten Halbjahr als Vertretungslehrer in Sport an diese Schule. Nach kurzer Zeit wurde ich Kunstlehrer, da die alte Lehrerin in Mutterschutz ging. Und dieses Jahr sind zwei andere Lehrer umgezogen und ich bekam deren Stelle.«

      »Muten Sie sich nicht zu viel zu?«

      »Nein, ich mag das so. Es macht mir Spaß. Wenn die Schüler mich nicht mögen würden, wäre das was anderes. Aber am Ende des letzten Schuljahres wurde ich als beliebtester Lehrer gewählt und gleichzeitig auch zur Vertrauensperson.«

      »Sie sagten, Ihr Vater war Geschichtslehrer ...«

      »Ja, an einer Universität. Als ich sagte, ich würde am Gymnasium unterrichten, sagte er, ich wäre wohl nicht gut genug für die Uni.« Ich schüttelte den Kopf.

      »Das glaube ich nicht. Aber Sie können den Schülern mehr beibringen, als an der Uni. Und ich spreche nicht nur von Geschichte selbst.«

      »Nett von dir.«

      »Haben Sie jetzt keinen Kontakt mehr zu Ihrem Vater?«

      »Er ist vor sehr vielen Jahren verstorben.«

      »Oh, das wusste ich nicht. Das tut mir leid. Und Ihre Mutter?«

      »Ist vor vielen Jahren verschwunden«, sagte er mit etwas Wehmut in der Stimme. Ich bereute, gefragt zu haben.

      »Verzeihen Sie die Fragen.«

      »Nein, ist schon okay. Irgendwann hab ich nach ihr gesucht. Aber ich hab sie nie gefunden. Mein Vater sagte immer, sie sei bei einem Unfall gestorben. Es gab Gerüchte. Manche gaben meinem Vater die Schuld, andere meinten, sie sei weggelaufen ...«

      »Wow. Welche Geschichte haben Sie geglaubt?«

      »Das sie weglief.«

      »Ja, die würde ich auch eher glauben wollen. War es schwer für Sie?« Er ließ das Stück Pizza auf den Teller sinken und griff nach einem Glas Wasser. Er schien zu überlegen und ich gab ihm die Zeit, seine Gedanken zu sortieren.

      »Ich kannte es nicht anders. Irgendwann war sie nur eine vage Erinnerung. Mein Vater war streng, vielleicht deshalb.«

      »Wie hat sich diese Strenge gezeigt?«, wollte ich wissen.

      »Indem er mich schlug, wenn ich seinen Erwartungen nicht gerecht wurde.«

      »Und trotzdem sind Sie so ein guter Mensch geworden!«, bemerkte ich.

      »Danke. Ich gebe mir mühe. Ich wollte nie so werden, wie er. Irgendwann habe ich den Kontakt abgebrochen. Als er starb, hab ich es bereut.«

      Ich nickte.

      »Weil Sie sich nie mit ihm aussprechen konnten.«

      »Richtig.«

      »Das ist okay«, flüsterte ich sanft.

      »Wie meinst du das?« Er wirkte leicht irritiert.

      »Sie sollten sich deshalb nicht schuldig fühlen. Er war es, der Sie schlecht behandelt hat. Es ist natürlich nicht schön, aber er hätte sich melden müssen. Sie haben nichts falsch gemacht.«

      »Ich weiß nicht«, murmelte er.

      »Darf ich Ihnen einen Rat geben, auch wenn es wo möglich blöd ist.«

      »Bitte«, flüsterte er erwartungsvoll.

      »Schreiben Sie ihm einen Brief. Schreiben Sie alles, was Sie ihm schon immer erzählen wollten, es aber nie konnten. Verbrennen Sie es oder legen Sie es auf sein Grab. Sie werden sich besser fühlen. Und merken, dass es nicht Ihre Schuld ist.«

      »Danke.« Er schaute mir in die Augen. »Das habe ich bisher noch nie jemanden erzählt.«

      »Ich weiß.« Er sah aus, als würde er fragen wollen: ›Woher‹? »Manchmal staut sich etwas und wird irgendwann zu einem Knoten. Während des Erzählens platzt er plötzlich und man fühlt sich erleichtert. Das Gleiche ist, wenn man betrügt und es für sich behält. Irgendwann holt es einen auf. Und so ist es bei Ihnen gewesen. Sie müssen etwas verarbeiten, haben es aber für sich behalten. Vieles kann man nur zu zweit aufarbeiten.«

