Janine Zachariae

Das magische Armband


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      »Missbraucht. Er verschaffte sich Zutritt in mein Leben und beobachtete mich. Jede Nacht schlief ich in einem Bett, indem am Tag jemand anderes lag. Er wohnte hier. Es ist gruselig. Er hätte so leicht ins Zimmer kommen können, während ich schlief. Eine verschlossene Tür ist kein Hindernis. Ich möchte nicht mehr hier sein.« Er legte kurz seine Hand auf meinen Arm und drücke ihn behutsam, ehe wir schnell zu ende packten und alles in seine Wohnung brachten.

      Auf dem Weg dorthin schwiegen wir.

      »Du zitterst«, bemerkte er, als wir auf dem Parkplatz standen.

      »Das ist alles zu viel.«

      »Ich werde den Diebstahl melden«, sagte er bestimmend und umklammerte sein Lenkrad etwas fester.

      »Danke. Die Seiten waren eingerissen, leicht vergilbt, der Schutzumschlag verschwunden und das Buch war rot-braun. Eine Widmung stand auf der ersten Seite: ›Für Anne.‹ Es riecht nach Rauch, was ich immer sehr seltsam gefunden habe.«

      »Okay.«

      Wir trugen die Taschen in seine Wohnung.

      »Möchtest du ein Bad nehmen, während ich uns was zum Abendbrot koche?«

      »Gerne.« Er bereitete alles vor und machte Badezusatz in die Wanne. »Herr Traum, ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte.«

      »Jetzt geh erst mal baden und versuch dich zu entspannen.« Ich nickte und ging hinein. Meine Klamotten und meine Musik hatte ich dabei und für zehn Minuten verschwand die Welt um mich herum. Den Pelz an meinen Beinen und Achseln entfernte ich auch gleich. Anschließend machte ich alles sauber und föhnte etwas mein Haar und ließ es offen. Ich cremte mich ein und zog meinen Jogginganzug an. Mit meinen Sachen unter dem Arm huschte ich hinaus und brachte es ins Zimmer. Irgendwann musste ich Wäsche waschen. Als ich in die Küche kam, beobachtete ich Herrn Traum, wie er am Herd stand. Radio lief und er summte leise vor sich hin.

      »Oh, du bist schon fertig.« Ich lächelte. »Setz dich.«

      »Kann ich Ihnen helfen?«

      »Bin schon fertig.« Also nahm ich platz und er stellte mir einen vollen Teller hin. Erst als ich anfing zu essen, merkte ich, wie hungrig ich tatsächlich war. Musik lief leise im Hintergrund, was ziemlich gut zu dieser Situation passte und zu diesem Abend. Es war nichts Romantisches, aber es war purer Pop. Modern und angesagt. Wir redeten nicht. Meine Gedanken wanderten hin und her. Herr Traum gab mir Unterschlupf. Er rettete mich. Dabei kannte ich ihn gar nicht. Ja, ich hab ihn oft gesehen, noch bevor die Schule angefangen hatte, und irgendwie war da immer etwas Vertrautes. Ich vertraute ihm. Sehr. Doch was war, wenn meine Gefühle sich überschlagen? Was, wenn ich meine Zuneigung nicht unter Kontrolle bringe? Er sah unglaublich gut aus und er hatte Esprit.

      Als wir fertig waren, räumte ich alles weg. Wir schwiegen immer noch und er ließ mir meinen Freiraum und setzte sich an seinen Schreibtisch und korrigierte die Arbeiten. Die Musik ließ ich einfach weiterlaufen, es gefiel mir. Und nachdem ich alles sauber gemacht hatte und wegräumte, nahm ich meine Schultasche und begann Hausaufgaben zu machen. Ich saß weiterhin am Küchentisch und versuchte mich auf die Aufgaben zu konzentrieren. Es gelang auch teilweise, bis ich irgendwann die Nase voll hatte. Ganz besonders Mathe und Geschichte. Ja, Geschichte lag mir. Aber das Thema war schwierig.

      ›Die einflussreichsten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.‹ Es gab - bis heute, 2012 - 44 Präsidenten, einige sind während ihrer Amtszeit verstorben, vier ermordet wurden. Darunter Abraham Lincoln und John F. Kennedy. Es ist unumstritten, dass ich folgende Personen besonders schätze: George Washington, Lincoln, Theodore Roosevelt (weil er den ersten Afroamerikaner ins Weiße Haus einlud). John F. Kennedy (er setzte sich für die Bürgerrechtsbewegung ein und wollte die Rassentrennung aufheben), Bill Clinton (weil er die allgemeine Krankenversicherung wollte, trat gegen den Waffenmissbrauch ein und wollte, was gegen den steigenden Drogenkonsum unternehmen - wie seine Präsidentschaftszeit endete, muss ich hier nicht erneut aufwärmen). Und natürlich Barack Obama, weil er die allgemeine Krankenversicherung durchsetzen und etwas gegen die Waffenreform unternehmen will. Stetigere Kontrollen. Ich war mitten in einem Satz, als ich zusammenzuckte.

