Janine Zachariae

Das magische Armband


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aus.

      »Sie erzählte es mir und sie fanden auch das Video.« Ich spürte, wie meine Farbe aus dem Gesicht gewichen war, meine Beine fühlten sich wie Gummi an.

      »Danke«, sagte ich zu ihm, als er mich festhielt. »Danke, dass Sie für mich da sind.« Er drückte meinen Arm.

      »Was kann ich machen, damit es dir besser geht?«

      »Sie haben schon mehr für mich getan, als nötig. Mehr kann ich nicht verlangen.«

      »Ich bin für dich da. Soll ich dich nach Hause bringen?« Ich schüttelte den Kopf.

      »Ich möchte nicht alleine sein. Aber wenn Sie mir sagen, das alles gut wird und mich in Gedanken umarmen, wäre es schön.«

      »Okay. Alles wird gut, Maja.« Dann senkte er seine Stimme: »Ich würde dich jetzt gerne umarmen, aber das wäre unpassend.« Ich fühlte seinen Atem auf mir und bekam eine Gänsehaut. Es klingelte.

      »Danke. Ich habe jetzt sowieso Mathe und ich kann es mir nicht leisten zu fehlen.« Wir standen auf und gingen hinein.

      »Wir sehen uns zu Geschichte«, sagte er und verschwand. Als ich auf meinem Platz saß, musste ich daran denken, wieso wir eigentlich in diese Stadt zogen. Meine Mutter hatte keine Lust mehr, Hausfrau zu spielen. Und so fand sie eine Stelle an ihrer alten Uni. Sie konnte flexibel arbeiten und oft auf Geschäftsreisen mit meinem Vater sein. Er war die meiste Zeit beruflich unterwegs und ließ sich versetzen. So einfach war das. Sie fanden dieses Haus, als meine Oma noch am Leben war. Sie haben sie nach der Diagnose aufgegeben. Sie besuchten sie nicht mehr und ließen sie alleine. Das brach mir das Herz. Solch eine Reaktion vom eigenen Sohn. Es war nicht fair.

      Sie machte alles für ihre Kinder und zum Dank wurde sie im Stich gelassen, als sie sie am meisten gebraucht hatte. Daher blieb ich auch mal über Nacht bei ihr. Wir lasen oft so lange, bis wir einschliefen. Sie wurde einfach aufgegeben. Mein Vater wusste, dass sie nichts vererben würde. Also machte er sich nicht die Mühe. Geld sollte aber doch in einer Familie keine Rolle spielen. Dabei spielt sie dort die Größte. Während ich so da saß und nachdachte, bemerkte ich nicht, wie die Stunden an mir vorbeizogen. Und plötzlich hatte ich schon Geschichte. Mein vorletztes Fach. Wie war das nur möglich? Irgendwie hatte ich die letzten Stunden überstanden, ohne wirklich was gemacht zu haben. In Geschichte nahmen wir Amerika durch dieses Jahr. Es war aufgeteilt in Musik, Kunst, Krieg, Hollywood und noch andere Themen, die wichtig für dieses Land waren. So auch Präsident Obama. Herr Traum fragte uns, ob sich das Land verändert hatte, seit Barack Obama regierte.

      »Maja?«

      »Mmh?«, ich blickte auf. »Oh, ›tschuldigung. Ja, hat es.«

      »Inwiefern?«

      »Insofern, dass das Land sich endgültig von der Rassentrennung befreite. Schon klar, das es in den 1950ern, etwa, passierte, aber mit dieser Amtszeit ist es offiziell. Ein Farbiger hat es ins ›Weiße Haus‹ geschafft. Er hat einiges bewirkt: Krankenversicherung für alle - na ja, zumindest so gut wie.

      Er kämpft, dass der Krieg bald aufhört und er will sich für die Homo-Ehe einsetzen, sollte er noch einmal gewählt werden.

      Für mich ist dieser Mann ein wunderbarer Präsident, der sich für die benachteiligten einsetzt und wieder leben ins ›Weiße Haus‹ gebracht hat - schließlich lebten seit den Kennedys keine Kinder mehr dort.« Meine Stimme war leidenschaftslos, obwohl ich das Thema interessant fand.

      »Danke. Will irgendjemand was dazu sagen?«

      »Ja, die Homo-Ehe sollte verboten werden«, sagte jemand, der Gregor hieß.

      »Wieso?«

      »Weil das nicht richtig ist.«

      »Im 21. Jahrhundert?«, warf ich ein.

      »Wieso interessiert es dich, Maja? Bist du etwa so eine?«, fragte der Junge.