      Nachdenklich stimmte er mir zu. »Du bist sehr klug, für dein Alter.«

      »Nein. Das kommt Ihnen nur so vor. Sie haben sicherlich noch nicht viele Jugendliche in meinem Alter kennen gelernt, die so sind, wie ich. Die meisten interessieren sich eher für Make-up, Partys, Jungs oder Mädels, Fußball und so weiter. Aber im Grunde bin ich auch nur ein Teenager.«

      »Nein, bist du nicht. Ich habe deine Bilder gesehen.«

      »Die Selbstporträts?«

      »Ja, und da hab ich den Unterschied zwischen dir und den anderen erkannt.«

      »Es war teils sarkastisch« bemerkte ich.

      »Ja, ich weiß«, seufzte er.

      »Ich stehe nicht auf Frauen, nur weil ich mich für die gleichgeschlechtliche Ehe einsetzen würde. Aber viele kennen den Unterschied nicht zwischen ›Sein‹ und ›Toleranz‹.«

      »Darf ich die Bilder veröffentlichen?«

      »Natürlich. Es gibt, leider, immer noch genug Menschen, die sich nicht trauen sich zu Outen.«

      »Das ist leider wahr.« Sein Blick trübte sich und er schien an jemanden zu denken. Vielleicht eine Person aus seiner Vergangenheit?

      »Aber ich war noch nicht mit meinen Fragen durch«, sagte ich streng.

      »Oje«, grinste er und lachte dabei. »Aber erst einmal bin ich dran!«, fügte er hinzu. Da musste ich schmunzeln. »Warum färbst du dir die Haare?«

      »Weil ich meine Naturhaarfarbe nicht mag«, erklärte ich. »Sie ist so seltsam. Blond, irgendwie Bronze ist mit dabei und wenn das Licht blöd scheint, dann sieht es wie Orange aus. Zudem hat es sich mit meiner Augenfarbe gestochen.« Er schaute mir tief in meine grünen Augen. »An meinem 16. Geburtstag hab ich von meiner Mutter einen Gutschein bekommen, um mir beim Friseur die Haare ordentlich machen zu lassen. Ich war alt genug für eine Färbung und nun wiederhole ich das regelmäßig. Selbstfärben wäre zwar auch machbar, aber da ich so eine blöde Grundfarbe habe, ist das Resultat nicht sonderlich toll und oft sehr unterschiedlich.«

      »Deshalb dieses dunkle Rot?«

      »Dunkle Kirsche. Ist ein cooler Kontrast zu meinen Augen, oder?«, lachte ich.

      »Total cool«, sprach er. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass deine Augen die Farbe von Smaragden haben?«

      »Smaragde? Das ist ja so klischeehaft!« Noch immer schaute er mir in die Augen und ich hielt es kaum noch aus. Dabei waren es seine, die mich einfach nur in den Bann zogen.

      »Ich würde eher sagen, sie sehen aus wie frisches, sattes Gras. Aber mal im Ernst, früher wurde ich oft gehänselt und manchmal wirkten meine Haare dann auch grün. Es ist besser so.«

      »Ich würde gerne ein Foto davon sehen.«

      »Na, gut. Aber nur, wenn wir dann das Thema sein lassen und ich Ihnen wieder meine Fragen stelle.«

      »Großes-Indianer-Ehrenwort!« Lachend ging ich in mein Zimmer und kramte ein altes Foto hervor und zeigte es ihm. Er studierte es sehr aufmerksam.

      »Du hast dich definitiv verbessert!« Ich errötete und räusperte mich. Und, als ob nichts gewesen wäre, machte ich kommentarlos mit meiner nächsten Frage weiter.

      »Hatten Sie eigentlich jemals das Gefühl gehabt, Ihren Vater oder eine andere Person, enttäuscht zu haben?« Er nickte. Wir saßen immer noch am Küchentisch, aber das störte nicht. Die Pizza war fast aufgegessen. Es war schön, einfach zusammen zu sitzen und zu reden. »Wie hat sich das bemerkbar gemacht?« Er zuckte mit den Schultern. Molly war noch auf der Terrasse, lief aber ab und an zu