      »Oh, tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«

      »Schon okay.«

      »Woran arbeitest du?«

      »Wir haben in Geschichte so eine schwierige Arbeit auf bekommen und da bin ich gerade dran.« Er lachte. Ich muss ja wahnsinnig amüsant sein.

      »Okay, dann will ich dich nicht stören.«

      »Bin fast fertig. Was wollten Sie?«

      »Magst du nachher einen Film gucken?«

      »Gerne. Ich brauche noch etwa fünfzehn Minuten.« Er lächelte und ließ mich wieder arbeiten. Genau fünfzehn Minuten später hatte ich alles weggeräumt und setzte mich auf die Couch, zu Molly, - die bis eben auf der Terrasse tobte.

      »Bist du immer so präzise?«

      »Wie meinen?« Er schmunzelte.

      »Immer so genau mit der Zeitangabe?«

      »Wenn ich es nicht, als Jugendliche, lerne, dann kann es später zu zeitlichen Problemen kommen.«

      Sein Blick ruhte für einige Sekunde auf mir, dann nickte er und setzte sich. Mit der Fernbedienung schaltete er das Gerät an und der Film startete. Cola und Popcorn standen parat. Wir schauten ›Bridget Jones‹ - natürlich. Aber es war okay. Ich hätte mich nicht auf einen komplizierten Film einlassen können. Ich denke, er sah ihn sich an, weil er recherchieren wollte. Vielleicht wollte er die Bestätigung, dass irgendein Schüler nur den Film sah und nicht das Buch las. Irgendwann, mitten in der Szene als Bridget als Playbunny zu einem Kostümfest ging, machte er Pause. Er drehte sich zu mir.

      »Ist alles in Ordnung mit dir?«

      »Ich würde lügen, wenn ich die Frage ›bejahe‹. Aber, um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.«

      »Kann ich dir helfen, damit umzugehen?«

      »Sie waren da, als ich Sie brauchte. Ich glaube, mehr kann ich nicht verlangen, Herr Traum.« Doch dann fiel mir etwas ein. »Eine Sache gäbe es da.« Sogar Molly blickte auf. »Sie joggen doch, oder?« Er nickte. »Wäre es eigenartig, wenn ich mit laufen würde?«

      »Ganz und gar nicht.«

      »Sie laufen vor der Schule?«

      »Ja, meist gegen 5 Uhr, damit Molly auch raus kommt.«

      »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bin ich um 5 Uhr dabei.« Er lächelte und Molly legte ihren Kopf auf meinen Schoss. Sabber lief aus ihrem Mundwinkel und benässte meine Hose. Es störte mich nicht. Ich kraulte ihren Kopf und schaute wieder zum Fernseher.

      »Eins noch, Maja, nenne mich Jacob, wenn wir unter uns sind.« Irritiert hakte ich nach. »Herr Traum bin ich in der Schule.«

      »Würde das nicht eine Art Grenze überschreiten?« Er schüttelte den Kopf. »Überlege es dir.«

      »Werde ich.«

      Und damit drückte er wieder auf Wiedergabe. Ich dachte wirklich darüber nach.

      »Haben Sie nun raus finden können, ob jemand nur den Film sah?«

      »Du wusstest, warum ich ihn mir anschaute.«

      »Natürlich. Ein amüsanter Film.«

      »Das stimmt.«

      »Mmh, ich sollte mal langsam schlafen. Danke für den Abend.«

      »Danke für deine Gesellschaft. Gute Nacht.«

      »Schlafen Sie gut.« Ich ging in mein Zimmer und sortierte als erstes die Taschen aus und räumte meine Klamotten in den Schrank. Viel war es nicht, auch Unterwäsche war überschaubar. Also kamen die Bücher, CDs und DVDs mit hinzu. Manches stapelte ich auch auf dem Regal. Ich stellte ein Bild, mit meiner Oma und mir, drauf und ein paar Dekorationsartikel platzierte ich sorgfältig daneben. Nebenbei hörte ich Musik und war schneller fertig, als