      »Nein. Aber wenn dem so wäre, würde ich dazu auch stehen - bestimmt. Es spielt doch keine Rolle, wer wen liebt. Solange man liebt und geliebt wird, sollte es niemandem verwehrt sein, seine Liebe auch öffentlich zu machen und mit dem Ja-Wort zu besiegeln.«

      »Maja ist Homo«, brüllte irgendjemand. Ich zuckte mit den Schultern.

      »Es tut mir leid, wenn jemand - heutzutage - noch so darüber denkt und nur die respektiert, die genauso sind.« Kopfschmerzen hatte ich und es nervte, wie man so engstirnig sein konnte.

      Zum Glück war die Stunde zu Ende und wir hatten noch Musik. Und während der letzten 45 Minuten wurde über mich hergezogen. Herr Traum war ja nicht da. Als die Schule endlich aus war, wartete ich auf dem Schulhof auf meinen neuen Mitbewohner. Währenddessen las ich weiter in dem Buch ›Julia‹. Es war an ›Romeo und Julia‹ angelehnt. Ob es wohl auch so traurig endet?

      Als ich Herrn Traum aus dem Gebäude kommen sah, hatte ich die Hälfte gelesen.

      »Entschuldige, hat länger gedauert.«

      »Kein Problem. So konnte ich gut im Buch vorankommen.« Er nickte und setzte sich zu mir.

      »Willst du darüber reden?«

      »Über was?«, wollte ich wissen, da ich wirklich keine Ahnung hatte, worauf er hinaus wollte. Es gab so vieles, über das ich reden würde. Doch er meinte nur das, was in Geschichte geschehen war. Ich war zu müde, um darauf einzugehen, und war eigentlich nur traurig, wie die Meinung darüber war. Er fragte mich schließlich, ob wir meine restlichen Sachen aus dem Haus holen wollten, ich nickte, denn ich brauchte dringend meine Klamotten.

      Mein Magen fühlte sich seltsam an. Als wir vor dem Haus standen, hatte ich Angst. Herr Traum nahm meine Hand und nickte mir zu. Nun schlug mein Herz wie wild. »Okay«, flüsterte er. Ich schluckte und schloss die Tür auf. Wir hatten die Genehmigung der Polizei. In einem Schrank waren die Reisetaschen und Koffer verstaucht, wir schnappten uns einige und fingen an, meine Sachen dort einzupacken.

      »Fehlt etwas?«

      »Kann ich ...«, noch nicht sagen, wollte ich erwidern. Aber da entdeckte ich, in meiner Jane Austen - Bücherecke, eine Lücke.

      »Was ist?«

      »‹Mansfield Park‹ fehlt.« Mir war klar, dass er meinen Ausbruch nicht verstehen konnte - es war doch nur ein Buch. »Es ist nicht nur ein Buch«, meinte ich, als ob ich meine eigene Aussage widerlegte. »Es war von meiner Oma. Wie viele andere Schätze, die hier stehen. Als ich ihre Sachen einpackte, fiel mir das Buch runter. Es landete auf einer Seite, die mit einer Notiz bemerkt wurde. Da stand: ›Liebe Anne, so wie auch Fanny es machte, musst auch du auf dein Herz hören. Öffne deine Augen und schaue dich genau um. Die Liebe ist da, du musst sie nur in dein Herz lassen. Komm mit mir! Für immer, dein Jack.‹«

      Herr Traum stand bei mir. Ich konnte nicht mehr. Er wischte eine Träne weg und umarmte mich.

      »Jetzt kann ich dich umarmen, auch wenn ich es heute Vormittag schon wollte.«

      Es fühlte sich eigenartig an. Als würden Stromschläge von ihm zu mir wandern oder umgekehrt. Mein Armband wurde wärmer, aber ich ignorierte es und wollte nur diesen Augenblick genießen. Auch wenn meine Gefühle verkehrt waren und ich mich schämen müsste. Wir lösten uns wieder von einander und plötzlich spürte ich eine Kälte, die ich nicht greifen konnte.

      »Danke. ›Mansfield Park‹ ist eine meiner liebsten Geschichten. Sie wird unterschätzt. Jack muss ihr das Buch geschenkt haben und sie gab es mir. Es ist unfair. Es ist sooft gelesen worden und sah auch so aus, dass es keinen Sinn macht. Für mich allerdings ist es sehr wertvoll. Es war ein Sicherheitsgefühl. Es gab mir Kraft. Genauso wie das Foto des Mannes, der es ihr schenkte.«

      »Das Foto gibt dir kraft?«, fragte Herr Traum verblüfft nach.

      »Blöd, oder? Aber so ist es.« Wir sahen einander in die Augen.

      »Soll ich dein Bad übernehmen?« Er runzelte für einen Moment die Stirn, als würde er überlegen, ob dieser Vorschlag absurd klang.

      Ich nickte. Kurz darauf rief er mich zu sich. Er zeigte mir die